Seite:Die Gartenlaube (1867) 363.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

‚Der Dichter hat sich’s mit der von Ihnen gestern dargestellten Zähmung einer bösen Sieben ziemlich leicht gemacht. Das Kunststück dürfte in dieser Weise bei mancher Anderen nicht anschlagen. Bei mir z. B. schwerlich. Die Art, wie Sie den Petrucchio gaben, muß in meinen Augen eine Verbesserung des Dichters genannt werden, wenigstens der auf englischen Theatern üblichen Auffassung dieser Rolle. Ich möchte mit Ihnen darüber ein Weiteres reden und erwarte Sie zu diesem Behufe morgen Nachmittag um drei Uhr zu Hause zu finden.

Eine alte Theatergängerin.‘

Nun bangte mir erbärmlich vor dieser Zusammenkunft. Gewiß eine alte, grundhäßliche, halb übergeschnappte Kunstenthusiastin, die Dich langweilen und sich die Zeit vertreiben will, – dachte ich. Allein ausweichen durfte ich ihr nicht, da die Beliebtheit eines Schauspielers mitunter durch Intriguen im Publicum gefährdet werden kann. Wer beschreibt also mein Erstaunen, als zur festgesetzten Zeit ein bildhübsches, wenn auch nicht mehr ganz junges Mädchen bei mir eintritt! Ich war in der äußersten Verlegenheit, zumal die bescheidene Einrichtung meiner Wohnung mich beschämte. Diese meine Verlegenheit wuchs von Secunde zu Secunde, als ich an den ersten Tönen ihrer warmen wohlklingenden Stimme merkte, daß sie trotz alles angezwungenen Muthes leise zitterte.

‚Sie werden wissen wollen, wer so ungesucht bei Ihnen vorspricht,‘ sagte sie, indeß ich sie auf meinen einzigen Polsterstuhl geleitete, während ich mich auf einem Holzstuhle ohne Rückenlehne niederließ, um dadurch zugleich eine schwache Seite meines Haushaltes zu verdecken.

‚Gewiß, wenn ich so unbescheiden sein darf.‘

‚Ich bin eine in Amerika geborene Deutsche, die frühzeitig ihre Eltern verloren und deswegen eine ganz englische Erziehung genossen hat. Wenn ich mein bischen Deutsch nicht ganz vergessen, vielmehr recht lieb gewonnen habe, so verdanke ich das Ihnen.‘

‚Mir? – Sie machen mich schamroth.‘

‚Ihnen. Seit ich Sie, schon bei Ihrem ersten Auftreten hier, gesehen habe, versäumte ich keine einzige Ihrer Darstellungen, weil meine Muttersprache aus Ihrem Munde mir so viel besser klang als das Englische und weil Ihre Auffassung Shakespeare’scher Charaktere mich eine über die landläufige englischer Schauspieler weit erhabene dünkte. Seitdem studire ich Deutsch mit Leidenschaft; seitdem bin ich – ein gewiß seltener Fall unter den eingebornen Deutschen – stolz darauf, eine Deutsche zu sein.‘

‚Sie haben Grund dazu, mein Fräulein. Die deutsche Nation ist trotz aller ihrer großen Schwächen dennoch die erste in der Welt.‘

Wir schwärmten eine lange Stunde in Patriotismus und Kunsterinnerungen. Ich Esel merkte noch immer nicht – so unglaublich das Ihnen auch vorkommen wird – daß das hübsche Kind in mich verliebt war. Ich hätte ihr wenigstens drei Viertel des Weges zur Erklärung dessen entgegenkommen sollen, und ich erschwerte ihr dieselbe auf eine unverantwortliche Weise. Aus meiner unbefangenen Art mit ihr zu reden mußte sie natürlich am Ende schließen, daß mein Herz vergeben sei, und so beurlaubte sie sich endlich mit dem großmüthigen Anerbieten ihrer Geldmittel, welche sie mir unbeschränkt zur Verfügung stellte, da sie an irdischen Gütern hinlänglich gesegnet sei.

Auch das wird Ihnen unglaublich vorkommen, daß ich von diesem Anerbieten Gebrauch machte. Ich wollte gern eine Kunstreise durch Nordamerika und Deutschland machen, um mich dabei in meinem Fache zu vervollkommnen, und ich nahm die Mittel dazu von ihr an. Bei den zahlreichen Zusammenkünften unter vier Augen, die ich vor meiner Abreise mit ihr hielt, hätte man eine allmähliche Annäherung an einander erwarten sollen, die von selbst zur Liebeserklärung führte. Aber sie beherrschte sich von nun an meisterhaft, und ich lebte ausschließlich in meinem Kunsteifer, und da sie einen so reichausgebildeten Geist hatte, gab es immer zwischen uns Gesprächsstoff genug, der als Blitzableiter der Liebesleidenschaft dienen konnte, so daß ich nur die reine Wahrheit ausspreche, wenn ich sage, wir waren am Ende weiter von einander entfernt als am Anfange. Ich war anderthalb Jahre auf Reisen. Ich kehrte zurück und fand in ihrer Gesellschaft öfter einen jungen Kaufmann, der ihr offenbar den Hof machte, und mit dem sie ein klein wenig schönthat.

‚Alice,‘ sagte ich endlich zu ihr, und die Gluth der Eifersucht stieg mir in die Wangen – ‚so oft ich den Gecken bei Ihnen sehe, ist mir, als müsse ich ihn kopfüber zur Thür hinauswerfen.‘

Sie sah mich eine lange Weile stumm an und Ironie und Erstaunen schienen in ihren Zügen abzuwechseln. Endlich war sie ihrer Sache gewiß und sagte trocken: ‚Ei, warum thun Sie’s denn nicht?‘

Da fiel mir’s wie Schuppen von den Augen. Ich wurde glühendroth. Ich schlug mir mit der geballten Faust vor den Hirnschädel, als wenn ich sagen wollte: O du Mammuth von einem Dummkopf! O du Leviathan von einem Gimpel! O du Nonplusultra eines blinden Hessen! Dann erst gewann ich die Sprache. ‚Erst heute wage ich, Ihnen, Alice, gegenüber an Liebe zu denken!‘

‚Und ich koche für Dich Eisberg schon seit Jahren wie ein Vulcan!‘ rief sie schalkhaft. ‚Ich glaube gar, wenn ich nicht mit dem Stutzer ein wenig Komödie gespielt hätte, Du wärest nie in Fluß gekommen!‘

‚Das aber will ich jetzt mit einem Male nachholen!‘

Die Sündfluth feuriger Liebeserklärungen, mit der ich nunmehr dieses Gelübde erfüllte, gehört jedoch nicht hierher. Der Vorhang fällt, sobald das Jawort gefallen und das wahre Stück des Lebens geht erst an, wenn das Vorspiel, das gewöhnlich allein auf die Breter kommt, die die Welt bedeuten, geschlossen ist.“

Soweit unser Komiker.




Der Blutritt.


„Herr Pater, verzeihet mir eine Frage. Wir gehen heut’ wieder zur Weingartener Procession des heiligen Blutes, und es ist mein fünfzigst Mal heut’, daß ich den Bittgang mitmache. Und gerade da drüben, wo der vierte Evangeliumsaltar steht, sind meine Felder hart daran, und noch jedes Jahr sind meine Rosse dabei gewesen, denn in jüngern Jahren ritt ich sie selbst mit meinen Knechten und später mit meinen Buben, die auch heut’ beim Zug sind. Aber, Herr Pater, die Verheißung von dem heiligen Wunder, daß die Felder, die damit gesegnet sind, vor Gewitterschaden und Hagelschlag, und die Rosse, die dabei geritten und geführt werden, vor Krankheit bewahrt wären dasselbige ganze Jahr, das hat sich an dem Meinigen halt doch nicht allweil erwiesen. Und da wollt’ ich Euch fragen, Herr Pater, was ist wohl daran schuld?“

„Daß Ihr’s wisset, Alter, das heilige Gottesblut ist nicht schuld daran, sondern die schlechte Welt, die keinen Glauben mehr hat an das Wunder. Haben sie nicht drüben im Badischen sogar den Glauben vertrieben aus den Schulen? Wie soll der Glaube wachsen in den Kinderherzen, wo die Schule nicht im Schatten der heiligen Kirche steht? Und habet Ihr nicht selbst gezweifelt an dem Wunder? So weit ist schon der Same des Unkrauts geflogen, den sie drüben ausstreuen zum Verderben der heiligen Kirche und ihrer geweiheten Diener. Soll das heilige Blut freudig Wunder thun an Undankbaren, die den Zorn Gottes verdient haben? Ihr selbst seid schuld am Schaden Euerer Felder und Rosse, das wisset, Alter!“

Schweigend und gebeugten Hauptes schritt der alte Bauersmann seines Wegs, und stolz und selbstbewußt erhob der Mönch das Auge zum Himmel. Als er mich, den städtischen Fremden, als einen Zeugen seiner Lehre in der dahinwandelnden Schaar sah, warf er mir einen unfreundlichen Blick zu und wandte sein Antlitz ab.

Das geschah vor wenigen Jahren an einem Himmelfahrtstage auf dem Wege vom Ravensburger Bahnhofe nach dem Marktflecken Altdorf in Oberschwaben, der heute so belebt war, wie seit Jahrhunderten an diesem Tage, denn es ist der Vorabend eines der berühmtesten Kirchenfeste jener Lande: des Blutritts von Weingarten.

Wenn das Alter allein eine Sache heiligen könnte, so würde die Reliquienverehrung den vollsten Anspruch darauf haben: in etwa dreißig Jahren kann dieselbe ihr dreizehnhundertjähriges Jubiläum begehen. Der erste Papst des Namens Gregor, der

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_363.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)