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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Erzähler nur gelingt, sich Hörer aus Lesern zu schaffen, das heißt: schreibend so natürlich mit ihnen zu reden, als ob er spräche?

Eine Hauptbedingung dabei ist immer die Wahrheit: die Wahrheit der Thatsachen, die Treue der Auffassung, die Aufrichtigkeit der Gesinnung! Deren darf ich mich rühmen. Deshalb rechtfertige ich meine Plaudereien ein für allemal mit Goethe’s Worten: „In der jetzigen Zeit soll Niemand schweigen, oder nachgeben; man muß reden und sich rühren, nicht um zu überwinden, sondern sich auf seinem Posten zu erhalten; ob bei der Majorität oder Minorität, ist ganz gleichgültig,“ und ich beginne mit der Stätte, von der diese Worte ausgingen, der für jeden Deutschen ewig geweihten Stätte, welche unser großes Dichterzweigestirn und noch so mancher andere glänzende Stern am Himmel unsers nationalen Schriftenthums für ewig geweiht und geheiligt haben – mit meinen Erinnerungen an Weimar.


I. Weimarische Abende.
1. Bei Goethes.

Es gehen lügenhafte Sagen umher, die im Laufe der Zeit Geschichte werden. Unter diese gehört jene ungerechte, tausend Mal aufgewärmte Anklage: Goethe habe sich theilnahmlos gegen jungaufstrebende Talente verhalten und ihre Hervorbringungen keiner Aufmerksamkeit gewürdigt, außer wenn sie ihm unbedingt huldigten. Das ist Verleumdung! Gegen Personen mag er sich hin und wieder abstoßend gezeigt, mag, durch bittere Erfahrungen argwöhnisch gemacht, sich vor allzuhäufigem Andrange und vielfältigem Ueberlaufen bisweilen gesichert, mag die ihm einwohnende, wahrhaft humane Milde gewaltsam unterdrückt haben, wie schwer es ihm immer wurde. Gegen geistige Erzeugnisse blieb er auch dann gerecht, wenn er gegen deren Erzeuger etwas auf dem Herzen hatte. Selten wohl hat es einen Dichter gegeben, welcher die Dichtungen Anderer so scharf zu sondern wußte von ihren Schöpfern, der so objectiv betrachtete und beurtheilte. Freilich stets von seinem Standpunkte. Ob dieser jedesmal der unfehlbare, unumstößliche gewesen? Das wäre doch eine recht unnütze Frage. Denn welcher Mensch, sei es der weiseste, welcher Poet, sei es der größte, welcher hohe Geist bleibt von vorgefaßten Meinungen frei, von Einseitigkeiten, Idiosynkrasien, Sympathien? „Nicht Unparteilichkeit,“ sagt J. P. Fr. Richter treffend, „ist dem Erdenmenschen anzusinnen, nur Bewußtsein derselben.“ Und aus seinem Bewußtsein heraus, aus seinem eigensten Gefühle, allerdings auch manchmal durch den Schleier selbstgewobener Theorien, hat Goethe den Blick auf Kunstwerke der jüngeren Welt gerichtet, ohne vorher zu fragen: wie steht’s mit ihren Verfassern? Hängen sie mir an? Gehören sie zu meinen Schülern, oder zu meinen Gegnern? Nein, er trennte Personen und Sachen. Er konnte unerbittlich streng den Stab brechen über Arbeiten derer, die er gern um sich sah; er konnte sich kindlich freuen über poetische Erstlinge ihm wildfremder Leute. Ich erinnere mich, daß sein Sohn August mir erzählt hat, welch’ herzliche Freude „der Vater“ gefunden am Drama „Alexander und Darius“ von Fr. v. Uechtritz, welches der ihm gänzlich unbekannte Autor eingesendet. „Wie ein Kätzchen,“ versicherte August, „trug er’s unter’m Arme mit sich herum, gab es nicht aus den Händen, ging, glaub’ ich, damit zu Bette, ergötzte sich liebkosend daran, wie an einem edlen, reinpoetischen Werke.“

Etwas Aehnliches mag Michael Beer gehofft und erstrebt haben, da er meinen Aufenthalt in Weimar benutzen wollte, seine Tragödie „Struensee“ durch mich bei Goethe einzuschwärzen, indem ich dieselbe dort vorlas, wie ich bereits in Berlin vor meinem gewöhnlichen Publicum gethan. Der Aufführung dieses Stückes stellten sich damals noch unterschiedliche Hindernisse entgegen. Auch war es noch nicht mit den musikalischen Schwingen versehen, welche Bruder Giacomo ihm – leider erst nach des Dichters Tod – ansetzte. Es hatte, neben vielen anerkannten Schönheiten, die unzukömmliche Eigenschaft eines allzugroßen Umfanges, den ich, trotz raschestem Tempo, nur nach Ablauf dreier voller Stunden bändigen konnte. In Berlin, unter aufmerksamster Controlle der zahlreichen Beer’schen Familie, durfte ich nicht kürzen, auch schleppende Stellen nicht. In Weimar war das „Streichen“ Pflicht, sollte derjenige, auf den es abgesehen war, die Geduld nicht verlieren. Ich übte diese Pflicht als routinirter Theatermensch und strich barbarisch.

Mögen die Dichter noch so heftig dawider eifern, es thut häufig Noth, zu ihrem und ihrer Arbeiten Vortheil. Denn im Flusse der Begeisterung vergessen sie allzuleicht, wie Wenige auf der Bühne reden können und wie Wenige vor der Bühne hören wollen. Wobei noch zu erwägen, daß breite Recitation auch im günstigsten Falle die Handlung hemmt. Demnach gebrauchte ich meinen Rothstift gewaltig, in Michael Beer’s Interesse, nicht minder in meinem eigenen, weil es mir auf diesem Wege endlich gelingen sollte, so meinte ich, daß Goethe mich lesen höre, was er bis dahin hartnäckig verweigert – den Seinigen sowohl, als andern Antragstellern – mit der Entschuldigung: „Er habe jetzt gerade viel zu thun, und so etwas störe ihn!“

Diesmal hatte Frau Ottilie, die liebenswürdige Schwiegertochter, versprochen, den Schwiegervater einzufangen, und er hatte versprochen sich fangen zu lassen. Auch war die Falle pfiffig aufgestellt, und hübsche Frauen und Mädchen waren zur Lockung verheißen. Mittags zwölf Uhr befand er sich in erwünschtem Wohlsein; es konnte gar nicht fehlschlagen.

Eine größere Gesellschaft fand ich, nicht in den von ihm bewohnten Räumen, sondern im oberen Stockwerk, welches „Kammerraths“ inne hatten, (im sogenannten „Schiffchen“) versammelt, als ich, meinen Adoptivsohn Struensee im sauberen Manuscripte fest an die Brust geklemmt, anrückte. Die Versammlung überraschte mich, so zahlreich erwartete ich sie nicht. Sie erschreckte mich zugleich, denn es stieg mir beim ersten Ueberblicke die Befürchtung auf, das Erscheinen der Hauptperson sei dadurch in Zweifel gestellt. Noch war’s nicht ausgesprochen, noch hoffte Frau von Goethe, „Papa werde nicht ausbleiben.“ Ich zählte die Minuten, jeder Sprung des Secundenweisers gab mir einen Stich in’s Herz. Aber dennoch ließ auch ich die Hoffnung nicht schwinden. Mir war’s wirklich mehr um den entfernten Dichter und dessen heißeste Wünsche, als um den Vorleser, welcher letztere auf seinen Erfolg als solcher heute kein besonderes Vertrauen baute. Eine derartige künstlerische Production steht immer auf schwankenden Füßen, wofern sie nicht classisch-festen Boden unter sich fühlt. Wer unbestrittene Meisterwerke vorzutragen hat, darf sich mit allen Kräften der Seele seiner Aufgabe widmen. Ihn erfüllt dann lediglich der eine Gedanke: Du sollst darthun, daß du würdig bist, den Dichter in’s Leben zu rufen, ihm sein Recht zu erweisen! Und fehlt es dann sonst nicht an Fähigkeit und Uebung, so wird er muthig vorgehen, günstiger Wirkung sicher. Wer jedoch Sorge zu tragen hat für das seinem Talente anvertraute, noch unbekannte Werk, wer gleichsam die Verpflichtung übernahm, diesem Eingang zu verschaffen, den drückt auf zusammengeschnürter Brust gleich einem Alp die Angst, ob er so schwieriger Pflicht zu genügen, ob er den Autor glücklich zu vertreten im Stande sein werde.

So war mir’s mehrmals schon in gleicher Situation ergangen, wo ich einem hochpreislichen Publicum (und was bedeutete mir ein solches im Vergleiche mit Goethe!) gegenüber saß. Einmal, um nur ein Beispiel, aber ein schlagendes, anzuführen: da ich meinem lieben, verehrten Freunde L. Rellstab angelobt, seinen „Franz von Sickingen“ vor besagtem Auditorium lebendig zu machen, selbigen wackern Rittersmann jedoch mit all’ meinem an ihn verwendeten Lebensathem tödtete, daß er kein Glied mehr rührte; – oder vielleicht von ihm getödtet wurde! Wer will’s entscheiden? Wir brachten wahrscheinlich Einer den Andern um. Und wenn sich das heute Abend wiederholte! Wenn ich eine poetische Leiche in Goethe’s Haus geliefert hätte, um sie vor ihm zu seciren? Vor ihm, der bekannten Abscheu wider Leichen hegte! Und was würde Michael Beer von mir denken, der sein Schooßkind mir überantwortet auf Treu’ und Glauben, daß ich es in’s hellste Licht setzen möge?

Diese peinliche Spannung ward noch gesteigert durch das Betragen der Anwesenden, welche, gleich mir des hohen Hausherrn gewärtig, obschon ohne Furcht, vielmehr in froher Aussicht auf eine, möglicherweise zwei Hinrichtungen, gierige Blicke wechselten zwischen mir und dem für mich errichteten Schaffot, dabei aber doch nur ehrfurchtsvoll flüsterten, wie etwa in der Kirche geschwatzt wird, ehe die Predigt beginnt.

Mancherlei Zustände lassen sich nicht beschreiben. Wer sie nicht an sich selbst erlebt hat, wird sie nicht verstehen; wer gesunde starke Nerven hat, begreift nimmermehr, bis zu welchem Grade krankhafter Ueberreizung derjenige gebracht werden kann, der, ungeachtet vorhergegangener Successe im Bereich künstlerischer Reproduction,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_089.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)