Seite:Die Gartenlaube (1868) 142.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Lesern wissen, daß dies der Name eines deutschen Malers ist, der seit Jahrzehnten in Venedig lebt, als braver Deutscher zu seiner Stammkneipe sich dieses Café erlesen und hier als der freundliche Schützer und Berather aller deutschen Genossen aufgesucht wurde. – An diesem Abend ermahnte er uns, das Kirchweihfest von San Simeone piccolo nicht zu versäumen, das soeben beginnen werde. Sofort ward, gehorsam seinem Winke, ausgetrunken und aufgebrochen.

Wir schlugen den nächsten Weg zur Rialtobrücke ein und bestiegen dort die Gondel, die uns den großen Canal entlang in kurzer Zeit zur Feststätte trug. Die genannte Kirche liegt dem Bahnhofe gegenüber am großen und einem Seitencanale. Eine Uferstraße zieht sich dort vor den Häusern hin und die Kirche begrenzt ein freier Raum. – Schon aus der Ferne erkannten wir an dem Lichtmeer, daß auch dieses Fest in Ehren steht. Die Kirche selbst, ein Kuppelbau mit Säulenportal, nach dem Muster des Pantheon in Rom, strahlte von bunten Lampen und Laternen, die ihr Licht auf die Guirlanden und Kränze warfen, mit denen sie geschmückt war. Aus den hohen Fenstern drang ihre innere Erleuchtung, diese ward aber schier verdunkelt von der bunten Umgebung. Alle benachbarten Gebäude hatten ihren Illuminationsschmuck angethan, köstliche Teppiche hingen von den Balconen herab und noch köstlichere Augen schauten darüber hernieder auf das scenenreiche Spiel der Volkslust. Wie die Menge auf dem Lande, so wogt’s auf dem Wasser in Gondeln und Barken und in der Luft von allen möglichen Tönen, Musik, Gesang, Reden, Schreien und Lachen durcheinander. Bald da, bald dort leuchten bengalische Flammen auf, mit tausendstimmigem Ah! begrüßt, und derselbe Gruß gilt dem Mond, der plötzlich hinter den hohen Dächern mit ihren posaunensturzartigen Schornsteinen hervortritt. Und welche Gestalten und Gesichter entzücken das Auge! Fehlt es auch nicht an Männern und alten Weibern, welche uns an Dämonen und Hexen erinnern, so verzeihen wir ihnen Allen ihre häßlichen Gesichter den vielen leibhaftigen Madonnen zu Liebe, die uns Alle so aufrichtig gnädig anlächeln mit den wundervollsten Linien des Mundes und bodenlos tiefen Augen.

Hier freut man sich darüber, daß die Gondel in dem Gedränge nur ruckweise vorwärts kommt; man ärgert sich nur, daß man nicht nach allen vier Seiten hin zugleich sehen kann. Endlich gelang es uns, bei einem der freien Plätze das Land zu gewinnen, und nun wurde uns erst die natürliche Gruppirung des Festes klar. Hier, auf diesen Reihen von Bänken, zwischen diesen Buden, welche, und zwar zur besonderen Ehre des Festes, in den schönsten und wirklich oft kunstwerthvollen Gefäßen, Fische und Backwerk aller Art, Salami und Melonen, Wein und Limonade und Gott weiß was Alles feil boten, erlustirte sich das eigentliche sogenannte „Volk“, während die vornehmere Welt auf dem Wasser blieb; aber hier wie dort wurde mit gleichem Appetit gegessen und getrunken, Guitarre und Gesang klangen von der Bank wie von der Gondel, nur den neckischen Fächerschlag, in welchem die venetianischen Schönen so unnachahmliche Anmuth zeigen, vermißte man hier. Dagegen nimmt die ungebundene Lust viel wechselndere Gestalt an. Da schreit, singt, tanzt, redet und lacht Alles durcheinander, Käufer und Verkäufer überbieten sich in Lungenkraftproben, und dazwischen die herrlichen Leierkästen, Ziehharmonicas und Dudelsäcke, das Stampfen und Zischen der Tanzenden, und das Krachen und Knattern abgebrannter Feuerwerke – kurz, es ist viel auf einmal, was über einen armen Menschenkopf hier herfällt, aber man wird nicht müde und wir Deutschen hielten Stand.

Wir wollten des Festes Ende sehen und haben es nicht bereut, obwohl wir hier Vergleiche anstellen mußten, die ähnlichen heimathlichen Festen nicht zur Ehre ausfielen. Oder brauchen wir erst zu schildern, wie namentlich in Gegenden, wo Bier und Branntwein ihren Einfluß kennzeichnen, das Bild eines Kirchweihschlusses aussieht? Wie so ganz anders, wie beruhigend, mit der ausgelassensten Lust versöhnend erlebten wir dies hier! Etwa eine Stunde nach Mitternacht begannen die Gondeln und Barken zu verschwinden, gleichzeitig verloschen, hübsch nach und nach, die Lichter der Häuser, Balcon um Balcon schloß sich, und als ob die Volkslust zwischen den Buden sich ohne das vornehme Publicum der Balcone und Gondeln nicht mehr behaglich fühle, ward Bank um Bank leer, jubelte Trüppchen um Trüppchen ab, so daß Gesang und Klang nach allen Seiten hin verhallten. Endlich saßen wir allein da vor dem grauenden Morgen und sahen die Herbstnebel über dem Canale grande dampfen.

Ja, sie sind schön, die Kirchweihnächte der Lagunenkönigin! Und da Venedig neunzig Kirchen besitzt, so wird es wohl eben so viele Feste dieser Art feiern. Mitfeiern möchte man sie alle, aber auch alle, beschreiben? Doch wohl nicht.




Pariser Bilder und Geschichten.
Wie man in Paris sein Glück macht.

Es mögen jetzt drei Jahre her sein, als ich an einem wunderschönen Märztage mit einem deutschen Landsmann durch den Tuileriengarten schlenderte. Schneeglöckchen und Crocus verkündeten den Lenz, Hyacinthen in allen Farben erfüllten mit ihren süßen Düften die Luft, unzählige Spaziergänger waren auf den Füßen. Unter ihnen bemerkte ich einen Mann, welcher schon mehrmals an uns vorüber gekommen war und uns scharf gemustert hatte. Der Mann war fein und nach der neuesten Mode gekleidet, hatte ein blaßgelbes, intelligentes Gesicht, kleine, funkelnde Augen und etwas Unruhiges in seinem Wesen. Er sah aus, als ob er mit Ungeduld Jemanden erwartete und denselben unter den Spaziergängern suchte.

„Da kommt Dumarsais, er will mir ausweichen,“ sagte Wilhelm, so heißt mein Freund, der Musiker ist, „ich seh’ es, aber ich will ihn dennoch begrüßen;“ und, mich beim Arm nehmend, ging er mit besonders artigem Gruß auf einen jungen Mann zu, welcher mir durch Dreierlei auffiel, durch ein auffallend einnehmendes Aeußere, durch vornehmen Anstand und einen abgetragenen, fast unmodernen Anzug.

Der junge Mann, welchen Wilhelm „Herr von Dumarsais“ anredete, erröthete leicht, gab aber auf die Frage nach seinem Befinden freundlich Antwort und nahm Wilhelm’s Einladung, heute bei ihm zu diniren, nach einigen Weigerungen an.

„Wir müssen doch wieder einmal zusammen vierhändig spielen!“ sagte mein Freund. „Sie werden nicht finden, daß ich Fortschritte gemacht habe,“ entgegnete Herr von Dumarsais.

In diesem Augenblick wurde der Mann mit dem forschenden Blick wieder sichtbar; so schnell wie ein Tiger, der ein Lamm verschlingen will, war der Mann an Dumarsais’ Seite und grüßte ihn höflich. „Mein Herr,“ flüsterte er, „ich wünschte einige Worte mit Ihnen zu sprechen, wenn es gefällig ist.“

Dumarsais sah den Herrn erstaunt an und wurde blaß, „Sie verkennen mich wohl,“ sagte er, „denn ich erinnere mich Ihrer nicht, mein Herr.“

„Erlauben Sie mir nur einige Worte unter vier Augen, ich werde Ihnen Alles erklären.“

„Nun denn, so sei es,“ sagte Dumarsais, rief Wilhelm zu: „auf Wiedersehen um fünf Uhr!“ und wandte sich zu dem Manne mit dem Forscherblick.

Als wir allein waren, erzählte Wilhelm: „Dieser junge, schöne Mann hat schon viel erlebt. Sein Vater war Oberst, ein Anhänger der Orleans. Er ist nach ihrem Sturze noch in Paris geblieben und soll im Geheimen für sie agitirt haben. Am ersten December 1851 hat ihn seine Frau zum letzten Male gesehen. Als Louis, der damals zwölf Jahre alt war, von einem Besuch zurückkam, welchen er bei einem reichen Oheim in der Normandie gemacht hatte, fand er seine Mutter sterbend. Sie konnte den Verlust ihres Gemahls nicht ertragen. Louis, beider Eltern plötzlich beraubt, erkrankte und litt – vielleicht in Folge verfehlter Behandlung – Jahre lang so sehr an den Nerven, daß ihm die Aerzte verboten, sich mit Studien zu beschäftigen. Der Oheim, ein reicher, kinderloser Wittwer, nahm sich väterlich des Knaben an und erklärte ihn zu seinem Erben. Auf des Barons schönem Landsitze erholte sich Louis, aber – er lernte nichts als tanzen, fechten, reiten, schießen, las Romane und war Alles in Allem ein liebenswürdiger Mensch, unfähig, das Geringste zu erwerben, dagegen sehr geschickt, sein Geld auszugeben. Vor fünf Jahren zog sein Oheim nach Paris und lebte nur drei Sommermonate auf

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_142.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)