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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Schrecken die Hündchen bei ungewöhnlichen Erscheinungen oder bei raschem Eintritt in den Stall furchtsam zurück, winseln oder schreien sie leicht beim Emporheben an der Nackenhaut, so ist dies gewöhnlich ein sicheres Zeichen, daß sie sich weder durch besondere Beherztheit, noch durch Unempfindlichkeit auszeichnen werden. Die entgegengesetzten Eigenschaften bekunden die Kleinen aber gar bald durch ihr Gebahren in Stall und Hof. Empfangen sie durch entschiedenes Gebell den zu ihnen in den Stall Kommenden und gehen sie auf Alles offen und ohne besonderes Zagen los, so verspricht dies ebensowohl Selbstständigkeit und Muth, als Wachsamkeit. Die Feinheit der Nase verräth sich schon in den ersten Monaten. Eine hohe Stirn und eine breite Schädelbildung zeigen nicht allein Verstand, sondern auch einen guten Witterungssinn an, da die Schädelhöhle den Raum für das Gehirn und die Ausbreitung des Riechnervs von der Schleimhaut der Nase aufwärts in’s Gehirn abgiebt. Der scharfe Geruch steht in unmittelbarem Verhältniß zur Größe seines entsprechenden Nervs. Eine breite Nase mit starken Nüstern und ein hoch und breit gewölbter Schädel werden uns also die Wahrscheinlichkeit bieten, daß auch die dieser äußeren Form entsprechenden inneren Organe, der Sitz der Intelligenz und derjenige Sinn sich tüchtig entwickeln können, welcher uns an unserem Thiere so vieles Vergnügen und so großen Nutzen gewährt.

Soll uns das Temperament einen Entscheidungsgrund für die Wahl eines jungen Hundes abgeben, so hat man sich hierbei vor Täuschungen zu hüten. Schläfrigkeit und Trägheit offenbaren sich gar bald als die Begleiter von Geistlosigkeit, während man dagegen jedes lebhafte Wesen in seinen einzelnen Kundgebungen wohl zu beobachten und zu unterscheiden trachten muß. Starkmüthigkeit, desgleichen ein frohmüthiges Wesen sind wohl zu trennen von Ueberreizung, die gewöhnlich Bosheit und Launenhaftigkeit begleiten. Die Ruthe ist auch hier, neben anderem untrüglichen Gebahren, wieder der treueste Telegraph der Seele. Ein bissiger Hund wird nie mit der Offenmüthigkeit, dem entschiedenen Wedeln und dem hellen und frohen Gebell uns entgegenkommen. Dem Kenner verräth sich ein hinterlistiger, zorniger Charakter in einem kurz abgesetzten Wedeln, das oft ein Emporrecken oder ein kaum merkliches Abwärtskrümmen des sprechenden Gliedes und ein mehr verstecktes Gebell und Geknurr unterbricht. Sträubt das Thier dabei schon frühe und leicht die Haare über Rücken und Hals und fletscht es die Zähne, so empfiehlt es sich wenig oder gar nicht zur Zucht. Besonders beim Spiel und Gebalge mit den Geschwistern offenbart sich der bissige und unfriedfertige Hund gar bald, wie durch urplötzlichen Zorn, hinterlistiges Beißen und dergleichen mehr. Eine verschlossene, jähzornige Natur versteht eben keinen Spaß, ihr fehlt der Humor, und gerade diesen findet der eingeweihte Blick auch in unserem begabten Thiercharakter nicht selten so schön ausgeprägt. Uebrigens verwirft man ein hitziges Temperament bei manchen Racen nicht unbedingt, ja man betrachtet dessen nicht zu starkes Vorwalten, wie z. B. beim Dächsel, Pinscher u. a., als eine Eigenthümlichkeit oder Bevorzugung. – Sehr zu trennen ist von Offenmüthigkeit und Lebhaftigkeit ein Zuviel der Ruthe, jenes schwer zu beschreibende und doch so sichtliche unterwürfisch-kriechende Wesen, was wir mit dem Worte „hündisch“ bezeichnen, was aber eher der leider schon so viele Generationen andauernden tyrannischen Behandlung, als dem angeborenen Grundcharakter unseres Thieres zuzuschreiben sein wird. Ein ebenso entschieden selbstbewußtes wie offen-freundliches Betragen ist gemeiniglich die Form, unter der sich der liebenswürdige Normalcharakter unseres Thieres kundgiebt, und hiernach soll man vorzugsweise seinen Hund wählen. Schönheit in Gestalt, Farbe und Zeichnung kommen ebenfalls, aber nicht in erster Reihe, in Betracht. Geschmack und Mode dehnen nur zu leicht auch hier ihre Herrschaft aus und verdrängen nicht selten tiefere Einsicht. Im Allgemeinen läßt sich der Kenner durch Farbe und regelmäßige Zeichnung nicht bestechen; obgleich bei reinen Racen auch bestimmte Grundfarben obwalten, die immerhin der Beachtung werth sind.

Gesetzt, wir haben uns nach diesen allgemeinen Merkmalen ein junges Thier irgend einer Race gewählt, so werden wir uns, wenn irgend menschliches Gefühl in uns wohnt, von der oft unerklärlichen Launenhaftigkeit und Modesucht, mehr von der Grausamkeit emancipiren, unserem Thiere Ruthe und Ohren zu beschneiden. Vom Pinscher aufwärts bis zum Bullenbeißer paradiren unsere lieben Begleiter in abgestutzten Ohren, der Hühnerhund entbehrt nicht selten noch eines guten Theils seiner Ruthe, der Pudel wird oft als wahres Phantasiestück beschnitten und zurechtgestutzt, wie die Taxushecken und Laubgänge ehemaliger französischer Anlagen. Ein gewisses Scheeren langhaariger Racen mag zuweilen gerechtfertigt sein, aber das läßt sich physiologisch und psychologisch darthun, daß mit jedem Stück der Ruthe dem Hunde ein Theil seiner Physiognomie, ein Glied seiner Geberdensprache und daß durch das Beschneiden der Ohren dem Thiere ein nicht unwesentlicher Schutz dieses wichtigen Organs genommen wird. Der wahre Kenner und Freund unseres Hundes wird also Ohr und Ruthe als unentbehrliche Mitgift der Natur unbehelligt lassen.

Es sei – gemäß unserer trefflichen Illustration – unsere Wahl auf ein junges Hühnerhündchen von langhaariger Race gefallen. Dasselbe trägt noch das Wollkleid der zarten Kinderjahre, das, im ersten Werden der Langhaarigkeit begriffen, dem Kerlchen etwas Biderb-Drolliges verleiht. Die pfauchende Ente hat unter dem Hollunderbusch eine Schaar Entchen ausgebrütet, aber diese werden, wie die Küchelchen von der Henne auf dem Hofe, von der federsträubenden, zornigen Brutente nur zu sehr bewacht. Das Kratzen und die Schnabelhiebe der tapferen Frau „Glucke“ hat unser kleiner Springinsfeld selbst durch sein dickes Wollkleid hindurch schon zum Oefteren empfunden, wenn er einen Angriff auf das junge Völkchen gewagt, sei es nun in der harmlosen Absicht des Spieles, sei es in dem sich regenden Jagdeifer und dem auftauchenden Gelüste, ein ernstlicheres Attentat an dem jungen Federvieh zu verüben. Heute hat er wieder einem solchen heimlichen Gelüste entschiedener als zuvor Raum gegeben, und wir sehen den Kindskopf – dessen Gesicht aber ebenso große Offenheit, wie seine hochgewölbte Stirn Begabung bekundet – in eifrigem Verfolgen eines von der Alten getrennten Trupps Entchen begriffen. Wie das behagt in der warmen, lebhaften Hingabe des Augenblicks, in dem natürlichen, ungebundenen Feuer zur Jagd! O glücklich vergeßliche Hundejugend! wie verzeihlich ist deine heutige Regung, zu der du dich trotz der Verwarnungen, welche dir dein aufmerksamer Freund vielleicht schon mehrmals im Hofe bei ähnlichen Knabenstreichen gegeben, wiederum vom ungestümen Feuer deiner langhaarigen Race hinreißen lässest! Wie wird dir das dicke Röckchen ausgeklopft werden, wenn dich das Auge deines Herrn bemerkt! Gewiß, Carochen, du mußt aus dem glücklichen Raum der Freiheit und Ungebundenheit in den Zwang und Drang der Erziehung, der Schule! Aber sei getrost, du kommst weder in den Zwinger von System und Methode, noch in die Zwangsjacke der Pedanterie! Dir wird eine lebendige, natürliche Erziehung unter der Hand der Freimüthigkeit und Milde zu Theil werden, wie wir sie in einer spätern Nummer der Gartenlaube zu entwickeln gedenken.




Eine Stunde auf der Berliner Börse.


Der Fremde, der zum ersten Male Berlin durchwandert und etwa zehn Minuten vor zwölf Uhr auf der Colonnade des herrlichen Neuen Museums tretend über die neue Friedrichsbrücke schaut, erblickt am jenseitigen Ufer einen prächtigen Palast im Renaissancestil, mit doppelter Fronte, korinthischen Säulen, mit symbolischen weiblichen Statuen-Gruppen, mit einem schönen Säulengange. Dort stehen ernst blickende Männer in lebhaftem Gespräche, ihrer Rede durch beweglichste Geberde Nachdruck verleihend; zu ihnen gesellen sich Neuankommende; Equipagen und Droschken fahren vor, aus denen elegant gekleidete, meistens jüngere Männer steigen und sofort mit den Wartenden in eifriges Gespräch treten, und wohl mag der mit den Oertlichkeiten wenig Vertraute denken, dieser Palast sei ein Tempel der Wissenschaft, eine neue Akademie oder ein Lyceum, wo der Berliner Plato oder Aristoteles lehrt, und die wartenden oder rasch herbeieilenden Männer seien wißbegierige Schüler, die dem Cursus eifrig folgen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_456.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)