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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

besitzt … Einstweilen aber werdet Ihr gut thun, liebe Leute, Euch um die Zukunft noch nicht zu kümmern, sondern ruhig Eurer Wege nach Hause zu geh’n. Ihr habt mitunter einen ziemlich weiten Weg zu machen und werdet das Weitere schon zu hören bekommen …“

„Die Bauern sprachen durcheinander, daß es wie Murren klang; besonders die Osterbrunner steckten die Köpfe zusammen. Der Aichbauer hatte sich von ihnen getrennt und war in die Nähe des Wildbachs getreten; eine herniederrieselnde Wasserader fing er in der hohlen Hand auf und benetzte sich die Stirn, das ungestüm anstürmende Blut zurückzutreiben.

„Aber,“ sagte endlich der Grubhofer halblaut, „nun möchten wir doch auch wissen, woran wir sind! Wir möchten doch nicht gern so völlig für nichts und wider nichts hergesprengt sein!“

„Wie ist es denn jetzt mit dem Wald?“ riefen Andere. „Kriegen wir jetzt eine neue Waldgrenze und wer hat denn Recht behalten von den zwei Gemeinden?“

„Still!“ rief der Amtmann mit strenger Würde. „Ich gebiete Ruhe und werde meinem Gebote Gehorsam zu verschaffen wissen. Die Sache ist vom Amte in gehöriger Form eingeleitet und wird ihren gesetzlichen Gang gehen, die Erklärungen und Erinnerungen der Gemeinde Westerbrunn sind zu Papier gebracht und sollen der Gemeinde Osterbrunn zur Gegenerinnerung mitgetheilt werden… Das Amt wird dann die Acten schließen und nach reiflicher Erwägung dessen, was dem Wohle einer jeden Gemeinde am angemessensten ist, die Entscheidung treffen…“

„Dann sind wir in fünfzig Jahren auch noch am alten Fleck!“ riefen die Osterbrunner unwillig durcheinander, auch unter den Westerbrunnern waren Viele, denen der Ausspruch, wenn er auch augenblicklich zu ihren Gunsten war, wegen der darin liegenden Verzögerung beschwerlich erschien. „Wir wollen keine lange Schreiberei!“ hieß es immer lauter. „Wir wollen’s nicht auf die lange Bank schieben lassen! Jetzt sind wir bei einander, jetzt soll’s ausgemacht werden!“

„Oho,“ rief einer unter den Westerbrunnern den gegenüberstehenden Angehörigen der feindlichen Gemeinde zu. „Ihr könnt’s wohl gar nicht erwarten, bis der Spruch kommt? Das kommt davon her, Ihr habt ein schlecht’s Gewissen und eine schlechte Sach’!“

„Und Ihr solltet gleich das Maul nit aufmachen, Ihr Westerbrunner Hungerleider,“ rief der Grubhofer entgegen. „Ihr solltet Euch schämen, daß Ihr die Sach’ so überrumpeln wollt!“

„Wer kann uns das nachreden?“ schallte es wieder von drüben. „Ein schlechter Mann, der so ’was sagt!“

„Ich sag’s, der alte Grubhofer sagt’s! Aber wer mich ein’ schlechten Mann schimpft, der ist selber nicht werth, daß ihn die Sonn’ anscheint!“

Der Amtmann gebot wiederholt Ruhe und Stille, aber sein Ruf besaß weder die Kraft, den wachsenden Lärm zu übertönen, noch hatten seine Worte die Macht, sich wie eine Schranke zwischen die feindlichen Bauern zu legen, welche in immer steigender Erbitterung sich hantirend und schreiend immer näher aneinander drängten, so daß im nächsten Augenblick ein Zusammenstoß und wirkliches Handgemenge zu befürchten war.

Da trat mit einem Male der Aichbauer dazwischen, stieß mit kräftigen Armen die Ungestümsten und Vordersten nach rechts und links zurück und hatte bald eine freie Gasse gebildet, in deren Mitte er stand, dem Amtmann gegenüber, der sich vor dem Gedränge in bescheidene Entfernung zurückgezogen hatte; er war wieder gelassen, wie bei der Ankunft im Waldthal, nur schien aus dem früher glühenden Angesicht das Blut bis auf den letzten Tropfen zurückgewichen zu sein.

„Was soll’s geben, Grubhofer, alter Rebeller?“ rief er. „Wirst nit einmal lernen, ein’ Fried’ geben? Und Dich, Finkenzeller, hätt’ ich auch für gescheidter gehalten für einen so alten Kampel und noch dazu einen Gemeindevorsteher! Was wollt Ihr denn? Ist es Euch noch nicht genug, daß Ihr schon einen Proceß vor der Thür habt, von dem die eine Hälfte das End’ gar nit erlebt und an dem derweil’ die andere Hälfte zu Grund’ gehen kann? Wollt Ihr auch noch eine Untersuchung dazu haben und einander blutige Köpfe schlagen? Wollt Ihr’s beweisen daß die Selbigen Recht haben, die sagen, wir können uns selber nit regieren und vertragen, man müßt’ uns überall einen Vormünder stellen und uns das Recht vorschneiden, wie den Kindern das Fleisch, fein kleinweis, daß sie nit daran ersticken? Ich kann’s nit glauben von Enk, Nachbarn! Sein doch unsere Ahn’ln in den zwei Dörfern alleweil in Frieden miteinander aus’kommen und in der Einigkeit … erst seit die letzten dreißig Jahr’ ist der Unfrieden da und die Feindschaft…“

„Ganz natürlich,“ entgegnete der Finkenzeller, „gerad’ so lang’ ist es, daß Ihr Osterbrunner uns den Staudinger Forst abstreiten wollt!“

„Weil wir ohne die Laubstreu’ nit hausen können,“ sagte Sixt, „und weil der Staudinger Forst unser gehört von Gott’s und Rechts wegen! G’rad’ so gut kann ich sagen, Ihr habt die Feindseligkeit angefangen, weil Ihr die Achazi-Point verlangt und meint, sie g’hör’ Euch!“

„Sie gehört uns auch!“ rief der Finkenzeller wieder, „und sie muß uns gehören, es ist die Weidenschaft, die wir brauchen, wenn wir nit zu Grund’ gehen sollen, und wir können’s auch beweisen, daß sie unser gehört, wir haben alte G’schriften dafür gehabt und Brief’ mit einem großmächtigen Siegel daran, aber wir haben sie vor zwanzig Jahren auf’s Amt hinein getragen…“

„Ja,“ begann der Aichbauer wieder, „so ist’s mit unsern Hausbriefen auch gewesen, aber das Amt ist abgebrannt und all’ die alten Schriften und Urkunden sind mit in Rauch auf’gangen. Kein Mensch kann mehr sagen, wie’s einmal gewesen ist … wollen wir die Narren sein und deswegen unser gut’s Geld verstreiten … wär’s nit g’scheidter, wir thäten nimmer darnach fragen, sondern thäten frischweg ausmachen, wie’s in Zukunft sein soll?“

„Ja, ja,“ riefen viele Stimmen und ein Gemurmel des Beifalls ging durch die beiden feindlichen Parteien; nur der Amtmann zuckte geringschätzig mit den Schultern und lachte.

„Ja, wenn das so leichthin ginge! Auch ist zu Derlei hier nicht der geeignete Ort!“

„Auf den Ort, Herr Baron von Lanzfelt, kommt’s wohl nit an,“ sagte Sixt, „und wenn man nur recht ernstlich will, geht Manches, das oft gar nit den Anschein dazu hat. Kommt einmal da her, Nachbarn und Landsleute, schaut Euch den Plan da an, den ich aufgerissen hab’ … wenn er auch sonst für nichts gut ist, dazu wird er doch taugen, daß Ihr’s seht, wie die Grenzen laufen, wo unsere Gemeindemarkungen aneinander stoßen. Es hat schon dazumal, bei der Landesvermessung, Niemand recht gewußt, wie die Grenz’ lauft, drum hat sich’s der Geometer leicht gemacht, hat das Lineal genommen und schier einen g’raden Strich mitten durchgezogen… Rechts von dem Strich liegt der Rantinger Forst, auf den Ihr spitzt, links weiter unten ist die Achazi-Point, die wir Osterbrunner gern haben möchten… Jetzt schaut einmal her! Das grüne Band da, das sich so curios windet, das ist der Wildbach die Grünach … wie wär’s, wenn wir den Geometer mit sammt seinen Strich ausmerzen thäten und thäten dafür die Grenz’ nehmen, die unser lieber Herrgott selber hinein gezeichnet hat in’s Land? Die Grünach macht da einen Bogen und geht um den Forst herum und da unten weicht sie nach links aus und laßt die Point liegen… Ihr laßt uns von der Point, was über’n Bach herüber fällt, wir geben Euch das Stück Forst, das der Bach abschneidet – so wär’ uns allen Zweien geholfen: Ihr habt Streu, wir Weidenschaft – wir haben eine richtige Grenz’, die keine Abmachung braucht und über die es keinen Streit geben kann in ewigen Zeiten, wir haben keinen Proceß mehr vor der Thür und was das Schönste ist, die Feindschaft ist aus, und die Osterbrunner und Westerbrunner können wieder gute Nachbarn und Freund’ sein, wie alleweil…“

Der Bauer hatte den Nagel auf den Kopf getroffen; es bedurfte nur ein paar Augenblicke, während deren die Männer den Plan auf dem Felsblocke betrachteten, und Alle waren einig: der Vorschlag war so einleuchtend und klar und dabei nach allen Seiten befriedigend, daß es unbegreiflich erschien, wie man nicht längst schon auf diese Auskunft verfallen war. Der Beifall gab sich in lärmendem Zuruf der allgemeinen Zustimmung kund. Die Bauern drängten sich der Reihe nach heran, Sixt die Hand zu bieten; der Finkenzeller aber, der Vorsteher von Westerbrunn, war ganz gerührt, wie er vor ihn hintrat. „Geh’ her, Sixt,“ sagte er, „Du bist ein ganzer Kerl! Du bist das richtige Konterfei von Dein’ Vater … Gott tröst’ ihn! Geh’ her, ich muß Dir ein’ Schmatz geben!“

Damit faßte er ihn mit beiden Händen am Kopf und drückte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_626.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)