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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 31.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Ein feiner Sonnenstrahl, der durch das wilde Weinlaub des schattigen Ganges spielend auf und ab geglitten war, erlosch plötzlich – es wurde Abend. Felicitas erinnerte sich, daß sie auf ihrem Posten sein müsse, bevor Frau Hellwig in den Garten käme, und bat deshalb um die Erlaubniß, sich entfernen zu dürfen. Die Hofräthin entließ sie mit einem warmen Händedruck, und nach wenig Augenblicken stand sie drüben im Garten und hatte die kleine Anna auf dem Arm. Bald darauf kam auch Friederike; sie trug einen schweren Korb voll Geschirr und sah sehr erhitzt aus.

„Vor einer Stunde sind sie angekommen!“ rief sie beinahe athemlos und sichtbar ärgerlich, indem sie ihre Last niedersetzte. „‘S ist wahr, so kunterbunt wie jetzt ist’s noch nie bei uns zugegangen! … Die Madame sagt mir, wie noch der Wagen über den Markt ‘rüber kommt, es solle nun in der Stadt gegessen werden; ich richte auch im guten Glauben Alles vor – da heißt’s auf einmal wieder, der Professor wolle partout in den Garten, und da bin ich nun so gut, packe die ganze Wirthschaft zusammen und schleppe sie da heraus.“

Damit rannte sie nach einem Beet und schnitt einige Salatköpfe ab.

„Es hat Spectakel drin gegeben, einen gottheillosen Spectakel!“ sagte sie leise, während Felicitas in der Küche neben ihr stand und den Salat putzte. „Die Madame hatte noch nicht einmal recht Guten Tag gesagt, da war auch ihr erstes Wort die Testamentgeschichte… Höre, Caroline, so fuchswild wie heute hab’ ich unsre Madame in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen! Der junge Herr brachte aber auch närrisches Zeug auf’s Tapet; meinte er doch, die alte Tante sei eine Ausgestoßene gewesen, Niemand in der Familie hätte sich um ihr Leben und Sterben gekümmert, und da sähe er gar nicht ein, warum sie den Leuten, die sie verachtet hätten, ihr Geld in die Tasche stecken solle – er hätte in seinem ganzen Leben nicht an die Erbschaft gedacht… Und mitten hinein, wenn die Madame einen Augenblick verschnaufte, da fragte er allemal, ob auch Alles im Hause wohl gewesen sei… Er kam mir gar curios vor, und die arme, gnädige Frau, die sah aus, als wenn ihr die Hühner das Brod genommen hätten!“

Felicitas erwiderte, wie sie es gewohnt war, kein Wort auf die Ausplaudereien der alten Köchin. Sie zog sich später mit einer Handarbeit unter den Nußbaum zurück, während Aennchen auf der Wiese neben ihr spielte. Von ihrem Platz aus konnte sie durch eine schmale Spalte der coulissenartig sich vorschiebenden Taxuswände gerade auf die Gartenthür sehen. Dieses feine, gußeiserne Gitter, das auf beiden Seiten wildblühende Rosensträucher einfaßten, während es hinter ihm in der vorüberlaufenden prächtigen Lindenallee dunkelgrün dämmerte, hatte stets für das junge Mädchen einen geheimnißvollen Reiz gehabt… Sie hatte viele Menschen durch diese Thür kommen und gehen sehen; freundliche, traute Gesichter, denen sie einst jubelnd entgegen gelaufen war; aber auch Gestalten, die ihr das Herz beklemmt, und hinter denen sie gern und aufathmend das eigenthümlich schnurrende Geräusch der zufallenden Thür gehört hatte… Noch nie aber war ihr ein so jäher Schreck, fast ein stechender Schmerz, durch die Glieder gefahren, als in diesem Augenblick, wo sich das Gitter knarrend vorwärts schob, während Frau Hellwig, am Arm ihres Sohnes und gefolgt von der Regierungsräthin, in den Garten trat… Was hatte sie von jenen Menschen zu fürchten? Frau Hellwig ignorirte möglichst ihre Existenz, und jener Mann dort hatte es ja auch aufgegeben, die Taschenspielerstochter zu seinen Ansichten zu bekehren, nach welchen sie eine Ausgestoßene, Geächtete des Menschengeschlechts war und blieb.

Friederike hatte gesagt, er sei ihr „gar curios“ vorgekommen, und Felicitas mußte ihr zum Mindesten zugeben, daß etwas Auffallendes in seinem Wesen liege. Der Begriff „Hast“ ließ sich mit seinen nachlässigen Bewegungen und der außerordentlich indifferenten Haltung im gewöhnlichen Leben eigentlich gar nicht in Verbindung bringen, und doch hätte das junge Mädchen in diesem Moment sein Gebahren mit dem besten Willen nicht anders zu bezeichnen gewußt… Er strebte sichtbar ungeduldig vorwärts zu kommen – bei Frau Hellwig’s schwerfällig gemessenem Gang ein Ding der Unmöglichkeit – und ließ mit hochgehobenem Kopfe seine Augen suchend über den Garten gleiten – das galt jedenfalls seiner kleinen Patientin.

Rosa kam über den Kiesplatz gesprungen, um Aennchen zu holen, und Felicitas folgte den Beiden bis hinter die erste Taxuswand, um das Wiedersehen zwischen Mutter und Kind zu beobachten. Die Regierungsräthin schlang freilich ihre Arme um das kleine Mädchen und tätschelte seine Wangen, aber währenddem schalt sie Rosa heftig aus, daß sie die Schlüssel zur Wohnung mitgenommen und sie gezwungen habe, in dem „entsetzlichen Kleid“ durch die Stadt zu gehen. Die duftige Reisetoilette hatte in der That zum Theil ihre zarte Bläue eingebüßt und hing schlaff, welk und mit einem sehr mißfarbenen Saum über der Crinoline.

„Nun, ich werde mir diese ganze Partie bis zum Schlußmoment zu den unerquicklichsten Ereignissen meines Lebens notiren!“ sagte die junge Dame verdrießlich und schmollend, während

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_481.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)