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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

scheint er ganz das, was sie mit dem „bon enfant“ bezeichnen. Ob er das wirklich ist, wage ich nicht zu behaupten, aber es ist schon ein großes Verdienst, in den Augen der Franzosen dafür zu gelten. Nichtsdestoweniger hält sich Thiers für einen Mann von Genie, und die Leutseligkeit der Form vermag, wenn er von sich selbst spricht, nicht immer den im Hintergrunde thronenden Stolz zu verdecken. Als er am 1. März 1840 wieder an das Staatsruder gelangte, zu einer Zeit, da wohl viele Staatsmänner vor den Schwierigkeiten zurückgeschreckt sein würden, die sich der französischen Politik entgegenstellten, zeigte er ein heiteres Gesicht und sagte lächelnd: „Die Vorsehung muß ein großes Vertrauen in mich gesetzt haben, denn so oft ich die Staatsgeschäfte übernehme, scheint sie die schwierigsten Verwickelungen mir vorbehalten zu haben!“

Das Hotel der Place St. Georges hat nichts gemein mit den reichen Wohnungen der Emporkömmlinge, in denen in Ermangelung wirklichen Geschmacks ein grober Luxus herrscht, so daß König Midas selbst dort nichts mehr in Gold zu verwandeln fände. Vielmehr kündigt Alles hier den künstlerischen Sinn an, der Thiers auszeichnet. Sein Arbeitszimmer enthält mehrere Meisterwerke, um die der Louvre ihn beneiden könnte. So das Bronze-Modell der heiligen Jungfrau von Michel Angelo, die, irre ich nicht, die Florentinische genannt wird, und das der Reiterstatue des Ludovico Sforza von Leonardo da Vinci, aus dessen Hand nur wenige, aber darum um so werthvollere Sculpturwerke hervorgegangen sind; eine Andromeda in Marmor von Benvenuto Cellini, die, kaum einige Zoll hoch, ein Meisterstück zart durchgeführter Arbeit, durch das Vergrößerungsglas betrachtet werden muß. Außerdem besitzt Thiers noch mehrere sehr große chinesische Porcellanstücke, die an Alter sowohl wie an Schönheit mit den etrurischen Vasen wetteifern. Die Figuren sind von so reiner Zeichnung und leichter Bewegung, daß die etrurische Kunst kaum etwas Vollkommneres wird aufweisen können.

Man sieht, er hat errungen, wonach er von Jugend auf gedürstet: er ist ein berühmter, ein reicher, ein vornehmer Mann geworden. Daß der glückliche Erfolg bei Weitem sein Verdienst überholt hat, wird er sich kaum eingestehen, und wenn auch, sich dadurch sicher nicht in seiner äußern und innern Behaglichkeit stören lassen.




Auch eine Industrie-Ausstellung.


„Sind Sie schon im Bazar bei’m Kronprinzen gewesen?“ – Das war die stehende Frage, die in der vorletzten Woche vor Ostern alle gesellschaftlichen Kreise Berlins durchlief. Die Antwort war verschieden. Unter Leuten von Rang war damit sogleich ein Gespräch über hunderterlei famose Einzelheiten und Beobachtungen eröffnet; im Bürgerstande aber hörte man wohl die Gegenfragen: „Ja, kann denn da wirklich jeder für fünf Groschen so ungenirt hingehen? ohne besondere Einladung? so wie man geht und steht, ohne Frack und weiße Binde? und der Kronprinz und die Kronprinzessin sind da und verkaufen selbst?“

In der That, so oft auch gekrönte und fürstliche Häupter bei festlichen Gelegenheiten zu ihrem Volke hinabgestiegen, das war doch neu und überraschend, daß der Thronerbe eines europäischen Großstaates die Bewohner seiner Residenz ohne Unterschied zu sich einlud, in sein eigenes Haus, in so freundlicher Weise und so edler Absicht. Schon das war den Berlinern neu, daß auf der Rampe, die zu dem Palaste Friedrich Wilhelm’s des Dritten führt, neben wappengeschmückten Carossen auch die schlichte Droschke vorfahren durfte; aber das Leben und Treiben im Innern war noch viel merkwürdiger.

In der Vorhalle wachen an zwei Tischen Invaliden über die Casse, bei der man seinen Tribut, fünf Groschen oder mehr, wie man will, erlegt. Auf breiter Marmortreppe steigen wir zu den Sälen empor welche in langer Flucht zu der Gedenkhalle des verstorbenen Königs führen. Durch Blumenduft und rauschende Gewänder kommt man endlich zum Büffet und darf sich, gegen Erlegung eines blanken Thalers, zur Stärkung einen Maraschino oder Chartreuse von der Gräfin von H. einschenken lassen. Nun ist der Zauber gelöst. Noch wenige Schritte, und man steht mitten in einer bunten Kunst- und Industrieausstellung, bei der es sich freilich fragt, was interessanter ist, die ausgestellten Dinge oder die verkaufenden Personen. Schöne und reiche Fürstinnen, Gräfinnen, Hofdamen, Generalinnen, Ministerinnen und Damen aus den Kreisen der Geheimen Commerzienräthe, die man sonst nur im Theater oder auf der Promenade von Weitem bewundert, bemühen sich hier, Geschäfte mit uns zu machen.

Immer mehr füllen sich die fürstlichen Räume mit Schau- und Kauflustigen; selbst einen Weg suchend, versperren wir Andern die Passage. „Bitte, lassen Sie uns ‘mal hier durch,“ sagt da ein Herr im einfachen militärischen Interimsrock hinter uns und klopft uns freundlich auf die Schulter – es ist der Kronprinz, der seine „Frau“, wie er die Kronprinzessin in bürgerlich-schlichter Weise am liebsten nennt, nach ihrem Verkaufsstande geleitet. Denn sie hat es sich vorbehalten, den Müttern ihre Bedürfnisse an Kindergarderobe zu liefern; die Gedenkhalle, eine geräumige Rotunde, ist mit Kleidchen, Mützchen, Schuhchen, Strümpfchen, Puppen etc. ganz angefüllt, für welche die hohe Verkäuferin reißenden Absatz erzielt. Hier beginnt denn auch der König seine reichen Einkäufe. Man denkt vielleicht, wenn man den ehrwürdigen, stattlichen Herrn so mitten in einer dichten und „gemischten“ Gesellschaft sieht, wie er nach allen Seiten hin freundlich grüßt und sich unterhält, an die kühle Zurückhaltung, mit der ein Anderer wenige Tage vorher eine andere Industrieausstellung eröffnet hat – aber da ist schon wieder der Kronprinz, diesmal allein und mit einem Sacke bewaffnet, auf dem die geflügelten Worte zu lesen: „Ein kühner Griff zehn Silbergroschen“. Wer danach aussieht, als könnte er den Griff vor seinem Geldbeutel verantworten, der wird herangezogen – doch „erst das Geld her!“ Der Gegenstand, den man auf gut Glück erwischt, hat vielleicht nur durch das witzige Motto Werth, das ihm der Prinz angeheftet hat; aber man bewahrt ihn doch wohl auf und erzählt vielleicht noch in späten Tagen: „Das hat mir Friedrich Wilhelm der Fünfte für zehn Groschen verkauft.“

Wozu das Alles? Für einen sehr, sehr schönen Zweck; die Mildthätigkeit tritt eben unter allerlei Gestalt auf. Dieser Bazar nun ist recht eigentlich von der Kronprinzessin von Preußen erfunden worden, wie auch das Institut, welches ihren Namen trägt, die Victoria-National-Invaliden-Stiftung, zuerst von ihr angeregt wurde. „Nur den vereinten Kräften des ganzen Volkes kann die nationale Sache gelingen. Möge Keiner es an sich fehlen lassen, möge jeder Einzelne dazu beitragen, daß auch jene Tapferen, die ihre beste Kraft dahingaben für die Ehre und den Ruhm des Vaterlandes, daß auch die ihrer Stützen und Ernährer beraubten Familien mit uns Allen über die Leiden und Opfer des Krieges hinweg auf die Thaten unseres Heeres mit Stolz und Genugthuung blicken können!“ So schloß der Aufruf des Kronprinzen aus Brünn vom 3. August 1866, und mit richtigem Tacte berief er in das Comité zur Verwirklichung des Planes einflußreiche Männer aller politischen Parteien.

Bis jetzt sind der Stiftung von Privaten und Vereinen, aus dem In- und Auslande nahe an eine halbe Million Thaler zugeflossen. Es ist diese Summe in Anbetracht der großen Opfer, welche das vorige Jahr sonst gekostet hat, immerhin beträchtlich, wenn sie auch noch lange nicht ausreicht, den durch den Krieg Verunglückten über die Fürsorge des Staates hinaus den letzten Kummer zu nehmen. Wenn sich die Hoffnung verwirklicht, durch eine in Aussicht stehende größere Schenkung das Capital auf eine Million zu bringen, so würde die Stiftung, einschließlich der laufenden Beiträge, jährlich über etwa siebenzig- bis achtzigtausend Thaler verfügen und damit manche Thräne trocknen können. Nicht mit in Anschlag kommen hierbei die Mittel und die Thätigkeit der zahlreichen Zweigvereine, von denen jeder seinen besonderen Wirkungskreis behält.

Wie glücklich die Idee der Kronprinzessin war, einen Bazar zum Besten der Stiftung zu veranstalten, beweist der Erfolg: es sind nahe an vierzigtausend Thaler eingenommen worden. Die Theilnahme war allerdings eine überaus große. Reiche Gaben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_300.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)