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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die Dame erwiderte nichts; sie zuckte nur mit den etwas stark entblößten Schultern, verzog den hübschen Mund zu einem unsäglich geringschätzigen Lächeln und fuhr in ihrer Zeichnung fort. Der Amtmann zog aus der Westentasche das an einer Schnur hängende Lorgnon von Schildpatt hervor, zwängte es in’s Auge und musterte die Bauern, die drohend und wie kampfbereit einander gegenüber standen. „Ich verbitte mir das Geschrei und diese Rohheiten,“ sagte er streng, „ich sehe schon, wo der Fehler sitzt – es mangelt der gehörige Respect, das macht Euch vergessen, vor wem Ihr steht und mit wem Ihr sprecht. … Ich bürge Euch dafür, in einem Jahre soll’s anders sein! … Und wer sind Sie?“ fuhr er fort, gegen den Lehrer gewendet, der in bescheidener Entfernung seitwärts stand, „gehören Sie auch zu den Osterbrunnern?“

„Ich bin der Schullehrer des Orts,“ erwiderte der Angeredete, „zugleich Gemeindeschreiber und als solcher verpflichtet, bei heutiger Verhandlung das Protokoll zu führen.“

„Dann bedaure ich, daß Sie einen vergeblichen Spaziergang gemacht haben,“ entgegnete der Amtmann; „das Amt, das die Verhandlung führt, hat auch für das Protokoll zu sorgen – ich habe meinen Actuarius mitgebracht…“

„Entschuldigen Sie, Herr Amtmann,“ sagte Sixt vortretend, während der Lehrer verschüchtert zurücktrat und die Bauern einander wieder wie vorher rathlos betrachteten, „es war nicht so gemeint, als wollten wir in die Befugnisse des Amts eingreifen – es geschah in gutem Glauben, denn noch ist es nicht eine eigentliche Amtsverhandlung, weßwegen wir da sind, sondern eine Vermittlung zwischen zwei benachbarten Gemeinden, bei der das Amt anwesend ist … wir wollten auch dem Gemeindesäckel die Kosten ersparen, und dann – die Hauptsache, es ist immer so der Brauch gewesen und kein Mensch weiß und denkt es anders, als daß bei Gemeindesachen der Gemeindeschreiber auch das Protokoll führt…“

Der Amtmann schien bei Beginn dieser Rede nicht übel Lust zu haben, aufzuspringen und unwillig zu antworten, aber die ruhige Haltung, der sichere Ton des Aichbauers hatten etwas in sich, was dem aufwallenden Unmuth einen Dämpfer aufsetzte. Er hielt an sich, maß die stattliche Gestalt des jungen Bauers vom Wirbel bis zur Sohle und fragte kühl und abstoßend: „Wer ist es, der sich da zum Sprecher und Wortführer aufwirft?“

„Ich bin der Aicher von Aich,“ entgegnete Sixt, „der Herr Amtmann kennen mich schon, wenn auch nicht von Person – Sie haben mir einen Befehl zugeschickt, wie ich den Fruchtwechsel einrichten soll auf meinem Gute…“

„Ah, das seid … das sind Sie?“ rief der Beamte während der Rede seinen Satz verbessernd. „Ihr … Sie haben sich geweigert, dem Rathschlage zu folgen – denn nur ein solcher war es, was ich Ihnen zuschickte – Sie scheinen ein widerspenstiger Kopf zu sein.“

„Ich hab’ mir die Freiheit genommen, ja, Herr Amtmann,“ erwiderte Sixt, „aber widerspenstig bin ich darum nicht! Ich meine nur, Sie würden sich von mir nichts einreden lassen, wenn ich in Ihre Kanzlei kommen und sagen wollte, wie Sie Ihre Protokolle machen und Ihre Acten einrichten sollen – d’rum will ich mir auch in meinem Gut, auf meinen Feldern nichts drein reden lassen… Es mag Manches gut und gescheidt sein draußen in der Eben, auf einem andern Grund und Boden, aber bei uns hierinnen, auf unsern Bergen, da ist das ein ganz andres Ding … da hilft das Nachmachen nichts, da muß man selber die Augen aufthun…“

„Auch bei der Differenz wegen der Waldgrenze stehen Sie an der Spitze…“

„Das gerad’ nicht – aber Einer muß sich doch um die Sach’ annehmen, damit den Andern die Arbeit erspart wird; also hab’ ich mich darüber gemacht, habe den Flurplan hergenommen und Alles hineingezeichnet, was nöthig ist…“ Dabei zog er ein großes vielfach zusammengelegtes Blatt aus der Tasche und schlug es, das Kaffeegeschirr unbedenklich bei Seite schiebend auf dem moosigen Felsblock auseinander. Es war das betreffende Blatt aus der allgemeinen Landvermessungskarte, aber der Wald, um den es sich handelte, war mit seinen Grenzen, Höhen und Senkungen, Felspartien und Baumarten so genau und mit solch’ zierlicher Sauberkeit eingezeichnet, daß das Ganze einen ungemein freundlichen und gefälligen Eindruck hervorbrachte.

„Sieh da, ein förmlicher Plan!“ rief der Amtmann gedehnt. „Man versteht also auch zu zeichnen? Was sagen Sie dazu, ma mie? Die zweite Ueberraschung in einer halben Stunde … ein Quintin Messis unter Bauern!“

Die Dame hatte schon beim Erscheinen des Aichbauern ihre Arbeit unterbrochen und nach ihm hinüber gesehen; jetzt warf sie einen flüchtigen Blick auf die Zeichnung, einen etwas aufmerksameren auf den Zeichner. „Nicht übel,“ sagte sie dann und kehrte wieder zu ihrer Beschäftigung zurück, ohne daß sich sagen ließ, welchem von Beiden die Bemerkung gegolten.

„Ich hab’ geglaubt,“ begann der Aichbauer wieder, „ein solcher Plan könnt’ bei der Waldbegehung sehr diensam sein – man könnte gleich Alles an Ort und Stelle vergleichen, jeden Einspruch vormerken und so für alle Zeit einen Anhalt bekommen, der gar nit mehr streitig sein könnt’…“

Der Beamte hatte sich von seiner Ueberraschung erholt und den alten Ton wieder gefunden. „Es ist nur zu bedauern,“ sagte er, „daß so viel Mühe, Fleiß und Zeit so unnöthig aufgewendet wurde. Bei den Anordnungen über den Fruchtwechsel wäre sie besser am Platze gewesen, denn daß man bei seinem Leisten bleiben soll, ist ein Spruch, der nicht ausschließlich vom Schuster gilt. … Ich bedarf keines Planes mehr, die Grenze ist bereits begangen…“

„Aber ohne uns, Herr Amtmann,“ sagte Sixt mit Nachdruck, „wir sind eigens dazu geladen und unsere Schuld ist es nicht, wenn man Knall und Fall einen andern Treffungsort bestimmt hat…“

„Gleichviel, sie ist nicht mehr nöthig jetzt … das Amt ist bereits vollständig informirt…“

„Das ist nicht Ihr Ernst, Herr Amtmann,“ entgegnete Sixt, dessen Stirn sich immer krauser faltete. „Es sind einmal zwei Parteien da, die sich über die Grenze streiten – die Begehung hat den Zweck, an Ort und Stelle zu hören, was jede einzuwenden hat! Sie haben die Erinnerungen von der einen gehört, Sie müssen auch –“

(Fortsetzung folgt.)


Elfenwirthschaft.
Von Rudolph Löwenstein, illustrirt von Theodor Hosemann.


     In einer kleinen Stadt am Rhein
Kehrt’ ich einmal ermüdet ein.
Es war schon Nacht, der Wächter rief
Die zwölfte Stund’. Rings Alles schlief,

5
Am Regenhimmel, ach, kein Stern,

Kein Lämpchen irgend, noch Latern’!
     Die dunklen Straßen kreuz und quer
Ging ich, verschmachtend fast, umher,
Und endlich kam ich vor ein Haus –

10
Es sah wie eine Herberg’ aus.

Ein breites Schild auf breitem Thor,
Ich stand unschlüssig nun davor,
Doch – was kann’s schaden? dacht’ ich dann
Und klopft’ am Fensterladen an.

15
     Da öffnet sich ein Schieber schnell,

Zwei Augen seh’ ich blitzen grell
Und eine Nase, riesengroß.
     Ein Männlein fragt: „was ist denn los?
Was willst Du, kleiner Knirps, denn hier?“

20
     „Ach,“ fleht’ ich, „nur ein Nachtquartier!“

     Das Männlein lacht hellauf und spricht:
„Hast vor Gespenstern Angst Du nicht,
So komm’ herein! im Kämmerlein
Wird Platz genug noch für Dich sein!“

25
     Ich trat in’s Haus. Beim Kerzenstrahl

Sah ich ein Männlein grau und fahl;
Doch schien’s nicht bös, wie ich gedacht;
Hat Speis’ und Trank mir gleich gebracht,
Mich viel gefragt, woher ich wär’,

30
Wie alt, ob fleißig, und noch mehr.

Dann führt’ es mich in’s Kämmerlein,
Sprach: „Willst Du ruhig nicken ein,
So zähm’ die Neugier mit Gewalt,
Guck’ nicht durch jener Thüre Spalt,

35
Wir haben just die Geisterstund’,

Gut’ Nacht, mein Söhnchen, schlaf gesund!“
     Ich streckt’ mich auf die Diele hin,
Doch kam kein Schlaf mir in den Sinn.
Stockstill und finster mein Gemach,

40
Daneben aber Ach und Krach,

Ein Lärmen, Toben und Getos,
Als wären hundert Böcke los.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_612.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)