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denselben zur Rede und es erfolgte ein heftiger Wortwechsel, worin der junge Doctor mit seiner schrillenden Stimme keineswegs den Kürzeren zog. Das Resultat war eine Herausforderung zum Duell, welches auch am folgenden Tage stattfand, doch ohne erhebliche Verwundung endete. Dann versöhnten sich die Duellanten und blieben treue Freunde auf Lebenszeit. Der Gouverneur, dem dieser Vorgang nicht verborgen blieb, zog es vor, über diese wie über so manche andere Thorheit seines Günstlings ein Auge zuzudrücken.

Nach einigen Jahren wurde James zum Posten eines Stabsarztes (surgeon at the staff) befördert. Dabei nahm seine Praxis immer mehr zu und er wurde bald einer der gesuchtesten Aerzte der Capstadt. Sein von Selbstbewußtsein getragenes Benehmen, ein gewisser Grad von Charlatanerie, ja sogar sein erregbares Temperament und seine Sonderlingseigenschaften wirkten bei Vielen als Anziehungsmittel. Obwohl er sich gegen seine Collegen ziemlich rücksichtslos benahm (so ließ er z. B., sobald er die Behandlung eines Patienten übernahm, alle vorher angewandten Arzeneien aus dem Krankenzimmer schaffen), so hielten ihm diese doch Vieles zu Gute und er stand meistens mit denselben in gutem Einvernehmen. Eines seiner beliebtesten und ein in vielen Fällen heilsames Mittel war ein Bad in dem feurigen, kräftigenden Capwein. Auf seinem Pony, von dem schwarzen Diener und einem kleinen Hund – Psyche mit Namen – begleitet, ritt er in der Stadt von Haus zu Haus und in der malerischen Umgebung der Capstadt umher, wohin ihn eben sein Beruf führte. Jedes Kind kannte das vierblättrige Kleeblatt, welches als Wahrzeichen der Stadt hätte dienen können.

Nach mehrjährigem Aufenthalte am Cap kehrte Barry nach England zurück, um von da sogleich zur Armeestation auf Malta befördert zu werden. Dort jedoch – sei es, daß ihm das Klima nicht zusagte, oder daß man sein Verdienst nicht genügend zu würdigen wußte – gefiel es ihm nicht und er traf plötzlich, ohne nur einmal um Urlaub nachgesucht zu haben, in England wieder ein. Er pflegte herzlich zu lachen, wenn er sein unerwartetes Erscheinen vor dem Generalarzt in London beschrieb. „Mein Herr,“ sagte dieser, „ich begreife nicht, wie Sie sich in solcher Art und Weise bei mir melden können; Sie gestehen ein, daß Sie ohne Urlaub hierher zurückgekehrt sind. Darf ich Sie fragen, wie sich dies verhält?“

„Gewiß,“ antwortete James, indem er mit seinen langen, dünnen Fingern durch sein lockiges Haar fuhr, „ich bin zurückgekommen, um mir mein Haar schneiden zu lassen.“

Wie schon oft zuvor, ging er auch dieses Mal straflos aus. Zu wiederholten Malen überschritt er die Dienstordnung, ohne sich je eine ernstere Strafe als die Rüge seiner Vorgesetzten zuzuziehen. Ja, er rühmte sich selbst, daß ihm die Wahl des Ortes, wo er stationirt sein wolle, freistehe. Dies war wirklich der Fall und erregte nicht wenig den Neid seiner Cameraden, die sich in allerlei Vermuthungen erschöpften.

Sein nächster Garnisonsplatz war auf St. Helena. Man sollte von vornherein nicht glauben, daß er sich freiwillig diese öde Klippe zum Wohnort auserkoren haben würde; doch verhielt sich dies so: Das Klima der Insel sagte ihm zu und die vorzüglichen Früchte, welche dieselbe hervorbringt, fielen bei seiner Wahl schwer in’s Gewicht. Auch hier führten ihn seine Empfehlungsbriefe in die besten Kreise ein. Er miethete ein Haus, nicht weit von jener denkwürdigen Stätte, wo zwanzig Jahre vorher der große Verbannte seinen Riesengeist ausgehaucht hatte.

Dr. James war hier oberster Arzt der Garnison, und obwohl er bereits vierundzwanzig Jahre lang prakticirt hatte, so hätte man ihn seiner äußeren Erscheinung nach kaum für mehr als einen Dreißiger halten können. Sein Gang war freilich etwas schwankend, dagegen gaben ihm sein glattes Gesicht, sein blondes Haar, seine helltönende Stimme und eine Reihe glänzender Zähne ein noch jugendliches Aussehen. Seine kostspielige Lebensweise setzte er auch hier fort, nebenbei aber war er, wie seine nächsten Bekannten versichern, sehr mildherzig gegen Hülfsbedürftige und im Stillen ein Wohlthäter der Armen. Seine Erscheinung wird als sehr auffallend, in Uniform selbst caricaturenhaft-lächerlich geschildert. Er trug zwei Zoll hohe Absätze und dabei noch drei Zoll dicke Sohlen in den Stiefeln, an denen ein paar mächtige Sporen klirrten. Man denke sich hierzu einen gewaltigen Dreimaster keck auf den blonden Lockentopf gestülpt und einen schweren Dragonersäbel an der Seite, und die seltsamste aller Figuren ist fertig. Auch auf St. Helena erschien Dr. Barry gewöhnlich auf dem Rücken seines Pony; ob desselben, dessen er sich am Cap bediente, wissen wir nicht. Das Rößlein war vorsorglich vom Kopf bis zum Schweif mit einem großen Musquitonetze bedeckt, während der Doctor selbst zum Schutze gegen die sengenden Strahlen der Tropensonne einen Regenschirm von gewaltigen Dimensionen im Reiten über seinem Kopfe balancirte. Beiläufig sei hier noch seines Sattels gedacht, der, wie sein Besitzer, ein Unicum war. Weichgepolstert und vorn und hinten mit hoher Vor- und Rücklehne versehen, glich er mehr einer Kinderwiege, als einem Sattel, und obwohl es mühsam sein mochte, sich in denselben hineinzuzwängen, so war dagegen ein Herabfallen fast unmöglich.

Auch auf St. Helena erwarb sich James einen großen ärztlichen Ruf und soll einige bedeutende Curen, darunter mehrere größere Operationen, gemacht haben. Die Soldaten mochten ihn gut leiden und hatten großes Vertrauen in seine Geschicklichkeit, obschon er im Dienste streng war. Wenn er im Hospitale erschien, so mußte jeder auf seinem Posten sein, und wehe dem Untergebenen, der im Geringsten von den ertheilten Instructionen abwich. Auch bildete der Gouverneur und dessen Familie James’ Hauptumgang. Jener war ihm gewogen, zog ihn in Krankheitsfällen zu Rathe und hörte geduldig zu, wenn der Doctor von vergangenen Zeiten und von seinen Bekannten unter der englischen Aristokratie sprach, wobei er häufig die hochgestelltesten Personen einer scharfen Kritik unterwarf. Wenngleich sich James in Wort und Handlung sehr viel herausnahm, so ließ sich der Gouverneur doch eine Zeit lang dies Alles ruhig gefallen, bis endlich der folgende Anlaß ihn zum Einschreiten nöthigte.

Eines Tages fing der Doctor in mißgelaunter Stimmung Streit an mit einem Officier der Garnison. Es folgte eine Herausforderung, die aber James dieses Mal, und zwar in höchst unziemlicher Weise, ablehnte. Dies hatte zur Folge, daß er nicht nur aus dem Officiers-Club (garrison-mess), dem er bisher als Ehrenmitglied angehörte, ausgestoßen, sondern auch, daß eine Untersuchungscommission niedergesetzt wurde. Dieselbe erkannte, daß er sofort als Arrestant nach England transportirt werde.

So sagte er denn der Insel Lebewohl, auf der er etwas über ein Jahr gelebt hatte. Ein Augenzeuge, der seinem Abschiede beiwohnte, schildert denselben folgendermaßen: „Es war an einem jener drückend schwülen Morgen, wie sie den Tropengegenden eigen sind, als Dr. Barry die steile, von Jamestown zur Meeresküste führende Straße herabgeritten kam. Der Hufschlag seines Pony, verstärkt durch das Echo der steil überhängenden Felsenwände, unterbrach den tiefen Schlaf, in dem die ganze Insel begraben lag. Der Doctor erschien heute ausnahmsweise in Civilkleidung und sah sehr abgemagert und verfallen aus. Eine blaue Jacke bedeckte lose den Oberkörper, während seine Beine in einer weißen Hose, die dreimal zu groß für ihn war, umherschlotterten. Von seinem breiträndrigen Strohhut wehte ein dichter Schleier, der sein Gesicht den Blicken der Neugierigen entzog. In den Händen trug er auch dieses Mal den unvermeidlichen Regenschirm. Heute präsentirte keine Schildwache das Gewehr, als er vorbeiritt, doch schaute manches Auge theilnahmsvoll ihm nach, als er nun in Begleitung des treuen Dieners, des Pferdes und des Hundes das seiner harrende Boot bestieg.“

Auch jetzt nahm ihn eine geheimnißvolle Macht in ihren Schutz, denn, in England angekommen, wurde er sofort in Freiheit gesetzt. Ueber seine späteren Lebensereignisse will ich kurz hinweggehen, da ich ohnehin die Geduld des Lesers zu ermüden befürchte. Er verbrachte eine Reihe von Jahren in verschiedenen anderen britischen Colonien, bereiste Griechenland, durchkreuzte das mittelländische Meer und besuchte zu zwei verschiedenen Malen die westindischen Inseln. Hier war es, wo er einem Freunde den Eid abnehmen wollte, ihn nach seinem Tode in den Kleidern, in denen er stürbe, zu begraben. Dieser weigerte sich indessen, den Schwur zu leisten; auch fing James deshalb keinen Streit an, da er mit den Jahren versöhnlicher gestimmt und weniger abstoßend wurde. Seine zweite Reise nach Westindien machte er als Freiwilliger, um der Kälte des nordischen Winters zu entgehen. Dabei behauptete er jedoch, daß Liebesgram und financielle Bedrängnisse ihm das Vaterland verleidet hätten. Seine Angaben klingen allerdings nicht sehr glaubhaft. Ein Verhältniß zu einem jungen, reizenden Mädchen – so erzählte er – sei von deren Verwandten abgebrochen worden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_824.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)