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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 28.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Die Regierungsräthin hatte mit dem weichsten Ton ihrer flötenartigen Stimme gesprochen und bot dem Professor lieblich lächelnd die Hand. Sonderbar, der ernste Mann erröthete wie ein junges Mädchen – es war ihm wohl selbst unbewußt, daß ein scheuer Seitenblick rasch nach der hinüberstreifte, die mit gesenkten Lidern am Bett des Kindes saß – er erfaßte zögernd die Hand mit zwei Fingern und ließ sie sofort wieder fallen… Die zwei Taubenaugen, welche bittend und unverwandt auf seinem Gesicht geruht hatten, funkelten auf, und das Gesicht erblaßte, aber die Sanftmuth wurde tapfer behauptet. Die junge Frau nahm den Kopf ihres Kindes zwischen ihre Hände und hauchte einen Kuß auf die kleine, fieberglühende Stirn.

„Ich kann nun Aennchens Pflege wieder übernehmen und danke Ihnen herzlich, liebe Caroline, daß Sie mich einstweilen vertreten haben,“ sagte sie freundlich zu Felicitas.

Das junge Mädchen erhob sich rasch, aber die Kleine brach in ein bitterliches Weinen aus und umklammerte mit beiden Händchen fest ihren Arm.

Der Professor prüfte den Puls des Kindes.

„Sie hat starkes Fieber; ich darf durchaus nicht zulassen, daß sie sich noch mehr aufregt,“ sagte er mit kalter Freundlichkeit zu Felicitas. „Sie bringen wohl das Opfer, dazubleiben, bis sie eingeschlafen sein wird?“

Sie nahm schweigend ihren Platz wieder ein, und er ging hinaus. Zu gleicher Zeit eilte die Regierungsräthin in ihr Wohnzimmer und ließ die Thür hinter sich ziemlich unsanft in’s Schloß fallen. Felicitas hörte, wie sie drin mit raschen Schritten auf und nieder lief. Plötzlich klang ein scharfes Geräusch wie das Zerreißen irgend eines Gewebes durch die Thür. Aennchen richtete sich horchend auf und fing an zu zittern; das Geräusch wiederholte sich und folgte immer rascher aufeinander.

„Mama, Aennchen will artig sein, will’s nicht wieder thun! Ach, Mama, Aennchen nicht patschen!“ rief das Kind plötzlich wie außer sich.

In dem Augenblick trat Rosa in das Zimmer. Das frische Gesicht des Mädchens sah blaß und erschreckt aus.

„Sie zerreißt wieder einmal – ich hörte es auf dem Vorplatz,“ murmelte sie mit einem unsäglich verächtlichen Ausdruck zu Felicitas hinüber. „Still, Herzchen,“ flüsterte sie dem Kind beschwichtigend zu, „Mama thut Dir nichts; sie kommt nicht heraus und wird bald wieder gut.“

Drüben wurde eine Thür zugeschlagen, die Regierungsräthin hatte sich entfernt. Rosa ging in das Wohnzimmer und kam gleich darauf mit einem Bündel weißer Fetzen in der Hand zurück – es waren die Ueberreste eines ehemaligen Battisttaschentuches.

„Wenn sie in Wuth kommt, so kennt sie sich selbst nicht mehr!“ grollte das Mädchen flüsternd. „Da zerreißt sie, was sie gerade unter den Händen hat, und schlägt auch ohne Gnade und Barmherzigkeit zu – das weiß der arme, kleine Tropf da recht gut.“

Felicitas drückte das Kind an ihre Brust, als müsse sie es vor den Zornausbrüchen der leidenschaftlichen Mutter schützen, ihre Besorgniß war jedoch ohne Grund. Die Stimme der Regierungsräthin klang plötzlich in ihrer Glockenreinheit vom Vorsaal her; sie plauderte heiter mit dem die Treppe herabkommenden Rechtsanwalt, und als sie bald darauf das Schlafzimmer wieder betrat, war ihr Aussehen schöner und anmuthiger denn je. Die Zornröthe lag noch als zart hingehauchter Carmin auf den sanft gerundeten Wangen, und wer hätte bei dem ganzen lieblichen Gesichtsausdruck den auffallenden Glanz der Augen für etwas Anderes als die erhöhten Regungen einer schönen weiblichen Seele halten mögen?


16.

Als Felicitas auf das Ersuchen des Professors hin den Platz an Anna’s Bett wieder einnahm, hätte sie nicht gedacht, daß sie ein vieltägiges Wärteramt antrete – die Kleine wurde gefährlich krank und litt weder ihre Mutter noch Rosa in ihrer Nähe; nur der Professor und Felicitas durften sie berühren und ihr die Medicin reichen. In ihren Fieberphantasieen spielte das zerrissene Battisttuch eine große Rolle. Der Professor hörte mit Verwunderung die Angst- und Furchtäußerungen des Kindes und jagte mehr als einmal durch seine eindringlichen, forschenden Fragen die Röthe des Schreckens und der Verlegenheit in das Gesicht der Regierungsräthin. Sie blieb aber, von Rosa unterstützt, stets bei dem Ausspruch, daß Aennchen einen schlimmen Traum gehabt haben müsse.

Felicitas fand sich rasch in ihre Aufgabe als Pflegerin, obgleich ihr dieselbe anfänglich durch den stündlichen Verkehr mit dem Professor sehr erschwert wurde, aber die Sorge um das Leben des Kindes, die sie mit ihm theilte, half ihr schneller über das Peinliche ihrer Situation, als sie meinte. Es kam ihr selbst höchst wunderbar vor, wie gut sie ihn in seinem Wesen als Arzt verstand. Während er den Anderen, selbst der Mutter des Kindes, undurchdringlich erschien, wußte sie stets sofort, ob er die Gefahr gesteigert fand oder Hoffnung schöpfte. Deshalb bedurfte es aber auch fast nie eines erklärenden Wortes seinerseits, um sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_433.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)