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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wie Seide, eine Prachtsorte, echter Winter-Stettiner und war dies Jahr wie übersäet gewesen mit der ersten Frucht … den Baum hatt’ es auch bös’ mitgenommen! Er stand gerade in der Ecke, über welche das Unwetter am ärgsten hingestrichen war… Die halbreifen Früchte lagen zu Hunderten im Grase herum unter den abgeschlagenen Blättern und Aesten, es war fast kein Laub mehr an den Zweigen, die Rinde war zerfetzt und losgeschält und die meisten von den jungen Fruchttrieben waren geknickt… So leid es mir that um den Baum, ich mußt’ ihn beinahe verloren geben! Aber er ist eben tüchtig in der Wurzel, und hat’s glücklich überstanden, ich hab’ es so eben gesehen: der Baum hat sich wieder erholt, die Rinde ist bis auf ein paar Risse und Narben wieder so glatt wie zuvor, überall hat sich neues Fruchtholz angesetzt, und im nächsten Frühjahr wird der Baum dastehen in einer Blüthenpracht, schöner als er noch jemals gestanden ist…“

Sixt war nicht dazu aufgelegt, an den Baumfreuden des Lehrers Theil zu nehmen, und beachtete noch weniger die geheime Beziehung, die ziemlich unverhohlen hineingelegt wurde; stumm war er neben dem Redenden hergeschritten und hatte auf den Ruf eines Knechts sich dem Stalle genähert, wo endlich die Pferde abgefüttert, erwärmt und zur Abfahrt bereit standen. Mit unverkennbarer Hast half er dem Knechte, dem das Anschirren nicht flink genug von der Hand ging, ebenso eilfertig ergriff er Peitsche und Zügel, und eh’ der Lehrer sich kaum recht in die grüne zottige Schlittendecke gewickelt, sauste das Gespann schon pfeilschnell mit klingelnden Schellen über die festgefrorene Schneebahn dahin. Geraume Zeit fuhren die Reisenden schweigend dem eintönig schwarzen Tannenforst zu beiden Seiten entlang; kein Gespräch kam in Schwung, wenn auch der Lehrer mehrmals versuchte, ein solches einzuleiten, und bald auf die Schneespuren aufmerksam machte, wo ein Hirsch über die Straße gewechselt hatte, bald auf eine Stelle, wo auf dem weißen Grunde die abgebissenen röthlichen Schalen, dicht aufgestreut herumliegend, erkennen ließen, wie sehr sich ein genäschiges Eichkätzchen an den harzigen Tannzapfen erlustirt hatte; der Aicher blieb schweigsam und in sich gekehrt.

Er hatte wohl auch Grund dazu. Viel war in den letzten Tagen auf ihn eingedrungen, es waren starke, einander stark widerstrebende Strömungen, die es in seinem Gemüthe zu bändigen und zu gleichmäßigem Flusse einzudämmen galt. Hatte auch die Stellung in Dorf und Gemeinde durch seine Erwählung zum Gemeindevorsteher sich wieder befestigt, daß seiner Ehre und seinem Ansehen als Mann weder Schädigung noch Gefahr drohen konnte, so war doch der Mensch von den Schauern und Ereignissen der vergangenen Nacht tief ergriffen und erschüttert worden – vergebens suchte er die Zweifel und Bedenklichkeiten über die Berechtigung seines geheimen Amtes zu beschwichtigen, welche durch diese Vorfälle in ihm hervorgerufen worden waren: er fand keine andere Beruhigung, als daß mit dem eingetretenen Winter die Zeit desselben abgelaufen sei und bis zum nächsten Herbste und zum Wiederbeginn des Volksgerichts noch genügend Raum und Gelegenheit geboten sei zu Ueberlegung und Entschluß.

Dazu war gekommen, daß auch auf dem Oedhof die Verhältnisse sich auf’s Neue bedenklich verwickelt hatten.

Die greise Bäurin und Base hatte in ihrer Unerbittlichkeit und althergebrachten Sittenstrenge, sobald sie zur Besinnung gekommen, Susi aus dem Hause gewiesen und den Himmel zum Zeugen aufgerufen, er solle ihr eher das Dach über’m Haupte in Feuer aufgehen lassen, als daß sie freiwillig noch eine Nacht mit ihr unter demselben zubringe. Um noch größeres Aufsehen zu vermeiden, hatte Sixt bereits überlegt, ob er die Unglückliche zu sich auf das väterliche Gut bringen oder eine andere Unterkunft für sie ausmitteln solle; da löste die Frage sich von selbst, denn die Aufregung der Schwester, welche so hoch gestiegen war, daß sie entweder sofort aufhören, oder in Wahnsinn übergehen mußte, brach zunächst die kaum erst wiedergesammelte Körperkraft des schwächlichen Mädchens und warf Susi so schwer auf’s Krankenlager, daß sie aus dem Hause zu bringen gleichbedeutend gewesen wäre mit einem Versuche, sie geradehin zu tödten. Ein schlechtes Gemach in einem Nebengebäude des Hofes, das hie und da den Ehehalten oder Aushülfs-Tagwerkern zur Herberge dienen mußte, war Alles, was der eiserne Unwille der Greisin der Unglücklichen zugestehen konnte, ohne mit sich und ihrem Schwur in Widerspruch zu gerathen; dort lag Susi, von einer Magd nebenher gewartet und bedient, in der Gluth eines hitzigen Fiebers, das schon am ersten Tage in höchster Stärke ausbrach und sie dem Tode so nahe brachte, daß es sich nur um die Zahl der Stunden zu handeln schien, innerhalb deren sie demselben verfallen sollte. Viele Tage war sie so gelegen und erst in den letztern hatte der Geiste der Jugend über die anstürmende Wuth der Krankheit gesiegt, es war, als ob es das Verlangen nach dem ihr entrissenen Kinde gewesen, was sie in dem Ringen aufrecht erhalten, als ob die kämpfenden Mächte eine Art Stillstand geschlossen, um nach dem Wiederfinden und Wiedersehen den Kampf mit neuer Heftigkeit und gesteigerter Erbitterung wieder zu beginnen. Sterbensmatt, unfähig, ein Glied zu regen, lag Susi, als ihr die Nebel und Fieberbilder vor der Seele verflogen waren; es war fast nur das Herz, was in ihr sich regte, aber das erste Gefühl seines Schlages war das der Sehnsucht nach dem Kinde; seiner Erinnerung gehörte der erste Gedanke, ein Ruf nach ihm war der erste lallende Laut, die erste Frage an das wiedergekehrte Leben die nach seinem Aufenthalt. Die Magd zögerte nicht, den Bruder von diesem stündlich dringender wiederholten Verlangen in Kenntniß zu setzen; auch der Doctor schrieb ihm und rieth, der Kranken den Willen zu thun. Ihre ganze Lebensthätigkeit, geistig wie körperlich, erklärte er, sei so ganz und ausschließend in dem einen Gedanken zusammengedrängt, daß die Möglichkeit der Genesung nur von diesem Punkte aus gehofft werden könne; wisse die Leidende nur erst den Aufenthalt des Kindes, so sei ihrer Sehnsucht ein bestimmtes Ziel gegeben, damit und mit den Plänen des Wiedersehens werde Gleichmaß und Ruhe in das Gemüth wiederkehren und die Heilung des Körpers anbahnen, ihr den sehnlichen Wunsch verweigern werde neue Stürme der Leidenschaft wie der Krankheit herbeiführen, denen das ohnehin in seinen Grundfasern geschädigte Leben die nöthige Widerstandsfähigkeit nicht mehr entgegen zu setzen habe.

All’ diesem gegenüber bestand für Sixt kein Grund längeren Schweigens; er gewann es über sich, der Kranken einen kurzen Besuch zu machen, und eröffnete ihr, daß das Kleine sich wohl befinde, daß für all’ seine Bedürfnisse mehr als ausreichend gesorgt sei und daß ihr gemeinschaftlicher Jugendfreund und Lehrer es gewesen, durch dessen vertraute Hand das Mädchen der Pflege und Sorge der barmherzigen Schwestern im städtischen Waisenhause übergeben worden sei.

Susi erwiderte nichts, allein von diesem Augenblick trat in ihrem Befinden und Benehmen eine entschiedene Wendung zum Bessern ein; sie ward ruhiger, sie fragte nicht mehr, aber sie bestürmte den Arzt, wann es ihr wohl möglich sein würde, das Bett zu verlassen und wie sie ihre Herstellung beschleunigen könne … überraschend schnell war sie so weit gekräftigt, daß sie manchmal ein Viertelstündchen aufzustehen vermochte; ehe Jemand solches für möglich gehalten, war eines Morgens das Stübchen leer und sie selbst mit einem Päckchen der nothdürftigsten Habseligkeiten verschwunden.

(Fortsetzung folgt.)




Die Taufe im Flusse.


Es ist noch nicht lange her, als ich Abends von einem Ausfluge heimkehrte und in der Nähe von Stuttgart an dem Weiler Berg vorbei kam, der am Neckarstrande liegt. Bereits war es Abend und dunkel geworden und düstere Wolken hingen am Himmel. Auf einmal vernahm ich an diesem Orte, wo man sonst Abends die Volkslieder der Bauernbursche erschallen hört, einen sanft wimmernden Gesang, unter den offenbar Stimmen von Frauenzimmern gemischt waren. Der Gesang glich einem Klageliede, wie es eher an einem Grabe als an einer Heerstraße, eher in einem Conventikel als am Neckar unter freiem Himmel ertönt. Ich näherte mich, und nun kam mir eine Truppe von Menschen entgegen, in schwarzem Kleide, mit gefalteten Händen, voraus zwei sichtlich noch junge Frauenzimmer, von einem ungewöhnlich hochgewachsenen älteren Herrn geführt. Die Leute waren, wie mir schien,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_756.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)