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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Hand wieder zurück und fragte ernster und weicher: „Was hast Du? Warum antwortest Du mir nicht?“ – Ich wandte mich herum, nahm sie bei der Hand und sagte: „Wem soll ich antworten, Anna? Ich weiß nicht, wer Du bist: die Anna von vorhin, die singen und herzlich sein und ihre wahre Seele zeigen kann, oder die Andere, die nur mit uns spielt?“ – Sie erröthete heftig. „Wie verstehst Du das?“ fragte sie und wollte mir ihre Hand entziehen, aber ich hielt sie fest und fuhr fort: „Wenn ich wüßte, Anna, warum Du stets so verschlossen, so seltsam versteckt, so ein täuschendes Irrlicht bist!“

Bei diesem Wort riß sie sich hastig los. Sie trat zurück, und stumm und blaß, halb von mir abgewandt, den Mund bitter geschlossen, starrte sie in die Nacht hinaus. Endlich sagte sie, ihre Gedanken mit schwerer Zunge einzeln hervorstoßend: „Wen geht es an, wie ich bin? Kann ich mich anders machen? – Wer zwingt Dich auch, daß meine Art Dir gefallen soll? Mögen Dir Deine Italienerinnen, Deine Großstädterinnen lieber sein, ich wehre Dir’s ja nicht; willst Du mir wehren, so zu sein, wie ich bin?“

Ihre Stimme zitterte, sie athmete schwer; ich war bestürzt, Julie, und dachte nur, wie ich sie wieder beruhigen könnte. „Anna,“ sagte ich, „willst Du mich mißverstehen? An Italienerinnen, an Großstädterinnen hab’ ich nicht gedacht. Aber bist Du selbst nicht etwas Besseres, als Du sein willst? Warum zerdrückst Du Dich, Anna? Warum machst Du Dich so klein wie die Andern? Warum versteckst Du Deinen innern Werth? Liebe Anna, warum willst Du Deine Seele nicht mehr fliegen lassen, wie sie einst geflogen ist und noch fliegen könnte?“

Ich weiß nicht Alles mehr, was ich ihr sagte, aber sie sah still vor sich hin und hörte mich schweigend an. Und, Julie, da kam mir auf einmal Dein Name und Dein Bild in die Sinne; mein ganzes Herz trat mir auf die Lippen, und ich sagte mit meiner sanftesten Stimme: „Verzeih’ mir, Anna, – daß ich an meine Schwester denken muß, die auch in einer kleinen, stillen Welt aufgegangen ist, die auch nicht in die Weite und Breite wandern konnte – aber sich die freie Seele bewahrt hat – und eine offene, unverstellte Seele und ein empfängliches Herz.“ – Und nun schüttete ich meine übereinander gedrängten Gedanken aus und Alles, was ich von Dir zu sagen wußte; – ich will es meiner geliebten Leserin nicht wiederholen. Das Mädchen hörte noch immer halb abgewandt zu. Auf einmal sah ich eine Thräne über ihre Wangen rollen; sie fühlte es, sah sich im hellen Mondschein stehen und wandte sich vollends ab und ging in’s andere Zimmer. „Morgen!“ war Alles, was sie mit halber Stimme noch zu mir zurück sprach. Ihre Thränen schienen unaufhaltsam hervorzubrechen. Ich erwiderte nichts, sie that mir in der Seele leid; ich wünschte ihr herzlich „Gute Nacht“ und ging hinaus.

(Fortsetzung, am andern Tage.) Dies Alles im Vertrauen, liebe Schwester, und nun nichts mehr von diesen drückenden Dingen – nun wieder von Italien, von der Welt, vom Leben! – Ich wollte nur noch hinzusetzen (weil Du doch einmal Alles wissen willst): ich habe sie wiedergesehen, ich ging noch gestern zu ihr. Denn ihr „Morgen“ hatte mir, während ich an Dich schrieb, immer im Ohr gesummt. Als ich eben an die Thür klopfen wollte, trat mein „kleiner Heinrich“ heraus, im Frack, feuerroth, das ganze Gesicht eine Kupferplatte; der Aermste! Er schob sich hastig an mir vorbei, mit einem Blick, der drei Mal „Schlange!“ auszurufen schien, wie wenn ich ihn aus dem Paradies vertrieben hätte. Mir stieg das Mitleid auf, da ich ihm sein Schicksal aus dem Giftblick ablas, aber als er dann die Treppe hinunterhüpfte, sein zitternder Frackzipfel verschwand und der verunglückte Ehemann in der Hast ausglitt, ein paar Stufen weiterstürzte und sich erst unten mit einem drolligen Fluch seiner fetten Stimme wieder zusammenfand, mußte ich doch das Lachen mühsam verbeißen. Endlich war sein letzter Schritt verhallt, und ich trat ein. Anna saß am Fenster neben ihren verblühenden Hyacinthen, in dem ernsthaften braunen Kleid vom ersten Tag, das blasse Gesicht nachdenklich aufgestützt. Als sie mich erblickte, erröthete sie wie über ihre eigenen Gedanken.

Ich hatte diesmal Scheu vor ihrer ernsten Miene; mit einem leichten Scherzwort fragte ich nach dem Schicksal des armen Werbers. „Was soll ich mit dem Menschen?“ antwortete sie kurz, ohne Lächeln, und stand auf. Mich überraschte ihre hohe, schlanke Gestalt; sie war mir noch nie so groß erschienen. Es lag in den Augen, glaub’ ich: sie waren so groß, so ernst, mit Gedanken angefüllt; ihre Seele schien noch immer mit sich allein zu sein. Plötzlich besann sie sich, ging an den Tisch, auf dem das Schachbrett stand (das Lieblingsspiel ihrer Tante), und indem sie sich niedersetzte, sagte sie: „Friedrich, Du bist mir noch Revanche schuldig!“ – Ich glaubte in diesen Worten einen geheimen Sinn zu hören. Ich saß, wir spielten, aber Beide zerstreut. Endlich trat die Tante herein; die Freundinnen kamen dazu. Anna empfing sie einsilbig, mir war der Anblick dieser Geschöpfe widerwärtig, ihre zweideutigen Blicke desgleichen, und ehe noch das Räderwerk des Geplauders wieder im Schwunge war, macht’ ich mich auf und davon.

Dies wird nun wohl mein letzter Brief aus diesem „verwunschenen“ Ort gewesen sein; wohl ihm – und mir! Den nächsten, Liebste, schreib’ ich Dir wieder als Wandervogel, mit einer Feder aus der frischgelüfteten Schwinge, auf dem Fluge in’s „gelobte Land“. Lebe wohl, lebe wohl!

(Fortsetzung folgt.)




Erinnerung an Julius Mosen.


Der Dichter, den sie jüngst begraben, war eine Erscheinung, die nicht erst der Verklärung des Todes bedurfte. Sie leuchtete schon im Leben wie ein schöner, heller Stern und wird leuchten im Gedächtniß derer, die ein Herz für deutsches Lied haben, die ihn kannten, die ihm näher standen. Wer den Mann vor dreißig Jahren sah, als seine begeisterten Polenlieder, vor Allem seine „Letzten Zehn vom vierten Regiment“, die Gemüther entflammten, als sein „Andreas Hofer“ entstand, den er, wie er einst selbst sagte, mit den besten Tropfen seines Herzblutes geschrieben – wer ihn damals sah – wie er fest und energisch einherschritt, das Haupt umwallt von tiefschwarzen Locken, von südlich gebräunter Gesichtsfarbe und einem Auge, so tief und gluthvoll blickend und von den dichtesten, hochgeschwungenen Brauen überschattet, daß man glaubte, einen Sohn der heißen Zone vor sich zu sehen – wie hätte der es für möglich gehalten, daß diese so glänzende, von der Natur verschwenderisch ausgestattete Erscheinung schon nach wenigen Jahren den Keim jener geheimnißvollen Krankheit in sich tragen würde, welche ihn auf ein Leidenslager streckte, wie dauernder und schmerzensreicher es das Geschick für einen armen Sterblichen nicht ersinnen kann!

Doch wir wollen heute nicht des unglücklichen, nur des glücklichen Dichters gedenken, wie er stand in der Vollkraft seines Schaffens, „tief in seinem Volke wurzelnd“, so recht ein Mann, dessen Gegenwart gleich anregend wie wohlthuend wirkte, den man hätte beneiden können, hätte man ihn nicht lieben müssen, denn kein Flecken trübte den reinen Spiegel dieser Seele; was er schien, war er, ein edler, ganzer Mann, still und erhaben in seinem innersten Gemüth – aufbrausend wie eine Wetterwolke, wenn es galt, ein Vertreter für heilige Menschen- und Volksrechte.

Es mag wohl im Sommer des Jahres 1839 gewesen sein, als Mosen ein kleines Landhaus im Dorfe Strehlen, eine Viertelstunde von Dresden entfernt, bewohnte. Unsere Wohnung lag daneben. Es hatte mich schon lange gedrängt, den Nachbar kennen zu lernen, aber wie es anfangen, ohne aufdringlich, ohne unbescheiden zu scheinen, war wohl ein berechtigtes Bedenken für einen unbedeutenden, jungen Menschen einem Manne gegenüber, der einen gefeierten Namen trug. Da, eines Sonntags früh – das rothe Fez, welches der Dichter gewöhnlich im Hause trug und von dem er wohl wissen mochte, daß es seinem tiefschwarzen Haar besonders gut kleidete, schimmerte eben recht verführerisch durch die herabhängenden Zweige der Obstbäume – konnte ich nicht länger widerstehen. Eben Ball schlagend, ward ich von dem Gedanken durchzuckt: wie wenn ich unversehens den Ball in den Nachbargarten schleuderte, hinüber spränge und mich entschuldigend die gewünschte Vorstellung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_790.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)