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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

während seine Papiere, Werthgegenstände und dergleichen sich an Bord eines Schiffes befunden hätten, welches untergegangen sei.

Im Sommer 1865 kehrte er in Begleitung seines schwarzen Dieners John nach England heim. Zu dieser Zeit muß er wenigstens siebenzig Jahre alt gewesen sein. Er war jetzt sehr schwach und kränklich, doch standen seine Freunde aus früheren Jahren ihm treulich zur Seite. Damen, deren Bekanntschaft er am Cap gemacht hatte, holten ihn zu Spazierfahrten ab und luden ihn zu Diners ein, wobei die Tafel meist mit den seltensten Südfrüchten und Leckerbissen beladen war. Wie man sagt, machte er sich selbst Hoffnung auf den Bathorden und hatte sich eine ganz neue Uniform bestellt, um beim nächsten Lever der Königin vorgestellt zu werden.

Allein das Schicksal wollte es anders. Fiebernd und vor Kälte bebend kam er eines Abends von einer Spazierfahrt in seine Wohnung zurück und legte sich sogleich zu Bette. Am andern Morgen trat John in das Schlafzimmer seines Herrn, um, wie gewohnt, dessen Leibwäsche herauszulegen. Sechs Handtücher durften bei James’ Toilette niemals fehlen, und obwohl der Bediente nie im Zimmer geduldet wurde, während sein Herr sich wusch und ankleidete, so hatte John doch so viel bemerkt, daß der Doctor seine hagere, abgezehrte Figur beim Waschen in diese Tücher zu wickeln pflegte. Nebenbei sei hier noch bemerkt, daß James sich an regelmäßige Blutentziehungen (bald durch Aderlaß, bald durch Blutegel) gewöhnt hatte oder wenigstens solche in periodischen Zwischenräumen zu wiederholen vorgab.

Am besagten Morgen – es war ein Sonntag – fand John seinen Herrn sehr schwach und angegriffen. Er wollte einen Collegen und Freund des Doctors herbeiholen, aber dieser duldete es nicht. Den ganzen Tag über lag der „General“ (eine Abkürzung für General-Arzt, mit welcher der Bediente seinen Herrn zu tituliren pflegte) in Fieberphantasien da. Gegen Mitternacht kam er zu sich und trank auf John’s inständige Bitten einen Schluck Champagner mit Wasser verdünnt – sein gewöhnliches Zufluchtsmittel in Krankheitsfällen –, dann nöthigte er den Bedienten, für den er eine außergewöhnliche Zärtlichkeit an den Tag legte, selbst eine Stärkung zu sich zu nehmen. Es war, als ob Dr. Barry heute mehr als sonst das Bedürfniß fühlte, sein Herz auszuschütten. So sagte er unter Anderem: „Ich führe jetzt ein einsames Leben; die Freunde meiner Jugend sind längst dahin geschieden; doch habe ich immer noch Freunde, die, wenn ich nicht mehr bin, Deine treuen Dienste belohnen werden. Nun aber,“ fuhr er fort, „lege Dich im Nebenzimmer hin, Du hast selbst Ruhe nöthig. Ich bedarf Deiner Hülfe jetzt nicht, denn ich bin sehr schläfrig.“

Und der ersehnte Schlaf kam, aber es war der Schlaf, aus dem es kein Erwachen giebt. Als John bei Tagesanbruch das Krankenzimmer betrat und die Bettvorhänge von einander schlug, fand er den „General“ todt; die Augen waren geschlossen, die Gesichtszüge ruhig; der Tod war offenbar ohne Schmerzen eingetreten. John deckte die Leiche zu und stieg hinab in die Küche, wo er eine Krankenwärterin traf, welche er bat, dem todten „General“ sein Sterbekleid anzuziehen. Dann zog er sich in sein eigenes Zimmer zurück und legte sich, erschöpft vom Wachen, zum Schlafen nieder. Kaum aber hatte er die Augen geschlossen, als die Wärterin herein eilte und zu ihm sagte: „Was soll das heißen? Sie fordern mich auf, die Leiche eines Generals anzukleiden, und ich finde die Leiche einer Frau vor!“

Die allgemeine Ueberraschung, welche dieser Entdeckung folgte, möge der Leser sich selbst ausmalen. Der General-Registrator ordnete, als er diese Nachricht erhielt, sogleich eine gerichtsärztliche Untersuchung der Leiche an, welche denn als unzweifelhaft herausstellte, daß der verstorbene Dr. James Barry, der nahezu fünfzig Jahre im Dienste der englischen Regierung gestanden, nicht nur ein Weib, sondern auch Mutter gewesen sei.

Auch unsern John überraschte diese Entdeckung auf’s Höchste. Es war ihm freilich bisweilen ein Verdacht aufgestiegen, daß es mit dem Doctor nicht ganz richtig sei, doch hatte er sich solche Gedanken immer rasch wieder aus dem Sinne geschlagen. Ebenso mochte es den meisten Bekannten Dr. Barry’s ergangen sein; allerlei Gerüchte in Betreff seiner waren in Umlauf gewesen, den wahren Sachverhalt jedoch hatte keiner gewußt.

Ich habe nur noch wenig hinzuzufügen. Dr. James Barry wurde im Juli 1865 zu Kensal Green, einer Vorstadt Londons, begraben. Ein Testament war nicht vorhanden; auch war ein solches unnöthig, denn obwohl er – oder vielmehr sie – während ihrer nahezu fünfzigjährigen Praxis bedeutende Summen verdient haben muß, so hinterließ sie doch keinen Penny. Ihre wenigen Effecten wurden bevollmächtigten Agenten eingehändigt und am Tage nach ihrer Beerdigung erschien ein Livrée-Bedienter, um den werthvollsten Nachlaß der Verstorbenen, den treuen Hund, in Empfang zu nehmen. Derselbe Bediente händigte dem treuen John eine nicht unbedeutende Geldsumme ein, die mehr als genügend war, um dessen Rückkehr in seine Heimath – eine von den westindischen Inseln – zu bestreiten. Von wem aber das Geld kam, welches er erhielt, ist unbekannt geblieben. Der Schleier des Geheimnisses, der das Leben der merkwürdigen Frau bedeckte, ist auch nach ihrem Tode nicht gelüftet worden. Bis jetzt hat man weder gehört, ob ihr Kind noch am Leben ist, noch ob andere Verwandte von ihr existiren. Sollte die Zukunft hierüber irgend welche Aufklärungen bringen – und vielleicht geschieht dies eben mit Hülfe der ja auch in England so viel gelesenen Gartenlaube – so werde ich nicht verfehlen, die Leser derselben hiervon in Kenntniß zu setzen.[1]




Auf den Flügeln des Stahls.
Von Max Wirth.


Die meisten städtischen Gemeinden besinnen sich bei gewissen Gelegenheiten keinen Augenblick, Tausende für Festlichkeiten und Feuerwerke in die Luft zu verpuffen; allein es giebt nur sehr wenige, welche dafür sorgen, daß ihre Bevölkerung einen Spazierplatz für den Winter, d. h. eine Eisbahn, habe, wo sie ihre Gesundheit stählen und das erheiterndste gesellige Vergnügen genießen kann. Die Ursache mag darin zu suchen sein, daß die meisten Städte an Flüssen liegen oder daß sich Teiche in der Nähe befinden und so also die Natur von selbst sorgt.

Indessen gefrieren Flüsse nicht immer und selten glatt zu, es bleibt daher stets noch etwas zu thun übrig. Nur in wenigen Gegenden werden Wiesen überschwemmt, noch minder aber zu diesem Zweck, und doch dienen solche am besten, weil sie am ehesten gefrieren und keine Gefahr des Ertrinkens darbieten. Schon der vielen Unglücksfälle wegen, welche sich im Winter fast überall beim Einbrechen in’s Eis ereignen, sollten die „Väter der Städte“ darauf bedacht sein, daß geeignete Eisplätze mittels Ueberschwemmung im Winter hergestellt werden; denn wenn sie das Wohl und die Sicherheit der Einwohner im Auge haben wollen, so helfen doch Verbote des unzeitigen Besuches gefährlicher Plätze nicht viel. So weit aber werden sie auf der anderen Seite schwerlich nicht gehen wollen, wie der letzte Kurfürst von Trier, Clemens Wenzel, der in landesväterlicher Fürsorge das Schlittschuhfahren überhaupt verbot.

In Fällen, wo kein geeigneter Eisplatz von Natur vorhanden ist und die Magistrate nicht zu bewegen sind, etwas zu thun, bleibt immer der Weg der gesellschaftlichen Hülfe und der Privatspeculation übrig. In Bern und in Basel sind Eisplätze durch Ueberschwemmung von Wiesen auf Anregung der gemeinnützigen Gesellschaft, in letzterer Stadt durch die Mittel dieser Gesellschaft, in ersterer durch freiwillige Beiträge und Erlös von Zutrittskarten hergestellt worden. Die großartigsten Anstalten aber sind in dieser Hinsicht in einigen Städten Canadas und der nördlichen Staaten der amerikanischen Union, begünstigt durch die strenge Kälte jener Länder, getroffen worden. In Chicago wurde sogar ein Eisplatz überdacht, so daß auch bei starkem Schneefall an zehntausend Personen fahren können.


  1. Wir bitten ausdrücklich darum und würden auch andere Beiträge aus der Feder des deutschen Landsmanns am Cap der guten Hoffnung gern und dankbar entgegennehmen.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_825.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)