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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Hausfrau, eine freundliche Greisin, führte ein hübsches Mädchen mit schwarzen dunklen Augen herbei, das allsogleich schmeichelnd seine zarten Arme um den Hals Schmid’s schlang, während ein unverehelichtes Fräulein, als vieljährige treue Hausgenossin mir vorgestellt, einladende Früchte auf einem Dessertteller mir präsentirte. Das war das fünffache Kleeblatt des häuslichen Kreises, der von einträchtiger Liebe und freundlicher Heiterkeit umfriedet ist. Das Gespräch nahm nun einen mehr allgemeinen Gang, nicht lange an einem Gegenstande haftend, aber alles Anziehende mit raschem Fluge berührend; der Hausherr betheiligte sich daran nur mit flüchtigen Bemerkungen: Er scheint von schweigsamer Natur zu sein, die mehr zu hören als zu reden liebt, und führt, das Erbtheil von seiner edlen Mutter, wie man mir bemerkte, stets ein stilles in sich gekehrtes Gemüthsleben. Bei der Frage über die Zustände und die Zukunft der Dichtung in Deutschland war es allein, wo er in lebhaftere Erregung gerieth.

„Ich hege die besten Hoffnungen dafür,“ sagte er eifrig, „erleben werden wir die Zeit der Einigung nicht, der wir mit voller Strömung entgegentreiben – aber ich freue mich bei dem Gedanken an die äußere Ausdehnung und innere Erhebung, welche Dichtung und Kunst dann erfahren werden, wenn sie einmal der Ausdruck einer großen gesammten – Gott gebe auch in ihren religiösen Angelegenheiten einigen – Nationalität sein werden, wenn es ihnen gestattet ist, in Form und Inhalt echt volksthümlich zu sein – welch’ reiche bis jetzt verschlossene Gebiete werden sich ihnen dann eröffnen! Bis dahin bleibt uns nichts übrig, als unser Scherflein redlich zu verwerthen, daß es einen Stein zum Unterbaue bilde, auf welchem der vollendete Prachttempel sich erheben wird! Für meinen Theil schwebt es mir als Aufgabe vor, in meinen Geschichten und Romanen ein Stück schöner Lebenskunst zu geben, zumal auf Grund und Boden und auf der Geschichte meines engeren Vaterlandes, das mir am nächsten liegt, weil ich es am besten kenne; ist ja unser Volksleben in Gegenwart und Vergangenheit wohl eigenthümlich und bedeutend genug, um unter allen Verhältnissen einen würdigen Stoff zu geben. Ich habe mich lange mit dem Gedanken getragen, die Geschichte Baierns in einer zusammenhängenden Reihe von Erzählungen und Dramen dichterisch zu gestalten – der Tod des Königs Maximilian, der sich mit einem ähnlichen Plane trug, hat das wohl zu nichte gemacht, aber was schon dasteht, die Dramen: Thassilo, Christoph der Kämpfer, Ludwig im Bart, Münchnerkindeln, sowie die Erzählungen: der Jägerwirth, Morgenroth und Mein Eden, mag mindestens als ehrenwerthe Bruchstücke dessen gelten, was ich gewollt. Ich darf wohl sagen, ich habe sie mit dem Herzen geschrieben und in ihnen niedergelegt, was ich dem Volke, dem ganzen deutschen Volke wünsche, an Freiheit in Staat und Leben, an Licht und Feuer im Gemüthe, an Wissen und Bildung in Aufklärung und Vernichtung der Vorurtheile.“

Schon sank die Sonne dem Abend zu und kühlere Luft trug von den angrenzenden Wiesen den süßen Duft gemähten Grases herüber, da nahm ich von dem schönen häuslichen Kreise nicht unbewegten Abschied, dem Dichter Muße und Kraft wünschend, alle die Entwürfe zu verwirklichen, die er ohne Zweifel noch in sich trage.

Er schüttelte mir dankend die Hand. „Man muß zufrieden sein mit dem,“ sagte er, „was die Himmlischen zu erreichen vergönnen; ich erinnere mich einer Stelle aus dem Gedichte, das Freund Heyse bei dem Festmahl zur Schillerfeier vortrug:

‚Die Kraft ist Schicksal – unser ist der Wille!‘

Das ist ein tüchtiger Spruch, der eine gute Stütze giebt.“




Pariser Weltausstellungs-Briefe.
Von Michael Klapp.
3. Im „Grand Vestibule“. – Germanisirungskraft der Ausstellung. – Der Japanese als Dame. – Unter dem Halbmond.


Ich will Sie nun nicht länger draußen stehen lassen vor dem Allerheiligsten der Weltindustrie. Mit einer Schaar anderer Herren, Frauen und „Mädchen aus der Fremde“, die zu Wagen, per Eisenbahn, Dampfer oder auch zu Fuß an eines der Hauptthore des Ausstellungspalastes, die Porte Jena, auch „Porte d’honneur“ genannt, gekommen, drängen wir durch die „Tourniquettes“, diese massiven, modernen Controleure der Entréegelder, in die lange, herrliche Avenue. Wie sie sich da stolz hinabzieht, überdeckt von einer Flucht grüner, mit goldenen Sternchen besäter Baldachine, die von mächtig aufstrebenden, die Banner aller Nationen der Welt hoch erhebenden Fahnenstangen getragen werden, ist diese Avenue in der That ein Weg für Kaiser und Könige. Würdig wird das Auge vorbereitet für die Fülle von Größe, Schönheit, Pracht, die seiner im Bannkreise des ganzen Marsfeldes harrt, aber auch das Ohr, auf daß es den Breughel (ich will nicht sagen „Höllenbreughel“) ertrage, der ihm von allen Ecken und Enden entgegenkommen wird. Und wahrlich, ganz im Geiste eines Weltausstellungslärms beginnen schon die kleinen Industriellen, die sich vor dem Thore der großen Industrie herumtummeln, ihre Attaque auf uns. Es giebt nichts, was sie nicht für uns vorräthig hätten, diese armen, industriellen Fliegenschwärme der Exposition, eben so arm und lästig wie diese, sehr, sehr arm! Sie vertreten uns den Weg mit ihren Uhren, Ketten, Fächern, Lorgnons, Stereoskopen, Plänen, Alles – „de l’exposition.“ Es giebt keinen Artikel, den sie nicht mit der Ausstellung in Verbindung brächten, ihre Fächer sind „Ausstellungsfächer“, ihre nichtsnutzigen Uhren und Uhrketten sind „Ausstellungsuhren“ und „Ausstellungsuhrketten“, ihre Nadelbüchschen sind „Ausstellungsnadelbüchschen“ und sogar ihre Zündhölzchen rufen sie dir aus als „les allumettes de l’exposition“, obschon es dieselben großen Schwefelpfähle sind, die man in Paris schon zu ausstellungslosen Zeiten für Zündhölzchen ausgab. Und man bilde sich ja nicht ein, unser stummes, dankendes Kopfnicken nütze etwas, der Bursche hat es bald heraus, was man für ein Landsmann ist, und er läuft uns nach und beginnt seine Attaque in deutscher Sprache.

Einige deutsche Worte, die genügen, den Standpunkt klar zu machen, hat ja jetzt in Paris fast jeder der kleinen und großen Pariser Beutelspeculanten in Vorrath. Man wird staunen, wie viel nach der Weltausstellung in Paris von deutscher Sprache zurückgeblieben sein wird! Die Ausstellung germanisirt, sage ich, wenn sie noch ein Jahr dauert, ganz Paris. Wenn der Franzose Geld verdienen kann, thut er ja Alles, warum nicht auch ein wenig Deutsch lernen? Seit dem Bier ist das Germanisirungswerk längst begonnen worden. Wir haben es dahin gebracht, daß der Pariser, trotz dem Wörterbuch der französischen Akademie, den deutschen „Schoppen“ in seinen Sprachschatz als,„choppe“ aufgenommen, er hat vom „Bock“ längst Gebrauch gemacht und dank dem Wiener Dreher ist jetzt auch das Wort „Maß“ adoptirt und man kann jetzt die Pariser schon „une Mas“ Bier trinken sehen, auch deux undtrois Mas, je nachdem sie eben deutschen Durst haben.

Den Lärm, den diese kleinen Beutelspeculanten begonnen, setzen auf unserem Wege Zeitungs-, Becher-, Katalog- und Guiden-Verkäufer wacker fort. Männer in Leinwandkitteln, farbige Kappen auf dem Haupte, welche die Aufschrift tragen: „fauteuils roulants“, fahren uns ihre Rollstühle vor die Nase, mit der Einladung, darinnen Platz zu nehmen. Dergleichen fahrende Schüler und Schülerinnen der Weltausstellung giebt es nicht wenige; es sind freilich meist beleibte, übersolid gebaute Gäste des Marsfeldes, deren Geduld und Athem zu kurz sind, um gleich uns stehenden und gehenden Fußes ausharren zu können in dem Welten- und Menschengewühle. Und es ist keine Kleinigkeit, dieses Ausharren! Bedenke man doch, Hundert- und auch noch mehr Tausende von Menschen sind mit uns zugleich auf dem Marsfelde, und sind auch Palais und Park groß genug, um uns diese Zahl nicht zu sehr verspüren zu lassen, es ist und bleibt doch ein ruheloses Durcheinander von Köpfen und Beinen, in dem man Stand halten muß. In der äußersten der sieben Galerien, die den Ausstellungspalast bekanntlich bilden, in der Galerie der Restaurants, Cafés, Wein- und Schnapshändler, der Tabakkrämer, Glaciers, Patissieres, Lese- und Schreibesalons etc. etc., in diesem interessanten Ensemble von dem, was die ganze Welt ißt und trinkt, was die ganze Welt genießt, ist das Treiben, Schieben und Geschobenwerden zu jeder Tageszeit geradezu schwindelerregend.

Da ich erst das nächste Mal einen gründlichen Gang mit den Lesern durch diese Galerien der Essens- und Trinkenswürdigkeiten der ganzen Welt zu thun gedenke, so lassen wir uns für heute sanft der großen, schönen Halle zuschieben, die man den großen Vestibule des Palastes zu nennen pflegt. Das ist gleichsam die riesige Antichambre der Weltausstellung, der Wartesalon, könnte man noch besser sagen, denn der Vestibule hat etwas von dem Wartesaal eines riesigen Eisenbahnhofes. Rechts und links von da beginnen die Kreisläufe der Weltindustrie. Hier läuft zu allererst die Galerie der Maschinen in weiter, mächtiger, bogenförmiger Ausdehnung, den besten und größten Raum für all’ die schnurrenden, sausenden, brausenden, rasselnden, stoßenden, schlagenden, kleinen und großen Herren und Gebieter moderner Arbeit, diese absoluten Verdränger der menschlichen Hand, in Anspruch nehmend. Welch’ ein formloses Geheul der tausend geheimen Kräfte, die in den Elementen sitzen, welches vielstimmige Getöse, von Kolossen ausgehend, die Engel und Teufel, Menschenbeglücker und -Vernichter zugleich sein können! Und es ist gerade Mittag, wo sie alle zugleich arbeiten, diese Enakskinder der Industrie, wo all’ ihre Riesenleiber zugleich auf- und niederstreben, selbst bis zum Höhepunkt erhitzt und zugleich ein Bild erhitzter Menschenthätigkeit, ein Bild ruheloser Cultur, prometheusartigen Strebens und Jagens. Wenn diese Galeriewände Ohren haben, dann wehe ihnen, denn sie sind verdammt, anzuhören, wie hier in Tausenden feuriger Zungen und Tausenden von Arten der Zeitgeist vom Morgen bis zum Abend sein eigenes Lob predigt.

Im Vestibule selbst sprechen Frankreich und England ihre ersten industriellen Machtworte aus, hier haben sich nur maßgebende große Firmen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_509.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)