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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Ich möchte Sie bitten, meiner Stellung in Ihrem Hause, sei sie auch die untergeordnetste und von der kürzesten Dauer, eine bestimmte Gestalt zu geben,“ antwortete Felicitas rasch und fest.

„Ah, ich verstehe! Sie sind es müde, ein Brod zu essen, das Sie sauer genug verdienen mußten und welches – sprechen wir es aus – trotzdem ein Gnadenbrod genannt worden ist?“

Felicitas bejahte eifrig.

„Nun, in diese drückende Lage sollen Sie bei mir nicht kommen, mein liebes, stolzes Kind. Ich engagire Sie hiermit als meine Gesellschafterin. Waschen, scheuern, bügeln sollen Sie natürlich nicht, wohl aber manchmal in der Küche nachsehen, denn ich und meine alte Dore werden nachgerade morsch und müde – wollen Sie?“

„Ach, und wie gern!“ Zum ersten Mal nach Tante Cordula’s Tode glitt es wieder wie ein schwaches Lächeln über das ernste Gesicht des jungen Mädchens.

(Fortsetzung folgt.)




Ein „unentwegter“ Kämpfer.
„Mensch sein, heißt ein Kämpfer sein.“


Nur wer das schöne Schwabenland kennt, dieses unendlich mannigfaltig und wunderbar wechselnde Panorama von Hügeln

Johannes Scherr.

und Thälern, dort mit himmelanstrebenden Tannen und Eichen, mit duftenden Obstgärten und Weingeländen bedeckt, hier lachende Fluren und üppige Getreidefelder, dazwischen die freundlichen Dörfer und Städtchen, auf stolzen in das Land lugenden Felshöhen die altersgrauen Schlösser oder halbverfallenen Burgen und die ganze reiche Landschaft belebt von einem der gemüthlichsten Stämme deutscher Zunge, – und nur wer in diesem Paradiese einige Zeit gelebt und sich wohl gefühlt hat, ist im Stande zu begreifen, daß und warum gerade das Schwabenland mit Vorzug eine Wiege deutscher Dichter und Denker war und ist. Und gerade im Herzen dieses Paradieses, dort, wo die Ueberreste des Stammschlosses der Reichsgrafen von Rechberg, mehrfach in der Geschichte deutscher Diplomatie und des Kriegswesens genannt, weit in das Land hinausschauen, ward am 3. October 1817 in dem Dörfchen Hohenrechberg dem dortigen Dorfschulmeister Franz Scherr ein Knabe, das zehnte Kind einer reichgesegneten Ehe, geboren und auf den Namen Johannes getauft. Seine trefflichen Eltern sorgten für eine musterhafte Erziehung und Fortbildung, während sein älterer Bruder Thomas, der um das schweizerische Schulwesen hochverdiente, wegen seiner freien Geistesrichtung aber auch vielfach angefeindete Seminardirector von Zürich, dem talentbegabten Knaben die Mittel bot für die Gymnasial- und die späteren Universitätsstudien. Nachdem er eine Zeitlang an der bei Winterthur gelegenen Erziehungsanstalt seines Bruders als Lehrer gewirkt, ließ er sich in Stuttgart nieder, wo er sich mit einer Schweizerin, einer gebornen Kübler, vermählte, die sich durch mehrere volksthümlich belehrende Schriften bekannt gemacht hat. Mit dem Jahre 1844 betrat Scherr durch die Herausgabe einer Schrift „Würtemberg im Jahre 1844“, welche in allen Schichten der gebildeten Bevölkerung großes Aufsehen erregte, den politischen Kampfplatz, auf welchem er bis zum Jahre 1848 als rüstiger Vorkämpfer aller freiheitlichen Bestrebungen sich stets bewährte. In seiner innersten Seele vom Geiste des Republikanismus erfüllt, zu welchem ihn das Studium der Alten, seine Bekanntschaft mit den staatlichen Einrichtungen der Schweiz und schließlich seine Forschungen in der Geschichte Amerika’s hinführten, betrachtete er die Föderativ-Republik als Ideal moderner germanischer Staatsform, ein Ideal, dem er bis zur Stunde treu geblieben und unzweifelhaft bis zum Tode treu bleiben wird. Dabei übersah Scherr aber niemals die mannigfachen Mängel und Fehler, an welchen die Demokratie jener Tage litt; kein Schriftsteller hat wohl mit kräftigeren Worten und beißenderer Satire solche Schwächen gegeißelt, keiner mehr als er es verschmäht, der blinde Lobredner und Schmeichler der Massen oder, wie er sich selbst ausdrückt, „Volkshofrath“ zu sein.

Eine Wahl zum Mitgliede des deutschen Reichsparlaments lehnte Scherr, der sich jetzt mehr und mehr von der Idealpolitik lossagte, von der Ansicht geleitet ab, daß diese Versammlung vollständig in der Luft schwebe, so lange die Umwandlung des deutschen Staatenbundes in einen Bundesstaat nicht in den Einzelstaaten gründlich zum Bewußtsein gekommen und durchgedrungen sei. Dagegen hat er als Mitglied der würtembergischen Abgeordnetenkammer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_469.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2017)