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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Agio auf der Börse verkaufen, oder auch, wie jener Juwelenhändler seine Ringe, in anderer Weise verwerthen. Für sie hat jede Sängerin und jede Oper die Bedeutung von Actien, von „Brief“ und „Geld“. Die Afrikanerin von Meyerbeer steht immer über Pari, dann kommt Figaro’s Hochzeit, wenn die Lucca und die Artot singen, dann der Prophet und Lohengrin mit Niemann etc., und es hat schon Tage gegeben, wo ein Parquetsitz ihnen mit acht bis zehn Thaler bezahlt worden ist. Dagegen sind z. B. Beethoven’s Fidelio und Mozart’s Don Juan auf der Börse gar nicht notirt.

Zu diesen beiden Kunstmännern gesellt sich ein Mann, der als Specialität besondere Beachtung verdient: es ist der Satiricus der Börse, ihr privilegirter Witzmacher; über jedes Ereigniß, über jede Persönlichkeit hat er sein Bonmot, und es muß ihm zugestanden werden, manches derselben ist treffend. So z. B. meinte er von einem sehr rasch emporgekommenen Unternehmer, der nur noch in Millionen speculirt, sich als großer Herr manchmal auf der Börse zeigt und über dessen wirkliches Vermögen verschiedenartige Meinungen im Gange sind: „Zwei Dinge kann Herr X nicht ablegen: seine Parvenü-Manieren und – eine genaue Rechnung.“ Ueber einen Financier, der „Consul“ geworden war, stellte er die Frage: „Welcher Unterschied herrscht zwischen Herrn Y und dem amerikanischen Consul? Dieser ist ein überseeischer, jener ein überflüssiger.“ Unter seiner Firma circulirt auch der Witz über einen reichen Leinenwaarenhändler, der viel und glücklich auf der Börse speculirt: „Er macht wohl bessere Geschäfte als Hemden!“

Es ist ein Uhr. Mein Führer leitet mich an das Büffet, wo wir vortreffliche kalte Küche genießen und ein Glas des besten Berliner Bieres trinken, das einige Börsenbesucher im stolzen Selbstgefühle „Judenbier“ getauft haben, wahrscheinlich um anzudeuten, daß dem neuerwählten Volke nicht blos das Land mit Milch und Honig prophezeit war, sondern auch der beste Gerstentrank. Dort (nicht in Palästina, sondern am Büffet) treffe ich einige Schriftsteller, die von Redactionen beauftragt sind, die täglichen Bewegungen an der Börse zu beobachten und darzulegen. Jedes große Journal der Residenz hat seinen eigenen Berichterstatter. Voran unter diesen ragen die Redacteure der Börsenzeitung und deren Gründer – dieser, der noch vor wenigen Jahren eine untergeordnete Stellung einnahm, hat durch Geschicklichkeit, durch richtiges Errathen der Conjuncturen, durch sehr geistreiche Artikel über manche Banken und Unternehmungen sich jetzt zu einer Höhe emporgeschwungen, von der er selbst auf seine Mitarbeiter Glanz verbreitet; die „alten“ Häuser blicken mit Achtung, die „jungen“ Häuser mit Ehrfurcht auf ihn, alle Unternehmer, die Actien ausgeben, vermeiden es, sein Mißfallen zu erregen, und in dem Augenblick, wo ich ihn an der Börse erblicke, wird er von jenem Manne hofirt, gegen welchen der Satiricus den Witz vom „Ablegen“ gerichtet hat; dieser Mann, der große Gütercomplexe besitzt, eine politische Stellung anstrebt, der unleugbar die schärfste Combinationsgabe und unerschütterlichen, vielleicht nicht gerade beneidenswerthen Muth besitzt, er fürchtet vielleicht keine Macht als die der Börsenzeitung; ein Angriff von dieser kann ihn gefährlicher treffen als ein halbes Dutzend Leitartikel anderer Blätter.

Das Geschäft ist fast als beendet zu betrachten. Der Tag war ein „stiller“. Doch sieh! in einer Ecke giebt sich plötzliche Aufregung kund. Laute Rufe „ich geb’, ich nehm’“ erschallen, es entsteht ein Gedränge. Einige kleine Mäkler, die gemüthlich am Büffet standen, eilen mit der halben Butterstulle, die sie in der Aufregung zu verschlucken ganz vergessen, nach dem Kampfplatze – selbst einige Bankiers erheben sich von ihren Plätzen und blicken nach dem wirren Knäuel, der sich im Nu gebildet hat. Einige „neue“ Bankiers, von denen die Meinung verbreitet ist, daß sie mit wohlunterrichteten Leuten verkehren und auch Aufträge reicher Privatmänner vollführen, haben starke Posten eines Papiers gekauft, von allen Seiten laufen die kleinen Händler herbei, wie die Hühner eines Geflügelhofes, wenn die Magd Futter streut, doch die Aufregung geht vorüber; der Conflict wird nicht weiter angeregt, die Curse gehen nicht höher, es scheint nur ein Versuch, sie hinaufzutreiben, angestellt worden zu sein, und die Gesichter, welche einen Augenblick einen eigenthümlichen Ausdruck zeigten, erschlaffen, die funkelnden Augen blicken matt und die vom Büffet Weggeeilten kauen ihre halbe Stulle mit Ruhe zu Ende. Ich nehme Abschied von meinem freundlichen Führer; er versichert mir, daß der Tag „ein sehr stiller“ war und daß überhaupt manche interessante Persönlichkeit gefehlt hätte, die allerdings nur in sehr bewegten Zeiten auftauchte. So konnte man z. B. während des amerikanischen Krieges einen sehr berühmten Sänger fast alle Tage auf der Börse sehen. Er „machte sehr viel“; wahrscheinlich hatte er Apoll mit Mercur verwechselt, da auch dieser eine Leier trägt. –

Sagen wir nun einige Worte von den Börsen und den Bankiers im Allgemeinen. Die Berliner Börse kann ebenso wenig mit denen anderer großer Residenzen verglichen werden, wie der Berliner Bankier mit dem Wiener „Großhändler“ oder mit dem Pariser Financier. In Wien und Paris ist an einem „stillen“ Tage mehr Spectakel und mehr Gezänke, als in Berlin an einem sehr bewegten Abrechnungstage (Ultimo), und es findet in den beiden erstgenannten in mancher Woche ein größerer Geldumsatz statt, als in Berlin in einem Monate. Aber dafür wird dort auch mehr gespielt, während das Geschäft in Berlin fast durchwegs auf solidester Grundlage ruht. In Paris spielt fast alle Welt auf der Börse – und es ist ein öffentliches Geheimniß, daß sehr hochstehende Personen ihre genaue Kenntniß der politischen Ver- und Entwickelungen auf der Börse verwerthen ließen.

Wenn also die Politiker Börsenspeculanten sind, so ist es die natürliche Folge, daß jeder glückliche Speculant auch eine politische Rolle anstrebt, daß der Bankier dahin trachtet, einen Sitz im Staatsrathe zu erlangen, oder doch wenigstens die Minister, wenn nicht gar Mitglieder der kaiserlichen Familie zu empfangen. Frankreich ist ja das Land der Gleichheit, d. h. des gleichen Druckes für Alle, und mit vielem Gelde und loyalem Luxus kann man sich zur „besten Gesellschaft“ emporschwingen. Der Wiener „Großhändler“ ist durch die früheren Verhältnisse Oesterreichs von der activen Politik fern gehalten worden; dagegen stand ihm der Weg zum „Geadeltwerden“ frei, und das Prädicat „Edler von“ oder gar „Ritter“, „Freiherr“, ein „Cavalier“ zu werden und ein großes Wappen auf den Wagenschlag malen zu lassen, schwebte ihm immer als höchstes Ziel vor; und wie die meisten österreichischen Cavaliere waren auch die meisten Wiener Großhändler von jeher liebenswürdige Lebemänner, „gute Kerls“, galant, generös, „fesch“.

Das Wesen des Londoner Bankiers genau darzulegen, bedürfte es eines viel größeren Raumes, als mir hier geboten ist; er ist so verschieden von allen andern, wie die Institutionen seines Landes von denen des Continents. Hier mögen nur einige Thatsachen angeführt werden. Die großen Londoner Bankiers gehen nie auf die Börse; es giebt ungeheuer reiche Häuser, die große Anlehen abgeschlossen haben und gar kein Bankgeschäft machen, ja nicht einmal ein Comptoir halten (Montefiore, Goldsmith, Attwood); das Haus Rothschild gehört in London zu den reichsten, aber nicht zu den ersten Bankhäusern. Sie nehmen im Allgemeinen keine hohe gesellschaftliche Stellung ein, aber wenn sie Parlamentsglieder oder Municipalbeamte werden, dann steht ihnen der Weg zur Pairie offen; so ist Lord Asburton aus dem Hause Gebrüder Baring hervorgegangen und Lord Overstone aus dem Hause Lloyd.

Der alte Berliner Bankier hat nie eine politische Rolle angestrebt – Camphausen und v. d. Heydt sind Rheinländer – er ist auch kein Lebemann und hat nichts vom Cavalier; zum englischen Plutokraten fehlt ihm der ungeheure Reichthum; gegenüber dem Pariser, dem Wiener, dem Londoner erscheint er als Philister, aber er kann sich eines Vorzugs rühmen, vor dem Reichthum, Rang und Glanz erbleichen: keine andere Stadt hat so viele Größen der Kunst und der Wissenschaft aufzuweisen, die Bankierhäusern entsprossen sind, wie Berlin. Aus dem Hause Mendelssohn, das von dem großen Philosophen und edlen Menschenfreunde stammt, ging jener Felix hervor, dessen Musik so weit reicht, als sich Menschen der Sommernacht erfreuen und als der gestirnte Himmel ihre Herzen zur Andacht erhebt. Dem mit Reichthum und Wohlthätigkeitssinn hochgesegneten Hause Beer entstammte der Componist des Robert der Teufel und der Hugenotten, welcher die unbestrittene Herrschaft über die Opernbühne ausübt, dessen reichen Gaben selbst die erbittertsten Gegner Anerkennung zollten und dessen Bruder als Dichter nicht großen Ruhm, aber hohe Achtung um seines edlen Strebens willen genossen hat. Stolz weist das Haus Magnus auf seine Söhne, den Professor und einstigen Rector der Berliner Universität, und den Maler. Der große

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_458.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)