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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wenn er sich auf dem äußersten Rand oben auf die Zähne stellt, das heißt sich in den Rand einbeißt und die Füße zappelnd in der Luft bewegt; man staunt nicht mehr über die lebensgefährlichen Leitern, wie sie es nennen, von denen die eine gerade steht, während eine zweite wagrecht auf diese gelegt und eine dritte senkrecht auf der zweiten befestigt wird. Während Einer alle drei auf den Füßen balancirt, macht der Andere an sämmtlichen dieser Leitern, namentlich an der dritten, die unglaublichsten, jedem Gesetze des Schwerpunktes hohnsprechenden Kautschukmannsübungen. Es sei zum Schluß nur noch eines Kunststückes gedacht, welches so zart und sinnig ausgeführt wird, daß es den angenehmsten Gegensatz zu dem bereits Producirten bildet. Aus zwei Stückchen Reispapier bildet der Künstler ein paar Schmetterlinge, die er vor den Augen des Publicums anfertigt. Blos durch die einfache, aber geschickte Bewegung mit dem Fächer bringt er ein täuschendes Naturleben in die beiden Stückchen Papier. Auf sein Commando fliegen dieselben – man schwört darauf, es seien wirkliche Schmetterlinge – frei herum, lassen sich flatternd auf hingehaltenen Blumen nieder, erheben sich wieder in die Luft, werden in einem Körbchen eingefangen, der Deckel des letzteren wird gehoben, und abermals gaukeln die Luftbewohner in der natürlichsten Bewegung, die durch die fast unmerkliche Fächerbewegung hervorgebracht wird, in ihrem Element herum, bis sie plötzlich zu Boden fallen, zwei unscheinbare, leblose Stückchen Papier. Es ist dies eines der reizendsten Kunststückchen und muß sich, bei einiger Uebung, unschwer nachahmen lassen.

Ob ich mit der obigen Schilderung ein klares Bild der japanesischen Gauklerproduction gegeben habe, ob ich überhaupt berechtigt bin, dieselbe in diesen Blättern niederzulegen, darüber zu entscheiden, muß ich dem freundlichen Leser überlassen. Ich glaubte auf die fremdartige, originelle Erscheinung dieser „Kinder der Sonne“ um so eher hinweisen zu können, als diese bei den enormen Summen, die sie hier und in Amerika verdienen, kaum zu bestimmen sein dürften, Deutschland heimzusuchen, und wir uns wohl noch einige Zeit mit dem behelfen müssen, was der europäische Markt in diesem Genre bietet.




Die Fischer-Lisel.
Ein Original aus den Alpen.


Jede Stadt – fast jedes kleine Oertchen – hatte früher irgend eine bekannte Persönlichkeit, welche durch Abweichung von der einheimischen Art und Weise, durch Eigenheiten im Benehmen oder Sonderbarkeiten in der Lebensweise sich von den übrigen Einwohnern unterschied, dafür von allen Andern bekrittelt und ausgelacht, oder auch geduldet und nicht selten geliebt und geachtet wurde und so eine Art von Wahrzeichen bildete, worin die Physiognomie, der Gesichtsausdruck des Ortes sich zu einer bestimmten greifbaren Persönlichkeit verkörperte. Sie waren Sonderlinge, diese Leute, aber auch Kernmenschen, die in Zeiten allgemeiner Ausgleichung und Verflachung, wie die jetzigen, immer seltener werden.

Eine solche Kernnatur war auch die treffliche Fischer-Lisel, und wie man Niemandem glaubt, daß er in Salzburg gewesen, wenn er nicht einen Regentag erlebt hat; wie Niemand sagen kann, er habe Regensburg besucht und sei über die Brücke gegangen, ohne Glockengeläute gehört zu haben: so konnte bis vor Kurzem kein Tourist oder Bergwanderer sich rühmen, er habe die reizenden Gestade des Schliersees, jenes im bairischen Hochlande nur wenige Stunden östlich vom Tegernsee gelegenen auf drei Seiten von hohen, schöngeformten Bergen umstandenen, überaus anmuthigen kleinen Wasserbeckens, besucht, wenn er nicht die Fischer-Lisel gesehen und bei ihr eingesprochen hatte.

Die Fischer-Lisel war die Wirthin des Dorfs – eine Wirthin von dem alten patriarchalischen Schlage, der zugleich mit den Kernmenschen der letzten Jahrzehnte zu verschwinden beginnt, und ich denke mit Vergnügen des Tages, als ich zum ersten Male auf der Halbinsel im Schliersee, der Freudenberg genannt, bei ihr einkehrte und auch gleich mit Sack und Pack, mit Weib und Kind wohnen blieb, wie lieb uns Allen der enge beschränkte Aufenthalt geworden und wie oft er seitdem seinem Namen Ehre gemacht und uns manch’ liebes Mal ein wirklicher Freudenberg gewesen. Die Lisel hatte damals das stattliche Wirthshaus drüben im Dorfe schon lange ihrer Tochter übergeben und sich auf den Freudenberg „in den Austrag“ zurückgezogen oder zur Ruhe gesetzt, aber die angeborne Lebhaftigkeit und Rührigkeit ihres Wesens machten ihr unmöglich, ganz auf die gewohnte Thätigkeit zu verzichten – es war ihr nicht wohl, wenn sie nicht die paar Zimmerchen im Hause vermiethet hatte und Gäste um sich sah, für die sie sorgen konnte, wenn sie auch keinen andern Gewinn davon haben mochte, als eben die lieb gewordene Sorge selbst. Man mußte sie sehen, wenn es ihr gelungen war, ein besonderes Gericht aufzutreiben, etwa Salblinge aus dem Schliersee, die nirgends eine größere Seltenheit sind, als gerade an seinen Ufern – wenn sie dann sah, wie ihre Gäste gottvergnügt es sich schmecken ließen, und wenn man ihre schlichte Kochkunst rühmte, dann hums’te sie halblaut vor sich hin, faßte mit eigenthümlicher Handbewegung nach rückwärts an den Rand des abgeblaßten grünen Spitzhuts und rückte ihn auf dem grauen Haare zurecht.

Abends, wenn die Dämmerung den Feierabend brachte, saß sie oft Stunden lang im Gespräch vor dem Hause und erzählte mir allerlei Anziehendes, aber das geschah erst, nachdem wir schon einige Wochen mit einander verlebt hatten und es uns gelungen war, ihr Zutrauen zu erwerben. Da erzählte sie in ihrer schlicht-kernigen Weise die Sagen und Märchen des Sees und der Berge, welche der jüngern Generation verloren gehen, weil sie dieselben nicht mehr achtet, oder merkwürdige Begebenheiten aus dem Leben der Dorfbewohner, Bilder aus eigener Erinnerung oder von der Geschichte des Hauses, vor welchem wir saßen, wie es noch ein Jägerhaus gewesen, eh’ die Försterei hinüber verlegt worden war in das Dorf, hübsch bequem und nahe an die Kirche und – das Wirthshaus. Die Verlegung hat aber doch auch eine Entschuldigung für sich. Der Verkehr vom Freudenberge aus mit dem festen Lande ist durch seine Lage und Gestalt als Halbinsel sehr erschwert und findet, wenn man nicht einen Umweg von einer halben Stunde machen und einen nicht immer gefahrlosen Pfad durch Sumpf und Geröhricht vermeiden will, nur über den See statt. Am Hausgiebel ist deshalb eine Glocke angebracht und wenige Schläge derselben genügen, um gerade gegenüber jenseits des Sees die Bewohner des Fischerhauses aufmerksam zu machen, die dann mit dem Kahn angerudert kommen, um für einen Kreuzer Fährlohn den Wanderer überzuholen. Der letzte Förster, der auf dem Freudenberg gehaust, war ein junger tüchtiger Mann gewesen, der mit seiner jungen hübschen Frau recht angenehme Tage in der einsamen Försterei verlebte und viel für deren Ausschmückung und die Anpflanzung der noch vorhandenen Obstbäume that – an einem Winterabend fuhr er nach dortigem Gebrauch auf einem sogenannten Beinlschlitten sammt Frau und Gehülfen über den zugefrorenen See. Bei solcher Fahrt sitzt jede Person auf ihrem eigenen Schlitten, der mittels eines langen Stachelstocks regiert wird und dann pfeilschnell über das Spiegeleis dahin fliegt – der junge Förster mochte die Schnelligkeit wohl übertrieben haben, vor den Augen seiner entsetzten Frau fuhr er in eines der Luftlöcher, die der Fische halber im Eise aufgehauen werden, und versank rettungslos. An der Kirchhofmauer erzählt sein Denkstein das traurige Ereigniß. Nach der Verlegung war es Frau Elgraßer – das ist der eigentliche Name der Fischer-Lisel – die den Freudenberg käuflich erwarb, damit nicht dort eine zweite Wirthschaft entstehe und der anmuthigen Lage wegen die alte drüben im Dorfe überflügeln möchte.

Es ist aber auch ein wunderbar anmuthiges Plätzchen vor dem Jägerhause, und es sitzt und träumt sich gar angenehm, wenn der Blick über den See mit dem kleinen Inselchen, über das Dorf am Gestade und über die Berge hinstreift, bis zum riesigen Jägerkamm und der nicht minder gewaltigen Brecherspitz, zwischen welchen der Bergweg hinanzieht zum Spitzingsee, in die Salepp und zur Kaiserklause. Während der Weinberghügel im Dorfe mit seiner alten Capelle und die Ruinen von Waldeck an die Zeiten mahnten, wo hier das hochritterliche Geschlecht der Herren von Maxlrain gehaust, dessen romantische Erlebnisse noch immer des Erzählers harren, war es gar behaglich und eigen, die Tage daranzureihen, von denen Lisel zu erzählen wußte, wie zuerst nur die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_601.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)