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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Brüder sind Kellner und die gottgeweihte Stätte trägt, den Anforderungen der Gegenwart gemäß, den Namen „Hotel du Parc“. Nur die zum Kloster gehörige kleine Kirche hat ihren Beruf nicht gewechselt. Die Giebelwand in derselben zeigt eine wunderbare Freske von Luini, in der besonders Zeichnung und Charaktere den Eintretenden überraschen. Es ist eine kolossale, überreiche Composition der Kreuzigung Christi, mit den Jahreszahlen 1530–1534 versehen.

Dem Gasthause gegenüber, unmittelbar am See, erhebt ein „Tell“ drohend den Pfeil, ein Memento mori anderer Art. Die marmorne Statue ist von Bela, einem in jener Gegend sehr bevorzugten Künstler, welcher Eleganz mit tüchtiger Praxis vereint. Lugano selbst, denn unsere Wohnung lag am Ausgange desselben, ist durch seine die Straßen bildenden Arcaden eine höchst malerische Stadt und der hier abgehaltene Markt bot die mannigfaltigsten Bilder. Leider ist auch hier jede Originalität des Costüms untergegangen und nur die Schwarzröcke, theils in Tuch, theils in Borsten, Eins das Andere kaufend, zeichneten sich in dem Gedränge aus, das in der Mitte der Straßen wogte.

Wir verließen Lugano, um die uns gerühmte Villa Ciani zu besuchen. Sie bot allerdings eine herrliche Aussicht auf den ruhigen See, aber die Indiscretion, mit der man die heiligsten Stücke einer Damentoilette auf der Freitreppe zum Trocknen ausgebreitet hatte, führte den schwärmenden Geist in den Schmutz der Realität zurück. – „Feuer regnete vom Olymp herab“, als wir Lugano verließen und auf der weißen blendenden Straße einer ziemlich nachdrücklichen Visitation italienischer Mauthbeamten preisgegeben waren. Nur die etwas gewagte Folgerung, daß, da in dem einen Koffer keine Cigarre, auch in dem anderen keine seien, half uns schneller über den Aufenthalt hinweg. Mit Luvino erreichten wir den gefeierten Lago maggiore. Wie saß es sich schön unter dem Zelte, in der milden balsamischen Seeluft bei den Südfrüchten und dem Feuerweine! Was schoß die Luviner Jugend vor uns in der Sonne für Purzelbäume, um auch von ihrer Seite unsere Stimmung zu heben! Welch’ triumphirendes Finale dieses Actes bildete der quäkende Trompeten-Leierkasten! Und dann – wie gierig eilte Alles herbei und streckte die Hand aus und trug den Eigennutz zur Schau!

Viel Leben war auf dem Dampfschiff, mit dem wir nach kurzem Intermezzo aufbrachen, und wir sahen die grünen Berge und die weißen Städtchen mit ihren Bogengängen auftauchen und verschwinden. So kamen wir nach Intra und nach Pallanza, und da lagen die Inseln, deren Namen fast schon dem Kinde mit einem Hauch von Poesie umgeben waren, die Isola bella und Isola madre.

Isola bella, Schauplatz der Erzählung einer unserer tiefsten und abenteuerlichsten Dichter, ist ein ebenso abenteuerliches Gebilde des Grafen Vitale Borromeo. Ganz in dem barocken Stile seiner Zeit (Ende des siebzehnten Jahrhunderts) ist die kleine Zauberinsel eine Verkörperung der Gärten Armida’s; das einst dem Cupido geweihte Eiland richtete er zu einem Versteck der Schwärmerei und Liebe ein, und der von Rhododendren, Citronen- und Camelienbäumen beschattete Garten, dessen Gänge aus großen, zopfigen Blumen von bunter Mosaik bestehen, heißt noch heute giardino d’amore. Ueppigkeit der Phantasie und der Vegetation paaren sich mit der Verschrobenheit jener ausschweifenden Periode.

Das naturwüchsige Pendant hierzu und die zweite der Inseln ist Isola madre. Sie besuchten wir an dem herrlichen Morgen des 22. August, als der Simplon mit dem Schneehaupte so lustig aus dem dunkelblauen Aether über die Vorberge in den azurnen See blickte. Die Kunst ist hier wenig vertreten, dagegen versetzt uns der Duft einer uns fremden Pflanzenwelt in die ferne Zone der Tropen. Unser Hauptquartier war das Hotel zu Stresa, an dem Ufer des Sees gelegen. Vor demselben rekelten sich die Engländer, während ein amerikanischer Reverend, die Personification klerikaler Stutzerei, gleich einem Pfau umherstolzirte. Jedoch als Ausbund der Lächerlichkeit zeigte sich an der Table d’hote ein Garibaldianer in seiner rother Blouse, mit arbeitsscheuen, aristokratischen Händen und fatiguirtem Gesichtsausdruck, welcher auch jenem überseeischen Volke angehörte und den Krieg als ein einigermaßen aufregendes Vergnügen mitgemacht hatte. Aber selbst die puppenhafteste Staffage konnte den Zauber des Ortes nicht unterdrücken. Nach einigen glücklichen Tagen verließen wir Inseln und Gondeln und bestiegen wieder das große Schiff. Die Gesellschaft glich dem Kehrichthaufen nach einem Festgelage. Brauchbares genug, aber nichts Ganzes. Nur die confiscirte Physiognomie, welche mich umkreiste und mir jetzt einen italienischen, dann einen französischen und deutschen Brocken zuwarf und mir in letzter Sprache eine Fahrgelegenheit anbot – schien Beides in sich zu vereinigen. Wir unterzeichneten einen Contract, welcher auf den ominösen Namen Maddalena Meschino lautete und der Alles versprach und schließlich – wenig hielt. Man muß sich vor solchen vagabundirenden Unterhändlern gerade in Italien und der Schweiz besonders hüten, da sie sich durch ihr bestechendes Aushängeschild noch einer ganz speciellen Contravention schuldig machen; sie nennen sich „Post“, ohne dazu berechtigt zu sein.

Gegen Mittag gelangten wir nach Magadino und bald hatten wir die letzten lombardischen Grenzposten erreicht. Wir waren nun wieder auf schweizerischem Gebiet, aber immer noch winkten uns die unzähligen Schilder entgegen mit „si alloggia bene nel albergo di …“ oder „vino e birra etc. etc.“ Wahres Gerümpel kleiner Ortschaften, die für unsern großen Reisewagen kaum passirbar schienen, lagen, wie deren Bewohner, auf dem sonnigen Grase, und unter goldig-grünen Rebengehängen wälzten sich die schwarzäugigen Kinder auf Mist und starrten mit offenen Mäulern die Fremden an. Selbst der alte arbeitsame Schmied hebt den wuchtigen Hammer vorläufig nicht wieder, sondern nickt erst dem Vetturino zu und wartet, bis der Wagen wieder auf der durchglühten Chaussee ist, über der die Sonne so senkrecht steht, daß der geringe Schatten der Gegenstände kaum aus deren Basis herauskriecht. Ausgedörrt an Leib und Seele kamen wir nach Bellinzona, über welches hinweg uns die drei mächtigen Burgen, einst drohende Vesten schweizerischer Landvögte, entgegenstarrten.




Blätter und Blüthen.


Ein seltenes Zwillings-Paar. (Keine Erfindung.) Als ich im Jahre 1849 als avancementslustiger, einjährig gedienter Unterofficier mit der Berliner Landwehr gen Baden marschirte, aber aus verschiedenen nicht ganz militärischen Gründen nicht hinkam, bezog ich einst mit einem Detachement von zwölf Mann auf dem vom Dorfe isolirt belegenen Gute eines reichen Bauern in der Nähe von Iserlohn Quartier. Der Eigenthümer – triviales Spiel des Zufalls – hieß Schultze und war in allen seinen Manieren und Handlungen ein Westphale von echtem Schrot und Korn. Als er uns anmarschiren sah, kam er uns an der Spitze von Knechten und Mägden entgegen, schüttelte treuherzig erst mir, dann jedem Manne und dann nochmals mir die Hand, und obgleich wir nur noch höchstens zweihundert Schritte bis zum Gehöft hatten, so litt er doch nicht, daß wir unsere Tornister und Gewehre weiter trugen. Wir mußten Alles seinen Leuten übergeben, und dann führte er uns unter der wiederholten Versicherung, daß wir es bei ihm gut haben sollten, in sein Haus. Und er hat Wort gehalten, der brave Mann.

Ein großes hallenartiges Gemach mit zwölf Betten stand für die Soldaten, für mich ein fast elegant möblirtes Zimmer bereit. Keiner von uns durfte sich selbst bedienen; Knechte und Mägde holten Wasser, reinigten Zimmer, Kleider und Stiefel, machten die Betten, kurz, wir lebten, als hätte er Jeden einzeln bei sich zu Gaste geladen. Obgleich unser braver Wirth stets bei unsern Mahlzeiten zugegen war und, wie ein Feldherr in der Schlacht, uns unablässig zu neuem Einhauen anfeuerte und mit freudestrahlenden Augen unsere Heldenthaten betrachtete, durch die wir Berge und Schanzen von denkbar delicieusestem Schinken und Pumpernickel erstürmten und Bäche und Ströme von vorzüglichstem Schnaps, Bier und Wein auszutrocknen versuchten, so waren wir doch nie im Stande, das vorhandene Material zu bewältigen. Jedem braven Soldaten will ich einen solchen Quartiergeber wünschen! Mir ist seines Gleichen nicht wieder vorgekommen.

Vor dem Hause, die Fenster meines Zimmers beschattend, stand die schönste Linde, die ich je gesehen. Schon von Weitem war sie mir und selbst meinen Leuten durch ihre Größe, Form und Blätterpracht aufgefallen. Ich konnte mich gar nicht satt sehen an diesem Ideal einer Linde. Als ich am ersten Tage gegen Abend an mein Fenster trat, saß der Bauer vor der Thür und schaute mit unbeschreiblichem Wohlgefallen in das mächtig über ihm sich wölbende Blätterdach. Ich ging hinaus, setzte mich zu ihm und sprach ihm meine Bewunderung des herrlichen Baumes aus. Sein Gesicht verklärte sich noch mehr, er sah mich freudig an, nickte mehrmals mit dem Kopf und sagte dann mit tiefgemüthvollem Tone:

„Ja, ja, Herr Unterofficier, das ist auch mein Stolz und meine Freude! So ein feiner Stadtherr, wie Ihr, der kann sich vielleicht kaum denken, daß ein schlichter, roher Bauer einen Baum so lieben kann, wie Weib und Kinder, Gott verzeihe mir die Sünde! Aber seht, Herr, das hat so seine eigene Bewandtniß mit mir und dieser Linde. Mein Vater war in Berlin geboren, hatte die Landwirthschaft erlernt und stand als Inspector im Dienste des benachbarten Grafen; bei einer Kirmeßfeier lernte



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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_526.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)