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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

ihn geachtet, und wenn sie ihn gewahr geworden, so waren sie mit seiner stillschweigenden Ausschließung ganz einverstanden, daß aber der reiche Metzger ihm das so laut und rauh zu hören gab, brachte die gutmüthigen Leute dennoch in Verlegenheit und der dem neuen Gaste zunächst Sitzende, ein alter Bauer mit freundlichem, rothem Gesicht und stattlichem, weißem Schnauzbart, brachte es nicht über’s Herz, demselben anders zu antworten, als mit halb unterdrückter Stimme: „Es ist der Nußbichler Alis – er wird wohl auf seiner Wanderschaft da sein und Hadern suchen…“

„Da in der Einöd’? An der Kreuzstraßen?“

„Oder er hat davon gehört, daß wir heut’ Alle vom Bezirksamt daher bestellt sind. Ihr müßt wissen, daß wir Osterbrunner Bauern einen Streit haben mit den Hungerleidern von der Westerbrunner Gemein’ wegen der Vermarkung an unsern Gemeindewald, da soll heute die Grenz’ begangen werden: vielleicht will er auch dabei sein.“

„Aber ist er denn nicht längst von Haus und Hof?“

„Freilich, das Gütl ist ihm längst verkauft worden, vom Gericht aus, aber er glaubt, es wär’ ihm Unrecht geschehen und er müßt’ es einmal wieder bekommen, und da stellt er sich überall ein, wo die Gemeind’ zusammenkommt; er meint, er thät sich was vergeben, wenn er wegblieb’, und so schaut man nit auf ihn, laßt ihn halt geh’n!“

„Aber das soll man nicht!“ rief der Metzger wieder, herausfordernd und laut wie zuvor. „Einen solchen Menschen sollt’ man gar nicht mehr leiden in der Gemeinde, und ehe drei Wochen in’s Land gingen, müßt’ er mir draußen sein aus dem Dorf, als wenn er nie drinnen gewesen wär’! Ist denn nit im vorigen Herbst bei ihm Haberfeld getrieben worden? Das ist ja schlimmer, als wenn er im Zuchthaus gewesen oder am Pranger gestanden wär … mit einem Solchen thät ich nicht viel Federlesen machen, aber das versteht Ihr halt nicht, Ihr seid und bleibt halt Bauern!“

Der Betroffene saß unbeweglich, als hätt’ ihn ein Krampf ergriffen und erstarrt, die Bauern hörten zu und nickten mit verlegenem Lächeln. „Wir haben erst gar nit gesehen, wer drüben gesessen ist an dem Katzentischel,“ sagte der Weißbart wieder, „wir sind gar zu verwundert gewesen, wie wir Enk (Euch) gesehen haben, Herr Staudinger … daß Ihr so zu Fuß daher kommen seid und völlig allein! Geht’s Oes (Ihr) denn jetzt selber in’s Gäu?“

„Muß ich denn nicht?“ erwiderte der Dicke in neuem, steigendem Aerger. „Hab’ meinen Knecht, den Steffel, nach Unterwies bestellt mit dem Schweizerwagerl – aber er ist nicht ’kommen und wird sich gewiß irgendwo in einem Wirthshaus festgesoffen haben, der Hallunk’! So hab’ ich wohl auf Schusters Rappen weiter gemußt; thut auch schon Noth, daß man sich selbst rührt, wenn noch etwas herausschauen soll bei der Handelschaft – auf die Knecht’ darf man sich nicht mehr verlassen und mit Euch Bauern kann man gar nicht genug auf der Hut sein, denn Ihr seid Spitzbuben Alle mit einander!“

Die Bauern lachten wieder; sie nahmen es hin, daß der Allen bekannte reiche Viehhändler sich herabließ, mit ihnen seine gnädigen groben Späße zu treiben. „Und dazu eine solche Hitz’!“ fuhr er fort. „Als wenn’s auf die Hundstäg’ losging und net auf den October! Und weil ich grad so nah’ dran vorbei ’kommen bin, hab’ ich auch noch einen Umweg gemacht und bin auf den Steinberg hinauf in den Grundnerhof und hab’ gedacht, ich werd’ ein paar ordentliche Kalbeln erwischen, und hab’ richtig einen wirklichen Metzgergang gemacht…“

„Ja warum denn? Seid’s nit handeleins ’worden?“ fragte Einer.

„Nein,“. sagte der Metzger und lachte schon voraus über den Spaß, den er wieder auszusprechen im Begriff war; „ich hab’ den Grundner gar nimmer angetroffen, er ist selber schon verhandelt gewesen mit Haut und Haar – grad’ am Abend zuvor hat er’s gar gemacht und ist gestorben…“

„Was? Gestorben? Der alte Grundner?“ rief es aus dem Munde der Zunächstsitzenden wie mit Einem Laut und wie der Funken am Zündfaden durchrannte die Nachricht die ganze ländliche Versammlung; Worte des Bedauerns, Ausdrücke der Verwunderung antworteten von allen Seiten und zeigten, daß der Geschiedene nicht blos ein vielbekannter, sondern auch ein biederer Mann gewesen sein mußte, dem die Achtung und Liebe Aller gehörte, die ihn kannten. Ein paar ältere Männer warfen sich bedeutsame verstohlene Blicke zu, als wollten sie sagen: wir wissen es am besten, was für ein deutscher Mann er war und was die ganze Gegend an ihm verloren hat und wie so bald Keiner zu finden sein wird, der ihn ersetzen kann. Das Gespräch summte eifriger; man wollte wissen, wie das geschehen und was so in der Geschwindigkeit über den noch so rüstigen Mann gekommen sei, dem man trotz des fast erreichten Siebzigers weder das Alter angesehen, noch ein Abnehmen der Kraft. Andere aber meinten, er sei in der letzten Zeit doch nicht mehr so recht der alte baumfeste und gemüthliche Grundner gewesen, wie vor einem Jahre; schon im letzten Auswärts sei eine Schwäche über ihn gekommen, von der er sich nicht mehr zu erholen vermocht – er habe sich eben niemals Ruhe gegönnt und habe geschafft und gearbeitet früh und spät, und wenn Jemand auf ihn angestanden und auf seine Hülfe, so sei er bereit gewesen jede Stunde in der Nacht.

Und wieder blickten die Alten sich bedeutsam an und nickten, als wollten sie sagen: wenn wir reden dürften, wir wüßten es wohl am besten, was er Alles gethan.

„Aber wie ist denn das,“ rief Meister Staudinger, das ihn nicht anziehende Gespräch unterbrechend, und schlug mit seinem Stecken über den Tisch, daß die Krüge hüpften und die Teller klangen; „bekomm’ ich gar kein Bier in dem Haus? Kruzitürken, die Kellnerin überstaucht sich die Füß’ nicht auf der Kellerstiegen. Wenn ich der Wirth an der Kreuzstraßen wär, der wollt’ ich das Springen lernen…“

„Noch ist Keiner verdurst’t an der Kreuzstraßen,“ erwiderte ruhig die Gerufene, welche eben, einen einzelnen Krug in der Hand, die Eingangsstufen herabkam und die letzten Worte vernommen hatte, „und was das Lernen angeht, dazu gehören allemal Zwei…“

Das Mädchen war eine eigenthümlich schöne, in dieser Umgebung und der bäurischen Tracht fast überraschende Erscheinung; der kräftigen und doch feinen Gestalt entsprachen vollkommen die füllreichen und doch zierlichen Formen. Die Farbe des von reich geflochtenen lichtbraunen Zöpfen umrahmten Gesichts war beinahe bleich, aber ein Hauch der Frische, der darüber hinging, zeigte, daß das nicht Kränklichkeit war, sondern nur ungewöhnliche Feinheit und Zartheit. Um den kleinen, zum Lächeln bereiten Mund schwebte etwas wie anmuthige Schalkheit, aber darüber in den braunen Augen wohnte als Hüter ein so entschiedener Ernst, daß sie nicht auskam und der Gesammtausdruck zwar auf den ersten Blick freundlich gewinnend anzog und dennoch gleichzeitig mit strenger Unnahbarkeit wieder von sich stieß. Es war beinahe, als ob ein an feinere Verhältnisse gewöhntes Wesen nothgedrängt sich in die rauhere Hülle und Umgebung geflüchtet und nun, ganz in sich zurückgezogen, mit scheuer Vorsicht darüber wache, daß kein Störer entweihend eindringe in das Heiligthum ihres Geheimnisses.

Sie wandte sich mit dem Kruge der Stelle zu, wo der Ausgestoßene saß.

„He da!“ schrie der Metzger, der sie verblüfft betrachtete und anhörte, „hat die Person keine Augen im Kopf? Auf meinen Tisch, da zu mir her gehört das Bier…“

„Der Mann da hat früher bestellt,“ erwiderte ruhig das Mädchen, indem es dem Einzelnen neben dem Pferdestall mit dem üblichen ‚Gesegn’ es Gott’ den Krug hinstellte.

„Na, der hätt’ wohl warten können!“ knurrte der Meister; „ich mein’, wenn Unsereins da ist …“

Er vollendete nicht, denn das Mädchen hielt jetzt, den Fuß auf die erste Stufe setzend, unmittelbar vor ihm an und blickte ihn mit den großen dunklen Augen so fest und ernst in’s Gesicht, daß er darüber den Faden seiner Rede verlor.

„Warten?“ sagte sie. „Warum etwa? Der Sechser von dem armen Menschen ist accurat so viel werth, als der von jedem Andern und wenn’s der reichste Viehhändler und Kornkipperer wär’ – und bei mir daheim heißt’s allemal, wer zuerst kommt, der mahlt zuerst!“

Damit verschwand sie im Hause und überließ den Metzger, der mit offnem Munde und aufgesperrten Augen da saß, seiner Verwunderung. „Kruzitürken!“ stieß er endlich beinahe stammelnd hervor, „das ist ja wieder was ganz Neues! Die Person hat der Kreuzwirth wohl eigens eingestellt als Zuwider-Wurzen, damit sie den Leuten über’s Maul fährt und den Gästen Grobheiten macht? Wie heißt denn das Schatzerl, das nette? Wo ist sie denn her, damit man doch weiß, wo die Sorten wachst?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_578.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)