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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Aehnlich jenem im Eingange erwähnten Cylinder, der die alten Noten empfängt, um daraus neues Papier zu machen, haben die eisernen Kisten (Safes), worin Stempel und „Grundlagen“ verwahrt werden, und die andere eiserne Kiste von der Größe eines anständigen Empfangszimmers, welche die fertigen Noten und Staatsschuldscheine enthält, je drei Schlösser, wovon der Schlüssel eines jeden in den Händen eines andern Bewahrers ruht, so daß sie nur in Gegenwart dieser drei Personen eröffnet werden können. Ein Stempel oder eine „Grundlage“ in eines Arbeiters Hand entschlüpft nicht für einen Augenblick dem wachsamen Auge des für ihn verantwortlichen Bewahrers, weil sonst ein Abdruck genommen und so eine Fälschung begangen werden könnte.

Ebenso wunderbar wie vollkommen ist das System von Control- und Sicherheitsmaßregeln, vermittels deren diese ungeheuern, durch Hunderte von Händen laufenden Beträge gegen Nachlässigkeit und Unredlichkeit geschützt werden, und sie beruhen auf den nachstehenden einfachen Grundsätzen:

1. Jedes Papier-Paket oder jeder Bogen, bestimmt Geld daraus zu machen, wird von dem Augenblicke ab, wo er rein in das Bureau kommt, als Geld behandelt. Nie wird ein Bogen oder eine Note, die mangelhaft oder im Laufe der vielfachen Operationen beschmutzt ist, weggeworfen. Auch das kleinste Stückchen Papier, wenn einmal empfangen, muß in irgend einer Weise dem höheren Beamten im Schatzamte überliefert werden.

2. Jedes Paket, das von einer Hand zur andern oder von einem Bureau zum anderen übergeht, wird gezählt, quittirt und das Resultat in ein Buch mit Lederband eingetragen. Ueberdies setzt die Zählerin die Anfangsbuchstaben ihres Namens auf das Band des Pakets. Sollte daher ein Paket oder Bogen verloren gehen, so kann er leicht bis zu der Hand verfolgt werden, die ihn zuletzt empfing und ihn versäumte abzuliefern. Dreiunddreißig Mal wird jedes Paket auf seiner Wanderung durch die verschiedenen Stadien seines Vervollkommnungsprocesses gezählt. Selbst dem Schatzsecretär würde ohne schriftlichen Befehl und Quittung nicht ein Dollar verabfolgt.

3. Irgend ein Irrthum oder Widerspruch wird im selben Augenblicke verfolgt und verbessert oder beseitigt, in welchem er entdeckt wird. Die Bücher werden jeden Abend verglichen und abgeschlossen, und kein Arbeiter oder Aufseher darf weggehen, bis alle Rechnungsabschlüsse als übereinstimmend berichtet sind.

Um die Zuverlässigkeit des Systems zu prüfen, ordnete an einem Tage des verflossenen Januar der Schatzsecretär einen finanziellen Generalmarsch an, d. h. er ließ plötzlich, während Alles in voller Arbeit und ohne daß ein Mensch davon etwas wußte, alle Arbeit einstellen. Die Abrechnungen wurden genommen, wie sie gerade lagen, und eine allgemeine Revision aller Bureaux abgehalten. Sie besaßen an dem Tage über siebenhundert Millionen Dollars, und doch wurde nicht nur die Gesammtsumme richtig befunden, sondern der Betrag in jedem einzelnen der sechszig Räume stimmte mit den Büchern bis zum letzten Cent.

Die nachstehenden Fälle „verschwundener“ Werthpapiere dürften von Interesse sein, nicht nur weil sie die Genauigkeit der Buchführung dieses großartigen Instituts beweisen, sondern auch weil sie dem deutschen Leser eine Idee des in den Vereinigten Staaten in solchen Fällen beobachteten Verfahrens geben.

Einmal verschwanden Dollars von Zinses-Zinsen-Noten des Schatzamtes in der Versiegelungsabtheilung. Da die emsigsten Nachforschungen vergeblich waren, so zahlten die in der Abtheilung Beschäftigten den Betrag, und man nahm an, daß die Noten von der Maschinerie erfaßt und in Stücke zerschnitten worden. Allein es wurde kein neuer Bogen mit dieser Nummer mehr erlassen, so daß, wenn ein Diebstahl stattgefunden, er einst herauskommen muß, wenn diese Noten zur Zahlung eingesandt werden.

Zweihundert Bogen von Fünfundzwanzig-Cent-Noten im Gesammtwerthe von elfhundert Dollars konnten nicht gefunden werden. Durch die Nachlässigkeit eines Aufsehers, welcher den Verlust nicht augenblicklich berichtete, wurde es unmöglich nachzuspüren. Allein nach einigen Wochen stellte sich heraus, daß eines der Mädchen verdächtig große Summen ausgab, nicht für sich, sondern mädchenhaft zur Bequemlichkeit ihres Vaters, dessen Aufenthalt in einem der theuersten Gasthöfe sie bezahlte. Des Diebstahls beschuldigt, bekannte sie sofort. Sie hatte die Noten unter ihren Unterkleidern versteckt herausgetragen. Hätte der Aufseher seine Schuldigkeit gethan und den Verlust gleich bekannt gemacht, so hätte sie nicht mit denselben wegkommen können. Die Mädchen der Abtheilung würden ein Comité erwählt haben, um die Kleider Aller genau zu durchsuchen. Dieser Betrag wurde nie ersetzt und ist in der That der einzige Verlust, den das Schatzamt erlitten.

Der bedeutendste Diebstahl, der bisher im Schatzamte vorgekommen, war der von „Sicherheiten“ (securities), welche das Fabrikations-Bureau bereits an den Registrator abgeliefert und dafür dessen Quittung erhalten hatte. Ein Beamter in dem Anleihe-Bureau beseitigte hunderttausend Dollars in sechsprocentigen Coupons von Staatsschuldscheinen. Wochenlang blieb die Entwendung unbekannt; der Dieb legte mittlerweile unter dem Vorwande, daß sein Großvater gestorben sei und ihm ein großes Vermögen hinterlassen habe, seine Stelle nieder, zog nach New-York, miethete ein prachtvolles Gebäude und lebte in Saus und Braus. Er machte keinen Versuch, die Schuldscheine zu veräußern, sondern präsentirte nur alle halbe Jahre die fälligen Coupons und strich seine dreitausend Gold-Dollars ein. Allein da jeder Coupon dieselbe Nummer trägt wie der ihm entsprechende Staatsschuldschein, und da eine Liste der vermißten Schuldscheine an alle Agenten des Schatzamtes mitgetheilt war, so fügte er mit einem Stempel mit rother Tinte eine Ziffer zu der Nummer jedes Coupons, indem er zum Beispiel 46,918 in 469,181 u. s. w. verwandelte. Sein extravagantes Leben erweckte aber Verdacht. Großvater und Erbschaft erwiesen sich als ein Märchen; er wurde verhaftet, gestand und erklärte, daß er die Schuldscheine verbrannt habe, zeigte jedoch die Stelle seines Hauses an, wo die Coupons versteckt waren; er wurde zur Strafarbeit verurtheilt, aber begnadigt und starb bald nachher. Durch diesen Fall gewitzigt, wird jetzt beim Numeriren der Coupons die Vorsicht genommen, die Nummer auf dem Rücken durchscheinen zu lassen, so daß keine Zahl zugefügt werden kann.

Das Stück Staatsschuldscheine kommt der Regierung sechs Cent zu stehen; das Stück kleiner Münzscheine den zehnten Theil eines Cent. Die ganze Maschinerie des Bureaus hat zweihundertfünfzigtausend Dollars gekostet.

Die Arbeitszeit beginnt um neun Uhr Morgens und dauert bis vier Uhr Nachmittags mit halbstündiger Unterbrechung um die Mittagszeit für das sogenannte Lunch (Gabelfrühstück). Doch ist dem Ab- und Zugehen der Arbeiter und Arbeiterinnen keine Schranke aufgelegt und überall begegnet man Mädchen, allein, zu Zweien und mehr. Die so schöne Achtung der Amerikaner vor dem weiblichen Geschlechte bewährt sich auch hier und überrascht den Europäer auf das Angenehmste. Obwohl Arbeiterinnen, sind sie doch „Ladies“. Manche Gattung Arbeit ist so schwer, daß diese sechs- bis siebenstündige Arbeitszeit lange genug ist. Der Tagelohn für Männer ist von zwei und einem halben bis fünf Dollars; für Mädchen ein und ein halber bis zwei und ein halber Dollar. Einige Mädchen sahen erschöpft und ungesund aus, die meisten aber gesund und fröhlich. Fast ausnahmslos sind sie nett und geschmackvoll gekleidet. Für Diejenigen, welche Familie haben, ist die Arbeit passend und angenehm; für Andere dagegen ist Washington die unangenehmste und gefährlichste aller amerikanischen Städte. Wenige mit Washington bekannte Männer würden ihre Töchter oder Schwestern der Gnade seines Kosthauslebens anvertrauen wollen.

Wenn wir in Vorstehendem ein getreues Bild einer Anstalt zu geben versuchten, die uns die Menschenhändler des Südens aufzwangen und die der unermüdlich erfinderische Geist des „unvermeidlichen Yankee“, geleitet von einem Meister wie Chase, allein in’s Leben rufen konnte, so mögen unsere Leser unserer Versicherung Glauben schenken, daß wir es nicht mit freudigem Herzen gethan. Es geht ein unheimlicher Geist durch unser amerikanisches Haus; er nagt am untersten Marke unseres materiellen Wohlergehens, unseres socialen Lebens und, was das Gefährlichste, unserer Moralität: der Papierschwindel. Aber schon sind kräftige Arme bereit ihn zu fassen, und der 1. Januar 1869, wir wagen die Voraussagung, wird die Vereinigte-Staaten-Regierung, zur Baarzahlung zurückkehren sehen.

Riotte in Washington.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_059.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)