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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Zwölfter Brief.

Mein Brief von gestern liegt noch auf meinem Tisch, und ich sitze noch hier in Rom. O Du Verrätherin! O Du liebe, hinterlistige – – Doch nein, das will ich nicht sagen. Fasse Dich, alter Friedrich, überstürze nichts; laß sich Alles, was Dir geschehen, vor den Augen Deiner neugierigen Leserin langsam entwickeln! Ja, was wollt ich noch? Ich wollte Dir vor meiner Abreise noch etwas erzählen, eine kleine, wunderliche Geschichte; lies sie recht aufmerksam, liebe Seele, und erwarte das Ende.

Ich wollte heute Morgen fort; das hatte ich Dir geschrieben. Aber ohne einen letzten Abschied von meinen Lieblingsstätten wollt’ ich nicht gehen. Ich hatte zwei meiner Freunde beim „Carlin“ gefunden und zog mit ihnen hinaus auf die Via Cassia, auf die Höhe der alten Straße, von wo der Reisende den ersten und letzten Blick auf die ewige Stadt hat. Wir aber hatten uns bald unter ein paar mächtigen Korkeichen gelagert, denn die Sonne brannte gewaltig und alles Blut stand mir in den Augen. Wir fingen an, wie Zigeuner vor uns hinzuträumen. Unten auf der Straße zog das festtäglich bunte Landvolk vorbei, Büffel schlenderten vor ihren schwerbeladenen Karren her, und der einförmige, uralte, einschläfernde Gesang des Treibers klang wie ein Ammenlied an unser schon halb eingewiegtes Ohr. Unter meiner Hirnschale entstand ein wohlthuend dumpfer Traumzustand, der mich unfähig machte, Kummer zu haben; mir war ungefähr so wohl wie den Ziegen und Schafen, die an den steinigen Abhängen umherkletterten.

Als es Abend werden wollte, schlichen wir langsam nach der Stadt zurück. Ich löste mich unter einem Vorwand von meinen Gefährten ab und wandelte dem Pantheon zu, um dort noch einmal an Rafael’s Grab mich meinen römischen Erinnerungen hinzugeben. Der Abendhimmel leuchtete durch die große Kuppelöffnung melancholisch feierlich herunter; der hohe edle Raum wirkte wieder, wie er es immer gethan, befreiend und lindernd auf meine arme Seele. Und in diesem alten heidnischen Gewölbe die große Lorenzettische Madonna, mit ihrer barbarischen hohen Silberkrone, Silberherzen an rothen Bändern über ihren marmornen Arm gehängt, und um sie her an der Wand Hunderte von geopferten Herzen und Händen – mir wurde seltsam um mein eigenes Herz. Wäre ich ein Gläubiger gewesen, so hätt’ ich mich hier auf die Kniee geworfen, Julie, und die gute Madonna um ihre Vermittelung bei der guten Anna gebeten! – Aber indem ich das denke, spricht auf einmal etwas mit halblauter, ein wenig zitternder Stimme hinter mir: „Friedrich, willst Du mich noch?“

Julie, die Frage kam mir in diesem Augenblick so unerwartet, daß ich in der Ueberraschung fast vergessen hätte, mich nach der freundlichen Stimme herumzudrehen. Ich dachte in die harten Marmorplatten zu versinken. Doch Du Verrätherin weißt es schon, wer hinter mir stand! – Sie trug ein reizendes Reisekleid, in dem ich sie nie gesehen, und lächelte mich an, aber als ich sie nun fassungslos mit meinen Blicken verzehrte, traten ihr die Thränen in die Augen. „Ich habe Dich endlich gefunden,“ sagte sie und gab mir ihre weiche, warme Hand. „Seit drei Tagen hab’ ich dich gesucht, und auf der ganzen Reise hoffte ich nur auf Rom und Dich; und nun sage mir, Friedrich, ob Du mich noch lieb hast, ob Du mich noch willst?“ Sie glühte dabei vor Erröthen auf, aber nur einen Augenblick; dann sagte sie mit dem süßesten Lächeln: „Ich muß eilen, Dich aufzuklären, sonst erwachst Du mir nicht aus Deiner Verzauberung! Hier an meinem Herzen hab’ ich die Zwischenträger, die mich über Dich erleuchtet haben,“ und sie zog aus ihrem Busen ein Häuflein Papiere hervor, die ich sinnlos anstarrte, ohne sie zu erkennen. „Ich war sehr dreist,“ setzte sie leiser hinzu, „es sind Deine Briefe an Deine Schwester, sie hatte Mitleid mit uns, sie hat sie mir geschickt; ich habe sie alle gelesen. Und nun kenn’ ich Dich ganz. Willst Du mir verzeihen, Friedrich, was ich unglückliches Mädchen Dir zu Leide gethan?“

Ich hatte nur immerfort ihre Hand gedrückt. Nun endlich sagte ich wohl auch etwas, aber ich glaube, Julie, etwas Besonderes wird es nicht gewesen sein! Wir lagen uns in den Armen und waren stumm. Mein Glück schmerzte mich in Kopf und Brust; ich bekenne Dir, ich konnte es kaum ertragen. Als ich endlich wieder aufsah, stand der Kirchenschließer in der Thür, ein langer, hagerer Mann, und klapperte ungeduldig mit seinen Schlüsseln. Aber nicht weit von ihm, in einer der Altarnischen, bog Frau Amanda sich vor, die ich nun erst entdeckte, und blickte in herzlicher Rührung zu uns herüber.

Ach, was sag’ ich Dir weiter? – Ich führte Anna hinaus; draußen, unter den alten gebräunten Säulen der Vorhalle, umschlang ich sie wieder und meine Schmerzen fingen an zu entweichen. Der Brunnen rauschte auf dem stillen Platz; ich sah mich auf einmal in Gedanken an dem plätschernden Brünnlein auf dem Hof in unserm Vaterhaus, wo ich als Knabe Anna zum ersten Mal begrüßt, ihr linkisch und blöd die Hand hingereicht hatte. Nun drückte ich sie an mein Herz und fühlte, wie alle die zerstreuten Bächlein meines unruhigen Lebens wieder gesammelt in einem Strom dahinflossen.

O Du Verrätherin! O Du hinterlistige, ränkevolle, liebe, theure, geliebte Verrätherin! Nun seh’ ich klar, nun durchschau’ ich erst die ganze Intrigue. Seit sie Dir, um Dich kennen zu lernen, jenen ersten Brief geschrieben, von dem ich niemals erfahren hatte, seitdem war meine kluge Schwester die geschäftigste Spinnerin, um an dem feinen Gewebe unseres Schicksals mitzuweben! Darum hatte sie es so eilig, meinen hingeworfenen Gedanken lebendig zu machen und eine nicht minder herzhafte Evastochter, die Frau Amanda, an Anna’s Seite zu bringen! Und darum warf sie, als wider ihr Ahnen und Erwarten meine Rückkehr und jener unselige Riß erfolgt war, Pflicht, Treu’ und Gewissen über Bord und schickte meine Briefe nach Rom, damit das neugierigste aller Mädchen sie lesen sollte, und während ich am Teverone saß und an Glück und Leben verzweifelte, saß dieses Mädchen hier auf diesem Platz, mit strömenden Augen und ihre Thränen flossen auf meine Beichte an ein verrätherisch mitleidiges Schwesterherz! – O ihr Frauen, ihr Kupplerinnen, ihr rettenden Engel! –

Frau Amanda und Anna sitzen im Nebenzimmer, ich schreibe in ihrer Wohnung, ich höre das unerträglich süße Flüstern – und länger halt’ ich’s nicht aus. Ich glaube, ich habe Dir den längsten aller Briefe geschrieben! Nun weißt Du Alles, leb’ wohl! – In diesem Augenblick tritt sie in die Thür und lächelt mich an, und da fällt mir ein, Du bist ja auch einmal verliebt und verlobt gewesen.

Nachschrift, eine Stunde später. Ich lasse Anna die Feder.

„Meine gute, neue Schwester! Mir schwindelt, das ist Alles, was ich Dir zu sagen weiß. Du hast mir das Leben gerettet; laß uns erst bei Dir sein, so will ich Dir’s auf Deinen Lippen danken!“

Und nun, liebe Julie, von mir noch ein letztes Wort! In dieser Stunde hat mir Anna, in holder Beklemmung, auch von jenem verzweifelten Augenblick erzählt, wo sie mit geschlossenen Augen in den Abgrund hineinspringen wollte und Walter ihr Jawort gab. Jetzt eben schreibt die Tante: Walter ist wieder bei ihr gewesen; er hat ihr versichert, er sei auf dem besten Wege der Genesung. Er werde bald mehr von sich verlauten lassen. Und so werden diesmal die Leute wohl Recht behalten: er wird seine Jugendliebe heimführen – und nicht er allein.

Ja, so ist es gekommen! O, daß Du Recht haben mußtest! Leb’ wohl, Du Schadenfrohe, bis meine dankbaren Arme Dich umschließen!




Flüchtige Federzeichnungen aus Deutschlands Großstädten.
1. Ein Billet zum Berliner Opernhause.


Wie einfach das klingt, wenn die Berlinerin eines Tages sagt: „Lieber Mann, Du könntest uns wohl einmal Billete zum Opernhause besorgen. Nächstens wird die Afrikanerin gegeben und ich möchte gar zu gern die Lucca sehen und Wachtel hören.“ – Natürlich ist er damit einverstanden und beeilt sich die Wünsche der bescheidenen Gattin zu erfüllen, um ihr und sich selbst Vergnügen zu machen. Aber die Sache bietet größere Schwierigkeiten, als man denkt, und man kann mitunter leichter in den Himmel, als in das Berliner Opernhaus kommen.

Was thut aber nicht ein guter Mann für seine geliebte Frau!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_820.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)