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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Rücksichten mich veranlaßt hätten, den kürzesten Weg nach meinem Bestimmungsorte, durch seine Domainen, dem kostspieligen Umwege durch die vom Feinde besetzten Provinzen vorzuziehen. (Ich mußte nothgedrungen seine politischen Ansichten für dieses Mal adoptiren.)

„Es ist gut,“ sagte er, „aber in Zeiten, wie die gegenwärtigen, kann man nicht vorsichtig genug sein; führen Sie Briefe bei sich?“

Ich ärgerte mich beinahe, daß der alte Mann mich für so einfältig hielt, um eine solche Frage an mich zu richten, aber ich hütete mich wohl ihm dies in’s Gesicht zu sagen. Ich führte in der That ein paar Zeilen bei mir, allein abgesehen davon, daß sie mit chemischer Tinte und in Chiffern geschrieben waren, so war ich ihrer doch auf jeden Fall soweit sicher genug, um selbst der Nase des alten Panthers des Südens Trotz bieten zu können. Ihr Inhalt, dessen war ich gewiß, würde gerade ihn nicht wenig interessirt haben; aber aus Gründen, die auf der Hand liegen, durfte ich seiner Neugier für dieses Mal keinen Vorschub leisten.

„Wenn ich dergleichen bei mir führte,“ war meine Antwort, „so würden selbige bereits um diese Zeit längst in den Händen Ew. Excellenz sein, da sowohl ich als mein Diener an der Papagayo-Station auf das Genaueste durchsucht wurden.“

Er erwiderte nichts, aus jenen geisterhaften Augen, die nur einen Augenblick zuvor noch so starr und unbeweglich schienen wie die einer Leiche, schoß indeß – gleich einem vergifteten Pfeile – ein Blick voll übler Vorbedeutung nach dem Sprecher.

Ich war entschlossen, jenen Blick auszuhalten, und that es. Aber ich vermochte nicht gänzlich mich eines seltsamen und unheimlichen Gefühles zu erwehren, das mir das Blut nach dem Herzen trieb und meine Hände so kalt werden ließ wie Eis. Es ist jedenfalls ein gefährlicher Zeitvertreib mit einer Brillenschlange zu spielen.

„Sie sprechen das Spanische auffällig correct,“ fuhr er langsam fort, „für einen Angehörigen der Nation, der Sie zuzugehören vorgeben. Wo lernten Sie das?“

Es gab auf der weiten Welt keinen erdenklichen Grund, weshalb ich Sr. Excellenz die gewünschte Auskunft hierüber hätte vorenthalten sollen, und deshalb ertheilte ich ihm dieselbe bereitwilligst.

„Wie lange waren Sie in der Hauptstadt? – nur kurze Zeit, eh?“

„Haben Sie diesen … diesen … Maximiliano … selbst gesehen?“ Es schien, als ob ihm der Name fast in der Kehle stecken bliebe.

Es war mir unmöglich, zu entscheiden, ob meine Antworten auf jene Fragen mich in seiner guten Meinung erhöhten oder nicht. Sein von unzähligen Runzeln gefurchtes, über und über beflecktes, leichenartiges Gesicht blieb völlig unbeweglich wie das einer Mumie, und er beehrte mich auch nicht zum zweiten Male mit einem jener vergifteten Blicke aus seinen starren, stechenden Augen.

„Sie werden so lange hier bleiben,“ sagte er endlich nach einer geraumen Pause, „bis ich entschieden habe, auf welchem Wege Sie Ihre Reise am sichersten fortsetzen mögen; mittlerweile wird man dafür Sorge tragen, daß es Ihnen hierorts an nichts gebreche.“ Eine jener raschen, beredsamen Bewegungen der Hand, wie sie Mexicaner so gut zu machen verstehen, war das Zeichen, daß meine Audienz zu Ende sei.

„Feigling und Meuchelmörder, verflucht seist Du auf ewig!“ waren die Worte – dieselben, mit denen ihm einst der erwähnte spanische Oberst sterbend geflucht – die in meinen Ohren klangen, als ich mich tief vor Seiner Excellenz dem ‚constitutionellen‘ Gouverneur eines ‚freien‘ und ‚unabhängigen‘ Staates verbeugte und schweigend das Zimmer verließ.

Ein ängstlich forschender Blick von unheimlicher Wildheit und unergründlicher Tiefe aus einem Paar wunderschöner, tiefschwarzer Augen von einem geheimnißvollen und völlig unverständlichen Ausdruck begegnete mir, als die Thür hinter mir geschlossen ward. Ich stand einen Augenblick wie versteinert. Ein weibliches Wesen von außerordentlicher Schönheit war dicht vor mir. Die marmorartige Blässe ihres feingeformten Antlitzes gab ihr fast das Ansehen einer Antike. Selbst einige leichte Spuren jener furchtbaren Krankheit vermochten die imponirende Schönheit ihrer classischen Formen nur wenig zu beeinträchtigen. Der Zeigefinger ihrer eleganten weißen Hand lag auf ihrer bleichen Lippe. Sie sprach mit einer Hast und Aufregung, welche ihre Worte fast unverständlich machten, und der Ausdruck namenloser Angst, der in ihrem ganzen Wesen lag, war peinlich mit anzusehen.

„Seien Sie vorsichtig und wachsam!“ sagte sie. „Man trachtet meinem Vater nach dem Leben, mir und Allen unseres Geschlechtes; man wird Sie ebenfalls ermorden. Seien Sie wachsam und schlafen Sie nie! Ich selbst wache immer, Tag und Nacht! – Essen Sie von nichts, von dem Andere nicht vorher schon aßen. Ich werde Sie warnen, wann es an der Zeit ist! St! fort jetzt! Jemand schleicht hier! Gedenken Sie meiner Worte.“

Ihr feines Ohr hatte das Geräusch nahender Fußtritte eher als das meine vernommen, und bevor ich mich dessen versah, war sie wie ein Gespenst verschwunden. Als ich mich umwandte, begegnete mir der mißtrauische Blick desselben Adjutanten, der mich den Abend vorher in La Providencia empfangen hatte. Ich konnte in seinen Augen lesen, daß er das davoneilende Mädchen bemerkt hatte, und fragte ihn mit all’ der Gleichgültigkeit, die mir im Augenblicke zu Gebote stand, wer die Dame sei, welche in solcher Eile zu sein schiene.

„Die Tochter des Gouverneurs,“ war seine Antwort; „sie ist wahnsinnig, wie Sie ohne Zweifel bemerkt haben werden.“

Hatte der grauenvolle Fluch jenes gemordeten Mannes schon seine Wirksamkeit begonnen? –

(Schluß folgt.)




Europas natürliche Heizung.
Von Prof. H. E. Richter in Dresden.


Europa ist in Bezug auf Wärmeversorgung der bevorzugteste Theil der Erde. Es genießt zu allen Jahreszeiten, zu allen Monaten sogar, eine größere Portion von Wärme, als ihm nach seinen geographischen Breitegraden zukommen und gebühren würde. Diese Thatsache wird dem Gelehrten durch die von Humboldt eingeführten Isothermen (Linien gleicher Wärme), insbesondere durch Dove’s sogenannte Isanomalen in den physikalisch-geographischen Atlanten von Bergmann, Dove, Schmid u. A. sichtlich vor Augen gelegt. Für den Laien genügt es schon, die Witterungs- und Vegetationserscheinungen europäischer Orte oder Landbezirke mit denen anderer, auf gleicher geographischer Breite liegender Orte und Länder zu vergleichen. So z. B. baut man in Norwegen bis zum Nordcap noch Feldfrüchte und das Meer friert dort niemals zu; im mittleren und südlichen Norwegen gedeiht sogar noch Obst, Getreide, lebhafte Blumenzucht; während gegenüber in Grönland und Baffinsland auf gleicher geographischer Breite das ganze Jahr hindurch Alles im Eise begraben liegt. So entspricht das grüne England dem eisbedeckten Labrador in seinen Breitegraden; Südfrankreich entspricht Canada; Lissabon und Palermo liegen etwa in gleicher Breite mit der Bundesstadt Washington etc. Welch ungeheure Unterschiede in der Jahreswärme und der Pflanzenproduction!

Die Ursachen dieses günstigeren Klimas, die Quellen der größeren Wärme von Europa sind drei: der Gegenpassat, die nordafrikanische Wüste und der Golfstrom. Wir betrachten sie alle drei einzeln.

1. Der Gegenpassat entsteht durch einen warmen Luftstrom, welcher von den erhitzten Flächen der unterm Aequator liegenden Erdtheile, den sogenannten Tropenländern, auf welche täglich zwölf Stunden lang die Sonnenstrahlen senkrecht fallen, unaufhörlich emporsteigt. Eigentlich müßte dieser Luftstrom sofort direct nordwärts eilen, um dort die kalte Luft zu ersetzen, welche von den Polargegenden her fortwährend nach Süden strömt, um jene aufgestiegene Luft zu ersetzen: – etwa wie in unseren Oefen fortwährend kalte Luft durch’s Ofenloch einströmt, um die durch’s Ofenrohr in die Esse entweichende warme zu ersetzen. Weil aber die Erde am Aequator sich mit der rapiden Schnelligkeit von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_730.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)