Seite:Die Gartenlaube (1867) 448.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

anders sagen und machen? Mit leeren Händen durfte ich unmöglich zum Regimente zurückkehren. ‚Schaffen Sie, Herr, oder Sie machen Bekanntschaft mit Pallasch und Lanze. Rasch, ohne Verzug!‘

‚Nun, eine Kuh, und noch dazu die schönste im Dorfe, wüßte ich wohl noch. Freilich, sie gehört einer armen Wittwe und Sie sind gewiß zu gute Christen, als daß Sie sich an solchem Gut vergreifen möchten.‘ Ich sah den Sprecher scharf an und es schien mir, als laure der offenbare Hohn und Spott aus seinen Augen. ‚Du sollst mich nicht betrügen, alter Gauner, und obenein noch auslachen,‘ dachte ich im Stillen, laut aber rief ich: ‚Maul halten, vorwärts, wo wohnt das Weib mit der Kuh? Führt mich selbst hin.‘ Er schritt voran, ich folgte mit einigen meiner Leute, die anderen mußten sämmtliche Gehöfte des Dorfes durchsuchen.

Es war mir ein äußerst widerlicher Gedanke, eine arme Wittwe zu berauben. Unwillkürlich kam mir das in der Jugend gelernte Gedicht von Frau Magdalis und ihrer Kuh in den Sinn und im Geiste sah ich jetzt einen ähnlichen Jammer in der Hütte der Armen ausbrechen, wie bei jener. Immer noch tröstete ich mich aber mit dem Gedanken: Man hat dich belogen, die Frau besitzt keine Kuh, noch weniger die beste des Dorfes, und war wirklich eine solche ihr Eigenthum, so hat sie das Schicksal der andern Wiederkäuer getheilt.

Aber zu meinem äußersten Leidwesen hatte der alte Sünder die Wahrheit gesprochen. Als wir fast das Ende des Dorfes und die Hütte erreicht hatten, ließ sich ganz deutlich das Brüllen einer Kuh vernehmen. ‚Nun, Herr?‘ rief der Bauer, ‚habe ich die Wahrheit gesagt? Wie kräftig schreit das Vieh! Ja, es ist das schönste Stück und jetzt das einzige im ganzen Dorfe. Ich kann’s Euch am Ende nicht verdenken, wenn Ihr es wegnehmt, trotz Wittwe und Waise. Es geschieht dem hartnäckigen Weibe ganz recht. Habe ich selbst ihr nicht vor Monatsfrist noch für die Kuh ein tüchtig Stück Geld geboten? aber es war mit der Thörin nichts anzufangen. Solch’ Bettelvolk ist zäh wie Leder; nun muß sie dieselbe umsonst hergeben!‘

Als wir in die Hütte getreten und unser Anliegen vorgebracht, erblaßte die ohnehin höchst erschrockene Frau zu Tode, schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und brach in lauten Jammer aus. Sie warf sich mit den Kindern vor mir auf die Kniee, ergriff meine Hände und flehte inbrünstig: ‚Gnade. Herr, mit uns Armen! Vater ist todt und die Kuh ist unsere einzige Hülfe und Rettung, der unversiechliche Oelkrug der Wittwe in der heil’gen Schrift. Kommen und sehen Sie das liebe prächtige Thier. Ich selbst habe es aufgezogen, gespeist und getränkt, gehegt und gepflegt von seiner Jugend an, und jetzt dankt es mir, indem es uns vor dem Hungertode bewahrt. Gestern noch übten Ihre Landsleute Barmherzigkeit an uns und gingen an dem Hause gnädig vorüber; thun Sie ein Gleiches, ich bin eine verlassene Wittwe mit vier Waisen dazu,‘ – setzte sie leise hinzu – ‚eine Deutsche, Ihre Glaubensgenossin!‘

Ich stand rathlos, mein Herz krampfte in der Brust; aber nicht lange, und ich hatte meinen Entschluß gefaßt, ‚Cameraden,‘ rief ich meinen Begleitern zu, ‚wer Muth und Courage hat, der ergreife das Thier, ich selbst bin dazu außer Stande und wenn es eine Kugel vor den Kopf gelten sollte!‘ Aber zur Ehre der Braven muß gesagt werden: Alle verließen voll Mitleids die Hütte der Armuth und Niemand vergriff sich trotz Noth und Gebot am Eigenthum einer bedrängten Wittwe.

Wir waren nur wenige Schritte zurückgegangen, als einer meiner ausgesandten Leute eilig herbeikam und mir mit leiser Stimme die Meldung machte, daß in dem Gehöfte des Schulzen selbst, aber in tiefster Verborgenheit, eine bedeutende Anzahl Rindvieh entdeckt worden sei. Der alte Sünder mußte den Inhalt der Botschaft ahnen, denn seine bisherige Dreistigkeit und scheinbare Sicherheit schwanden immer mehr und machten einem sehr besorgten und ängstlichen Gesichte Platz. Urplötzlich that er einen wahrhaft thierischen Schrei. Wir waren an seinem Gute angekommen, hatten einen ungehinderten Einblick durch das offene Hofthor und sahen innerhalb der Palissaden-Einfriedigung den ganzen, so hartnäckig geleugneten und listig verborgenen Viehstand des schlauen Gauners: zwei kräftige Zugochsen, vier Milchkühe und fünf Stück Jungvieh, von den Schweinen abgesehen.

Mehrere meiner schlauen Bursche hatten das Versteck des Viehes ausspionirt, die harmlosen Wiederkäuer aus ihrer Verborgenheit gezogen und hier öffentlich und im lauten Triumphe aufgestellt. Ein wenig auf die Spur mochten sie ja wohl geleitet worden sein. Wer hat nicht seine Feinde, besonders widerwärtige und boshafte Menschen!

‚Ha,‘ schrie deshalb der Bauer, ‚das ist Verrath! Aber nun will ich auch Gleiches mit Gleichem vergelten und Niemand schonen!‘ Bei diesen Worten nannte er eine Menge Namen der Eigenthümer von verstecktem Rindvieh und wies mit Fingern auf die umherstehenden, gaffenden Nachbarn. Ich aber sah den alten Gauner mit ernster Miene an, dann rief ich voll tiefen Unwillens: ‚Kennt Ihr die Geschichte vom reichen und armen Mann im Evangelio? Es ist Eure Geschichte, die Härte des Reichen dort gegen den Armen Eure Härte gegen Wittwen und Waisen; aber wie jener Sünder nicht ohne Strafe verblieb, so sollt auch Ihr Euer Theil erhalten, und wenn dieses gnädiger ist, als Ihr verdient, so dankt es unserer Großmuth. Auch will ich selbst aus jener heiligen Geschichte und aus Euerm unchristlichen Thun etwas gelernt haben und mag Euer Richter weiter nicht sein. In Mangel und Noth sind wir, und Schlachtvieh müssen wir haben, und so nehme ich kraft meines Amtes und Auftrages von Euerm Viehbestand drei Kühe und drei Rinder, lasse Euch aber eine Milchkuh, zwei Rinder und die Zugochsen, als unentbehrlich für den Haushalt und die Wirthschaft. Ich könnte Euch ohne alle Rücksicht sämmtliches Vieh entführen, eine solche Strafe hätte Eure Schlechtigkeit wohl verdient, jedoch ich will Gnade für Recht ergehen lassen. Bedanket Euch deshalb für gnädige Strafe und ein andermal schützt Wittwen und Waisen, anstatt sie zu bedrücken und zu berauben.‘

Er machte zwar Versuche zum Reden, aber es blieben so unvollkommene, daß ich bis heute in Ungewißheit bin, ob es gute oder böse, Dankes- oder Fluchworte waren. Nun, sie haben mich nicht sehr bekümmert, wohl aber das laute Geschrei, der Hülferuf aus dem Dorfe kurze Zeit darauf. Meine zuletzt noch nachkommenden Leute, welche mehrere Wagen voll Brods mit sich führten, erklärten, daß die erzürnten Nachbarn ihrem schelmischen Schulzen eine kleine Collation verabreichten. Ich aber hatte weder Zeit noch Lust, ihren Eifer zu dämpfen, sondern eilte mit meinen erbeuteten Vorräthen zu den vor Hunger und Durst schmachtenden Kriegern.“




Unmenschlichkeit gegen Auswanderer. Die Unmenschlichkeit, mit der man auf dem Land- wie namentlich auf dem Seetransport die Aermeren der in Amerika eine neue Heimath Suchenden zu behandeln pflegt, ist leider eine alte Klage und scheint es bleiben zu wollen, wie oft und wie laut auch schon die Presse dagegen ihre Stimme erhoben hat. Alle diese Unbarmherzigkeiten und Grausamkeiten aber werden vielleicht von den Scenen überboten, die ein amerikanisches Blatt unter dem 3. Juni gelegentlich eines wenige Tage vorher beförderten Emigrantenzuges zu erzählen hat. Die Barbarei, mit der man dabei gegen die unglücklichen Auswanderer verfuhr, ist so entsetzlich, daß sie uns kaum glaublich erscheint und wir die Verantwortlichkeit für das nachstehend Berichtete lediglich unserer Quelle, dem Guelph. Advertiser, überlassen müssen:

„Am letzten Sonntag,“ schreibt die erwähnte Zeitung, „kurz nach Tisch passirte ein nach den Weststaaten bestimmter langer und schwer beladener Auswandererzug unsern Ort. Wohl acht- bis neunhundert Personen waren in zehn gewöhnliche Getreidewagen gepfercht, deren Thüren man zur Hälfte mit Bretern zugenagelt hatte und in denen sich nur ganz oben in der Rückwand ein einziges kleines viereckiges Luftloch befand. Diese Wagen dienen in der Regel blos zur Beförderung von Getreide und ähnlichen leblosen Gegenständen und sind deshalb fast hermetisch dicht construirt. Rinder oder Schweine würden darin ersticken, ihnen weist man gehörig ventilirte, halboffene Waggons an, für die armen Auswanderer aber, sämmtlich Deutsche, waren die Behältnisse gut genug, und in ihnen, in diesen Marterkästen, welche der Hölle der berüchtigten schwarzen Höhle in Ostindien nicht viel nachgeben dürften, hatten sie den ganzen weiten Weg von Point Levi bei Quebec in Canada zurücklegen, wenigstens drei Tage und drei Nächte fahren müssen! Von nur der Spur eines Sitzes war nicht die Rede, und selbst wenn man Sitzplätze zur Hand gehabt, so hätte doch Niemand davon Gebrauch machen können; selbst stehend waren sie ja so eng aneinander gepreßt, daß kein Mensch ein Glied rühren konnte. Den kleinern Kindern, den Mädchen und Frauen einen besonderen Wagen zu geben oder ihnen so viel Raum zu gönnen, daß sie sich ab und zu abwechselnd einmal niedersetzen und ihre schmerzenden Glieder etwas ausruhen konnten, daran hatte man nicht gedacht.

Jeder, der längere Strecken auf Eisenbahnen gefahren ist, weiß, wie erquickend es ist, von Zeit zu Zeit einen Trunk frischen Wassers zu erhalten, denn Hitze und Staub eines gefüllten Waggons zusammen lassen uns nach diesem Labsale lechzen, wie den Fisch auf dem Trockenen. Unsere armen Auswanderer waren, als sie Guelph erreichten, halb verschmachtet, und als sie auf dem Perron einige Krüge und Eimer voll Wasser erblickten, die man für sie zurechtgestellt hatte, sprangen, noch ehe ihnen die Gefäße heraufgereicht werden konnten, sofort Mehrere über die Breterbaricaden der Wagenthüren hinunter. Die wenigen Krüge, die man an die Waggons brachte, wurden von den Vornstehenden in Beschlag genommen, die ihre Köpfe bis fast an die Ohren darin versenkten und gierig das ersehnte Labsal hinabstürzten. Währenddem ertönte aus der Mitte der Karren heraus das herzzerreißendste Jammergeschrei von den Müttern, die um einen Trunk für ihre kleinen Kinder baten, dazwischen wimmerten diese selbst und jammerten die alten Männer und die Frauen, die um die Wette ihre Hände nach den Wasserkannen ausstreckten – es war ein Schauspiel, das Einem durch die Seele schnitt. ‚Wasser! Wasser! Ach, Wasser geben!‘ so klang es von allen Seiten; doch umsonst, denn schon ließ sich die barsche Stimme des Schaffners vernehmen: ‚Keine Zeit mehr dazu! Vorwärts, vorwärts!‘ und bereits begann die Locomotive zu pfeifen. Von Neuem und stärker hob nun das Jammergeschrei an, flehentlicher wurden die Hände ausgestreckt, ängstlicher die Gesichter. ‚Wir verdursten, wir verdursten! Ach, Wasser, Wasser!‘ so ging es in den rührendsten Tönen. Aber der Zug brauste ab und rasselte durch die Stadt, vom Fluche sämmtlicher Umstehenden begleitet, welche das eben Erlebte für die schmachvollste Scene erklärten, von der sie je Zeuge gewesen.“

Die Geschichte bedarf eines Commentars nicht; sie schreit laut genug zum Himmel, wenn wir auch zur Ehre der Menschheit annehmen wollen, daß die erzählten Einzelheiten etwas übertrieben sind. Das aber vermögen wir nicht zu begreifen, warum die Umstehenden, die doch als von dem Schauspiel so ergriffen geschildert werden, der Barbarei nicht energisch Einhalt thaten; man ist doch sonst in Amerika mit der Selbstjustiz rasch genug bei der Hand. Doch freilich, es waren eben Deutsche, Dutchmen, um deren willen man sich nicht gern in Ungelegenheiten bringt! Und was sagen die deutschen Consuln und diplomatischen Vertreter in Amerika zu der Sache, – mehr noch, was thun sie dagegen, was haben sie gethan, daß nicht den ersten besten Tag ähnliche Scenen wieder vorkommen können?




Inhalt: Das Geheimniß der alten Mamsell. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Der königliche Verbannte in Hietzing. Mit Abbildung. – Gefängnißleben zur Schreckenszeit. Von Johannes Scherr. (Schluß.) – Die Insel-Republik deutscher Künstler. Von Erwin Förster. – Die beiden jungen Weltbürger des Dresdener Thiergartens. Mit Abbildung. – Die Epilepsie oder Fallsucht. Zu: Gedanken über das Curiren von Krankheiten. Von Bock. – Blätter und Blüthen: Eine Requisition. – Unmenschlichkeit gegen Auswanderer.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_448.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)