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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

– er galt der niedlichen Marie, die erröthete und sich verbeugte. Und wieder wird es still. Alles ist in peinlicher Erwartung. „Wird der Vorhang fallen? – wird man weiter spielen?“ so fragt man sich; da, – welche Ueberraschung! ganz unerwartet hört man noch einmal den Ruf: „Heda – Wirthshaus!“ hinter der Scene, aber dieses Mal von einer kräftigen Baßstimme im unverfälschten Dialekte der Mark Brandenburg.

Die kleine Picarde horcht erstaunt, sie stutzt, aber schnell hat sie begriffen, was hier vorgeht. „Ah, ce sont des Prussiens,“ beginnt sie von Neuem das Spiel. Und herein kommt ein zweiter Kurmärker, ein großer, stattlicher Soldat, das Landwehrkreuz an der Schirmmütze, mit sonnenverbranntem, bärtigem Gesicht, das Urbild eines preußischen Landwehrmannes. Der donnernde Jubel und Applaus, der nun unaufhaltsam losbrach, machte das Haus und die Erde erbeben und spottete jeder Beschreibung. Er kam mitten aus den Herzen der Zuschauer, und selbst die anwesenden Einwohner von Malaczka begriffen, was hier vorging, und applaudirten mit.

Immer von Neuem ertönte das Beifallsgeklatsch, das stürmische Bravorufen. Der Vulcan wollte sich austoben, und währenddem stand der neue Kurmärker fest wie eine Statue auf der Bühne, ohne mit der Wimper zu zucken. Endlich legten sich die Wogen, die Gemüther hatten sich beruhigt, das Spiel begann.

Schulze überreicht sein Quartierbillet an der Bajonnetspitze, macht sich’s bequem und verlangt zu essen. Jetzt schneidet er sich die landesübliche „Stulle um’s ganze Brod herum“, dann erzählt er der Kleinen die Geschichte von dem Souffleur. – Welch’ ein Spiel! Wie treu, wie naturwüchsig, nicht zu viel und nicht zu wenig, so wie es alle Tage her gewesen war. Auch das niedliche Bauernmädchen, gestützt durch ihren Partner, fängt Feuer und leistet Vorzügliches; schier athemlos horchten wir Alle, das war in der That ein seltener Kunstgenuß. Und jetzt setzt die Musik ein und Schulze singt: „O Tannebaum, o Tannebaum, wie grün sind deine Blätter.“ – – Und wie singt er! So ganz schlicht, mit voller, kräftiger Mannesstimme, daß alle Seelen erzittern und in allen Herzen die Echos rege werden. „O Tannebaum, o Tannebaum,“ so braust es mit einem Male los aus tausend Kehlen, wie wenn Orgelton und Posaunenklang sich mischen, alle Herzen springen thürenweit auf! Man mußte das durchgemacht haben, was wir in jenen kurzen drei Wochen durchgemacht hatten, um diese tiefe Bewegung, dies allgemeine Ergriffensein zu verstehen; es war feierlich – ist es keine Sünde, es zu sagen? – wie in der Kirche. Und nun beginnt die Kleine ihre Lection, sie tanzt den Contretanz ganz allerliebst, – jetzt ist Schulze an der Reihe und nun, „Mädchen, halt’ die Röcke fest!“, kommt der Zweitritt, bis die Kleine, in Ermangelung der Rasenbank links, rechts erschöpft auf einen Stuhl sinkt; Aller Augen strahlen vor Freude.

Da plötzlich trommelt es, Schulze springt auf und hängt seinen Tornister und Säbel um; „stehen die Kerle auch wohl nur einen Augenblick!“ ruft er ingrimmig, und nun kommt die allerliebste Scene mit dem Kuß. Jetzt erhält er ihn (und ich glaube aus vollem Herzen). Der Vorhang fällt, das Stück ist aus.

Und wiederum bricht der Beifallssturm los. Drei Mal geht der Vorhang noch auf und nieder, ehe die Menge sich beruhigt; dann erst beginnt sich dieselbe zu verlaufen.

Als ich eine Viertelstunde später mit noch einigen Cameraden in dem nun ziemlich leer gewordenen Hofe stand und mit jenen über die Ereignisse des Abends plauderte, zupfte mich leise Jemand hinten am Rocke.

„Hören Se – bestes Herrchen – eenen eenzigen Ogenblick nur!“ Es war der kleine herausgeschmissene Director, noch ganz zerknirscht von seinem Fiasco. Mit Thränen in den Augen klagte er mir sein Leid. Am meisten wurmte es dabei seinen verletzten Künstlerstolz, daß er von einem „gemeinen Soldaten“ so in den Schatten gestellt worden war.

„Trösten Sie sich, Freundchen,“ beschwichtigte ich ihn, „der Mann, dem Sie weichen mußten, ist ein College von Ruf, der Schauspieler H. aus Berlin.“

„Wie? was? – Hören Se, das ist ja aber ganz unmöglich!“ schrie er auf, „wie käme denn der hierher?“

„Nun, wie wir Alle!“ erwiderte ich, „in Reih und Glied als gemeiner Soldat.“

„Na, das globe en Anderer, ich nicht,“ sprach kopfschüttelnd der Kleine und schaute mich ungläubig an.

„Nun, dann sagen Sie mir einmal, was glauben Sie denn, was ich eigentlich bin?“ frug ich belustigt.

„Na – ein Unterofficier – oder am Ende gar ein Sergeant, nehmen Se’s nicht übel.“

„Fehlgeschossen, ein Schulmeister bin ich!“

„Aber nu gar!“

„Auf mein Wort!“

„Hören Se mal, Herr Schullehrer,“ sprach da auf einmal der Director ganz nachdenklich und trat dicht an mich heran, „ich will Ihnen emal was sagen, dann ist es och keen Wunder, daß die Oesterreicher haben retiriren müssen. Aber, sagen Sie emal,“ fuhr er plötzlich fort, „am Ende könnte ich mer den Herrn H. für ’ne Weile hier engagiren! Was meinen Se wohl?“

„Heute nun nicht, Director,“ erwiderte ich lachend, „über’s Jahr vielleicht! – Aber noch Eins, Herr Bläule, Sie haben heute eine vortreffliche Einnahme gehabt, daß Sie mir die kleine Picarde nicht vergessen, das Mädchen hat sehr brav gespielt. Gute Nacht!“

Und wie ich nachträglich erfahren, ist der brave Mann, aber schlechte Schauspieler meiner Befürwortung in der anständigsten Weise nachgekommen. Er hat die nicht unbeträchtliche Einnahme mit der ‚Picarde‘ redlich getheilt, „weil sie mit seinem ‚breißischen‘ Collegen ein so ganz vortreffliches Zusammenspiel möglich gemacht.“

H. H.




Bei Eröffnung der Brenner-Bahn.


Kennst du das Land, die Bahn darin ist frei,
Wo wilde Schrofen in den Aether ragen?
Wo siegsbewußt Bischof und Klerisei
Der Glaubenseinheit stolzes Banner tragen?

5
Kennst du das Land?

  Ich kenn’ es wohl,
Dein schönes ist’s, dein herrliches Tirol!

Kennst du das Land, hinauf in’s Sonnenlicht
Schwingt sich der Aar, doch auf die grünen Matten –

10
Wer kennt Loyola’s blasse Jünger nicht? –

Fällt von den Hütten so viel dunkler Schatten!
Kennst du das Land?
  Ich kenn’ es wohl,
Dein schönes ist’s, dein herrliches Tirol!

15
Kennst du das Land, da knallt manch lust’ger Schuß?

Ach, wenn sie nur in’s rechte Schwarze zielten!
Der Freiheit eine Gasse! Denn sie muß
All’ derer sein, die ihren Odem fühlten.
Das war schon Anno Neun!

20
  Ich weiß es wohl,

Im schönen Land, im herrlichen Tirol!

Kennst du das Land, es zeugt der Traube Blut,
Und seiner Felsenburg granit’ne Mauern
Sind Deutschlands Wall, des Vaterlands Hut,

25
Siehst du den Wälschen auf dem Paß uns lauern?

Kennst du dies Land?
  Ich kenn’ es wohl,
Es ist das schöne, herrliche Tirol!

Ist deutsches Land, das an den Süden grenzt,

30
Wo hoch der Lorbeer steht und still die Myrthe,

Das Land Tirol so reich und sonnbeglänzt,
„Und doch so arm,“ klagt gramgebeugt der Hirte
Und schaut bewegt in’s Land!
  Du kennst es wohl,

35
Dein schönes ist’s, dein herrliches Tirol!
W. M.




Inhalt: Für den Lesetisch der Familie. – Der Habermeister. Ein Volksbild aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Freiligrath. Portrait. – Ein Admiral der künftigen deutschen Flotte. – Legrenne, der Pariser Zigeuner. Von Ludwig Kalisch. – Im Schatten der Albanerberge. Mit Illustration. – Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege. Nr. 10. Der Kurmärker und die Picarde. – Bei Eröffnung der Brenner-Bahn. An Ludwig Steub.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_720.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2018)