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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 5.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



In sengender Gluth.
Von F. L. Reimar.


„Halten Sie ein, Tante! Ich ertrage es nicht, das zu hören, und sage Ihnen, daß ich Sie hassen werde, wenn Sie Ihre Worte wiederholen!“

Die Anrede galt einer älteren Dame, deren etwas grämliches Gesicht in diesem Augenblick einen erschrockenen Ausdruck annahm, während die Wangen des schönen, jungen Mädchens, welches die Worte gesprochen hatte, bleich vor Zorn waren und seine kleinen Hände sich krampfhaft zusammenzogen.

„Aber, Rosalie, ich begreife kaum, was ich gethan, womit ich Dich gekränkt habe!“ stotterte die Erstere endlich.

„Sie haben angegriffen, was mir heilig ist!“ erwiderte das junge Mädchen mit einem Ton, in welchem die bittere Erregung mit dem Schmerz kämpfte, und dabei zuckte es um den feinen Mund wie von verhaltenem Weinen.

Die Entgegnung, welche der alten Dame eben auf der Zunge schwebte, wurde durch das unerwartete Eintreten eines Dritten abgeschnitten, der in diesem Augenblick auf der Schwelle erschien. Es war ein Mann, der in der ersten Hälfte der Dreißiger stehen mochte und dessen Gesicht, wenn es auch nicht gerade schön zu nennen war, doch einen unendlich angenehmen Ausdruck von Güte und Wohlwollen trug. Der erste Blick verrieth ihm, daß etwas zwischen den beiden Damen vorgegangen war, wie er denn auch die letzten Worte Rosaliens gehört haben mußte, und während das Mitleid mit dem Kummer des schönen jungen Geschöpfes in seinen Zügen offenbar wurde, trat er auf sie zu und sagte, indem er liebevoll den Arm um sie legte:

„Fehlt meiner Kleinen etwas und kann ich ihr helfen?“

In dem Augenblick stürzten die heißen Thränen aus den Augen des jungen Mädchens, aber sie entwand sich seinen Armen und sagte, wenn auch in sanfterem Ton, als mit dem sie vorher gesprochen hatte:

„Laß mich, Hermann. Ich spreche nicht gern von dem, was mich schmerzt!“

Damit trat sie auf die Terrasse hinaus, welche vor dem Zimmer hinlief, und entzog sich so den Blicken der beiden Zurückbleibenden.

Hermann sah wie fragend auf die Tante, welche einige Male unruhig auf ihrem Sitze hin- und hergerückt war und nun, da sie begriff, daß er eine Erklärung von ihr erwartete, in die Worte ausbrach:

„Ich habe sie gewiß nicht beleidigen wollen, Hermann, und bin selbst erstaunt über eine Heftigkeit, die sie früher nie gezeigt hat. Ich sprach über einige Mängel ihrer Erziehung, wie mir denn dies ganze katholische Wesen, dem sie anhängt, ein Aergerniß ist, und äußerte meine Ueberzeugung, daß ihre Mutter besser gethan hätte, sie in dem Glauben unseres Landes zu erziehen. Dir selbst muß dieser Gedanke kommen, Hermann, da Rosalie in Kurzem Deine Frau sein wird und solche ungleiche Ehen selten Gutes bringen!“

Hermann konnte ein leichtes Stirnrunzeln bei dem Geständniß der alten Dame nicht unterdrücken, trat dann aber zu ihr und sagte freundlich-ernst:

„Rosalie hat leichtverletzliche Saiten in ihrem Gemüth, welche geschont sein wollen, wenn sie nicht aus ihrer Harmlosigkeit, die mir so theuer ist, erweckt werden soll. Versprich, mir in Zukunft darin beizustehen, liebe Tante, und laß alles Uebrige meine Sorge sein!“

Die alte Dame verstand die Mahnung, welche in den Worten des Neffen lag, und zustimmend und ein wenig beschämt legte sie ihre Hand in seine dargebotene.

Er verließ sie dann und ging zu seiner Braut, die mit abgewandtem Kopf an der Brüstung der Terrasse lehnte! Als er leicht ihre Schulter berührte, sah sie zu ihm auf und mit Freude bemerkte er, daß jeder Zug von Herbigkeit aus dem schönen Gesicht verschwunden war, das wieder den früheren halb kindlichen, halb träumerischen Ausdruck angenommen hatte.

„Rosalie, mein Liebling,“ sagte er weich, „es ist immer eine Hand da, die Dich führen und schirmen wird!“

Mit einer raschen Bewegung ergriff sie plötzlich seine Hand, küßte dieselbe und rief aus:

„Tadle Du mich, strafe mich, wie Du willst, aber laß keinen Menschen zwischen uns treten, weder im Guten, noch im Bösen! Ich will Alles nur von Dir, Hermann!“

Sie hatte sich an ihn geschmiegt und lehnte ihr Haupt an seine Brust. Er streichelte mit der Hand sanft ihr schönes Haar und flüsterte: „Gebe Gott, daß ich Dir immer das sein, das gewähren könne, was Deinem Herzen noth thut.“

Sie waren von der Terrasse in den Garten hinabgestiegen, der sich mit seinen parkartigen Anlagen bis zur Landstraße erstreckte, welche das Gut, dessen Besitzer Hermann von Lossau war, von dieser Seite begrenzte, und in einer der duftenden Fliederlauben, von wo aus man einen Theil jenes Weges überschauen konnte, nahmen die Verlobtem ihren Platz.

Ihm war es, als sei es seine Aufgabe, den letzten Schatten des Kummers zu verscheuchen, welchen ihr die unüberlegten Worte der Tante bereitet hatten, und mit doppelter Genugthuung erfüllte es ihn, daß er sich dazu im Stande wußte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_065.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)