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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Du weißt auch, daß er Habermeister gewesen, ist und daß der Habermeister das Recht hat, vor sein’ Tod den zu bestimmen, der nach ihm kommen und Habermeister sein soll…“

„Das weiß ich wohl – aber was hab’ ich damit zu schaffen?“

„Frag’ nit so überzwerch! Bist nit ein Haberer, so gut wie wir Zwei, und willst Dich g’stelln, als wenn Du uns nit versteh’n thätst? Der alte Grundner schickt uns zu Dir…“

„Zu mir? Ich soll …“

Du und kein anderer Mensch sollst jetzt Habermeister sein. … Wie’s zum Sterben ’gangen ist, hat der alte Grundner uns Zwei und die vier andern Alten rufen lassen, die miteinander das Habergericht ausmachen, und hat uns gesagt, er wüßt’ kein Bessern und Richtigern, der nach ihm kommen sollt’, als den Aicher – Sixt von Aich – wir haben’s ihm in die sterbende Hand versprechen müssen, daß wir zu Dir geh’n und Dir die Botschaft bringen wollen, und wie wir das gethan gehabt haben, ist er ruhig ’worden, hat sich zurückgelegt und ist bald darauf gottselig verschieden. Wir aber haben Dich jetzt aufg’sucht…“

„Nein, nein!“ rief Sixt abwehrend, „dazu taug’ ich nit … dazu bin ich viel zu jung!“

„Das geht uns nichts an,“ sagte der Haberer, „der Meister hat das Recht, seinen Nachmann zu wählen, und sonst Niemand – Dich hat er gewählt, also bist Du der Habermeister und kein Mensch kann was dagegen haben, wenn Du Dir’s recht überlegst! Mach’ nit viel Umständ’, Aicher – der Haber ist abgeräumt überall, der Wind geht schon über die Stoppeln von der Leizach und von der Mangfall her … es ist Zeit, daß das Treiben ang’sagt wird… Also sag’ Ja und nimm den Stab in Empfang!“

„Was für ein’ Stab?“

„Wie Du redst und thust! Was sonst für einen, als den der Habermeister führt und der das Abzeichen ist von sein’ Amt, so lang als das Habergericht besteht? Der Kaiser Karl hat ihn dem ersten Habermeister selber gegeben und seitdem hat er sich heilig fortgeerbt von Hand zu Hand…“

Der Mann zog unter dem Mantel den Stab hervor und bot ihn dem Aichbauer, der ihn wie mit einer Geberde des Schreckens zurückwies; es war ein unscheinbarer Stab von altem, schwarzgebräuntem Holze, dünn und lang, einem Scepter nicht unähnlich; der Griff war in Form einer Kugel geschnitzt, am obern Ende eine Hand mit empor gehobenen Schwurfingern angebracht.

„Laßt mich in Ruh, Ihr Männer,“ sagte Sixt fast ängstlich, „das kommt über mich, wie vom Himmel gefallen … ich muß mich erst besinnen…“

„Besinnen? Ob Du die größte Ehr’ annehmen sollst, die Dir zu Theil werden kann in Dein’ ganzen Leben? Bist Du nit auch ein Haberer und willst Dich besinnen, ob Du den alten Brauch, das alte Recht bewahren willst, auf das wir stolz sind, und das nur wir haben in unserm Gau?“

Nahende Schritte und Stimmen wurden hörbar.

„Es kommt wer,“ flüsterte Sixt, „macht, daß man Euch nicht sieht … aber bleibt in der Näh’ … ich sag’ Euch später noch Antwort…“

Die Haberer verschwanden im Dunkel, Sixt wandte sich der Treppe zu – als er sie betreten wollte, stand Franzi vor ihm.

Sie war in hohem Grade ergriffen und erregt; sie vermochte nicht zu sprechen und hob nur wie innig bittend die gefaltenen Hände zu ihm empor.

„Du bist da? Wie kommst Du daher?“ rief er sie unwillig an. „Du verlegst Dich ja überall auf’s Horchen, wie’s scheint…“

„Gott ist mein Zeug’,“ erwiderte sie hastig, „ich hab’ nit horchen wollen – ich kann wahrhaftig nichts dafür, daß ich die Zwiesprach mit ang’hört hab’, aber ich will glauben, mein Schutzengel hat’s gethan und hat mich hergeführt gerad’ zu der rechten Zeit…“

„Was willst von mir? Geh’ mir aus dem Weg Du – Heimliche! Ich verlang’ nichts zu wissen von Deine’ Geheimniss’ … was willst Du Dich mir aufdringen?“

„Aufdringen? Ich Dir? .. Ich will ja nur ein einzig’s Wort sagen, nur eine einzige Bitt’… Laß’ Dich nit bereden, Sixt … thu’ das nit, was sie von Dir begehren!“

„Und warum nit? Ist es etwan was Unrecht’s?“

„Verzeih’s mir’s Gott’, wenn ich’s nit begreif’ … aber ich kann mir nit helfen. Ja, ich halt’s für ein Unrecht, wenn Einer sich zum Richter aufwerfen will über die Andern – wir sind alle schwache Menschen! Sixt, laß Dich nit verführen von der Eitelkeit… Ich hab’ Dir’s ja heut’ schon gesagt, was ich von dem Haberfeld denk’…“

„Und Du kannst auch wissen, was ich davon denk’ … meine Gedanken sind so viel werth wie die Deinigen, warum sollt’ ich gerad’ Dir nachgeben?“

„Weil ich eine Ahnung hab’, daß’s zu kein’ guten End führt!“ rief Franzi mit immer dringenderem Tone. „Foder’ unsern Herrgott nit heraus … laß’ das Richten und Strafen ihm über. … Thu’s nit, Sixt … es ist Dein Unglück!“

„Und wenn’s so wär’, was kümmert’s Dich? Was ist Dir an mir gelegen, ich bin für Dich ein wildfremder Mensch!“

„Du sollst so ’was nit sagen, Sixt,“ sagte sie so recht innig, daß man dem Tone anhörte, wie tief er aus dem Herzen kam. „Du sollst es nit einmal denken – wenn Du auch nichts mehr wissen willst von mir, so werd’ ich doch nie vergessen, daß ich auf dem Aichhof eine Heimath g’funden hab’ und Vater und Mutter und …“ sie stockte etwas, „einen Bruder, der alleweil gut gewesen ist mir…“

„So beweis’ mir’s!“ rief der Aichbauer, ebenfalls etwas erwarmend. „Zeig’s, daß das Alles nit blos ein leeres Gered’ ist! Du bittest mich … ich hab’ Dich auch gebeten, ich will Dir nachgeben, will thun, was Du verlangst – aber Du mußt auch mein’ Bitt’ erfüllen…“

„Was für eine Bitt’?“ fragte sie unsicher.

„Hast es schon vergessen? daß Du wieder zurückkommen sollst auf den Aichhof und zu mir!“

Er hatte, ohne selbst zu wissen, wie es gekommen, ihre Hand ergriffen, sie erbebte vor der unerwarteten Berührung, wie vor dem Worte, das er gesprochen.

„Nun,“ sagte er gedehnt, „ist das so was Fürchterlich’s? Du erschrickst ja ordentlich!“

Sie nahm sich zusammen und zwang sich zu sprechen. „… Auf den Aichhof zurück? … Nein, das – das kann ich nit…“

„Kannst nit?“ rief der Bauer in Unmuth auflodernd. „So sag’ wenigstens warum. … „Du mußt mir’s sagen! Ich muß wissen, was in meinem Hof ist, was Du so scheust, als wär’ der Aichhof eine Räuberherberg oder sonst ein unrichtiges Haus…“

„Frag’ nit …“ stammelte das Mädchen und suchte sich von seiner Hand, die sie immer fester hielt, zu befreien, „und wenn Du mich fragen thätst bis zum jüngsten Tag … ich kann nit!“

„Und wenn ich Dich halten müßt’ bis auf den jüngsten Tag … jetzt muß, jetzt will ich’s wissen…“

Er schlang den Arm um die ängstlich sich Losringende. Im Augenblicke öffnete sich die Thür des Seitenzimmers, in welchem der Amtmann seine Abendmahlzeit eingenommen hatte; heller Lichtschein fiel in den dunklen Vorplatz und beleuchtete das Paar, das für die Heraustretenden wohl den Anschein haben mochte, als wäre es aus einer Umarmung aufgeschreckt worden. Es war der freiherrliche Amtmann, der sich, vom Wirthe ehrerbietigst begleitet, seine Gemahlin am Arm, eben in den Wagen begeben wollte.

„Sieh da,“ sagte er mit triumphirendem Hohne, „unser junger Zeichner und Volksredner von heut Nachmittag! Bedaure, wenn ich gestört habe… Der Aicher von Aich braucht sich seines Geschmacks nicht zu schämen… Was sagen Sie dazu, ma mie … wird nicht eine stattliche Bäurin werden aus dieser hübschen Kellnerin?“

„Das ist nit so, Herr Baron,“ rief Sixt, mit Zorn und Beschämung ringend, „die Franzi ist meine Ziehschwester und mit mir aufgewachsen … was wir Zwei miteinander zu verhandeln haben, ist ganz was Anderes und das ist auf alle Fälle gewiß – eine Kellnerin wird niemals Bäurin auf dem Aichhof!“

Der Amtmann schien die Erwiderung gar nicht zu beachten; mit vornehmem Nicken war er schon vorübergeschritten und aus dem Hause getreten.

Franzi stand seitwärts wie betäubt. Auch Sixt hatte Mühe, nur einigermaßen seine Fassung zu behaupten; das Blut stieg ihm wieder wie kochend zum Gehirn, bei dem Gedanken, wie er dem Manne, der ihn so sehr gekränkt, gegenüber gestanden. Er schien unschlüssig, was er zu thun und zu sagen habe, als einer der Vermummten vorsichtig zur Thür hereinsah.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_642.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)