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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Erscheinung sowohl, wie seinen Geist, seine hervorragende Bildung, die ihn ja auch der Waffe zugeführt hatte, welche das ernsteste wissenschaftliche Streben bedingt, kein Mann, den man übersieht. Auch Frau von Thorbach hatte ihn nicht übersehen, den einzigen Mann, der sich in so stolzer, kühler Entfernung von ihr hielt … mit einer Consequenz, welche sie endlich als eine sie reizende, stachelnde Demüthigung empfand: sie hätte ihn strafen mögen dafür, ihn zu ihren Füßen niedergezwungen sehen mögen, ihn vor allen Andern – was waren ihr im Grunde alle Andern, da dieses stolze Haupt sich nicht vor ihr beugen wollte – alle Andern ermüdeten, langweilten sie, nur der Eine zog ihre Gedanken an und sie ließ, wenn ihr Blick ihm begegnete, diesen Blick mit einem so hochmüthig zornigen Ausdruck auf ihm ruhen, daß der Hauptmann darin nichts Anderes lesen konnte, als den Abglanz jener alten Flamme der Erbfeindschaft, worin die Sprossen der Häuser Stromeck und Mechtelbeck erzogen waren.




4.

Friedrich war unterdessen in sein Quartier geschritten, um sich reisefertig zu machen. Nachdem er seinem Oberfeuerwerker seine Urlaubsreise angemeldet, begab er sich zum Posthofe, um die Fahrpost zu benutzen, welche in den Nachmittagsstunden nach der Gegend seiner heimathlichen Bauernschaft abging. Er hatte eine kleine Stunde von der letzten Station zu marschiren, bevor er das Dorf, welches zunächst sein Ziel war, erreichte; die Gruppe Häuser nämlich, welche um die Kirche, das Pfarrhaus, die Knaben- und die Mädchenschule herum lagen und das eigentliche Dorf bildeten, während die auf einem Umkreise von einer Stunde umher zerstreuten Höfe die Bauernschaft hießen. Es war Dämmerung, als Friedrich an der Knabenschule vorüber in den Schatten der grauen, alten Dorfkirche hineinschritt; das Herz, wenn nicht gerade schwer, doch ernst gestimmt, mit einem Anflug von Rührung an den guten Schulmeister denkend, der ihn erzogen hatte, den er als seinen Vater betrachtete, der auch sein treuer Vater gewesen war, mochten ihm auch boshafte Jungen, mit denen er die Schule besucht, oft genug vorgeworfen haben, er sei ein Findelkind und heiße Schwelle, weil er Jemandem vor die Schwelle gelegt worden. Ihn hatte das immer wenig gekümmert, und wenn er auch zuweilen darüber zu brüten begonnen, hatte er sich doch immer bald gesagt, daß es ihm verzweifelt wenig nützen könne, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, daß er mit seinem alten Pflegevater besser zufrieden sein könne, als hundert Andere mit ihrem rechten, und daß er ihn nicht verlassen möchte, um Alles in der Welt nicht. Aber er hatte ihn endlich doch verlassen müssen, denn mit sechszehn Jahren war er fort, weit fortgeschickt worden, um einen Soldaten aus sich machen zu lassen, und dann hatte der alte Mann endlich ihn verlassen; er war gestorben, plötzlich, ohne daß Friedrich nur ihn wiedergesehen, und jetzt mußte er irgendwo hier unter dem grünen Rasen im Schatten der alten Kirche liegen … Friedrich fühlte ein wenig sein Gewissen bedrückt, daß er nicht ein einziges Mal gekommen, das Grab des Alten wenigstens zu besuchen.

In dieser Stimmung betrat er das stattliche Dorfwirthshaus, in dessen geräumiger Küche ein helles Heerdfeuer loderte und seinen Schein in den blanken Kupferkesseln und Messinggeräthen spiegelte, welche an den geweißten Wänden glänzten.

Er warf seinen Tornister ab, setzte sich in die Ecke hinter dem langen Tisch und bestellte bei der Wirthin, welche, hinter dem Feuer sitzend, Salat ablas, ein Abendessen.

Die kleine, runde Frau ließ es nicht an höflichem Bestreben, mit dem Gaste ein Gespräch anzuknüpfen, fehlen, aber Friedrich war einsilbig. Er hatte sich so gewandt, daß er durch’s Fenster in den dunkelnden Abend hinaussah, und die Gegenstände, die er erkannte, die ihm so vertraut und bekannt waren und die alle merkwürdiger Weise noch so ganz auf dem alten Platze standen und ganz so aussahen, wie sie vor Jahren gethan, versenkten ihn in allerlei Gedanken und Träumereien.

Aus diesen Träumereien wurde er erst erweckt, als der Wirth und eine Magd eintraten und der Wirth sich zu ihm an den Tisch setzte, um seinen Abendtrunk einzunehmen. Dies erinnerte ihn erst daran, daß er ebenfalls durstig sei.

„He, Vater Tillmann,“ sagte er jetzt, seine Cigarrentasche hervorziehend, „bis Eure Mutter Gertrud mit dem Abendessen fertig ist, laßt Ihr auch mir wohl eine Flasche von Eurem Getränk da zukommen. Und ein wenig Feuer gebt mir. Was macht Euer Scheckfohlen, ist’s noch am Leben? Euer bissiger Köter, der Latsch, ist mir noch nicht zwischen die Beine gefahren, ich schließe zu meiner Freude daraus, daß er den Weg alles Hundefleisches gegangen ist.“

Der Wirth sah den Fremden verwundert an und sagte: „Sie sind hierorts gut bekannt, wie’s scheint … Sie sind … ach, doch nicht gar … gewiß, jetzt kenn’ ich Sie schon … Sie sind der Friedrich, der …“

„Der Friedrich in eigener Person, Vater Tillmann, kannst deshalb nur immer, wie ehemals, Du sagen … die reitende Artillerie, mußt Du wissen, ist zwar ein stolzes Corps, aber alte Freunde kennt man darum doch noch.“

„Schau her, der Friedrich, Mutter!“ rief froh Vater Tillmann aus.

„Ei ja, und wie der groß und stark und stattlich geworden ist!“ rief Mutter Gertrud, die Hände zusammenschlagend, dagegen, „ich hätte ihn wahrhaftig nicht wieder erkannt, Du hast solch’ ein Auge für die Leute, Vater, Du vergißt Niemanden.“

„Und wie geht’s denn noch im Dorfe?“ fragte Friedrich.

„Wie sollt’s gehen,“ antwortete Mutter Gertrud, „man schlägt sich so eben durch.“

„Ei was,“ rief Vater Tillmann, „man schlägt sich nicht durch, es geht ganz ordentlich zu und könnt’ viel schlimmer sein.“

„Ja, Peter, Du hast solch’ einen guten Muth, Dich ficht nichts an, aber unsere schwarzbunte Kuh …“

„Laß jetzt den Friedrich mit der schwarzbunten Kuh ungeschoren,“ sagte Vater Tillmann, „er wird ja bald selbst sehen können, wie’s im Dorfe steht, und mehr davon hören, denn jetzt bleibst’ doch eine Weile bei uns, oder wohl ganz … wie hast es überlegt? Bleibst beim Militär oder dankst ab?“

„Abdanken?“ lachte Friedrich. „Und wozu sollt’ ich abdanken? Der Rock aus zweierlei Tuch auf meinem Rücken hält mich nicht blos warm, er nährt mich auch. Wenn ich ihn ablegte, könnte ich nur gleich ein Bauerknecht werden. Hast etwa einen nöthig und zählst auf mich, alter Tillmann? Dann rechnest Du falsch!“

„Nun, ich meine doch,“ versetzte der alte Tillmann, „wenn Du die reiche Bauerntochter bekommst, so könntest Du auch so leben, ohne die Hungerleiderei bei den Soldaten.“

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.
Nr. 25.0 Bilder aus dem Schwarzwald.0 Von Ludwig Steub.
I. Das Höllenthal.

„Ja, ja,“ sagte der fürstliche Rath zu Donaueschingen, als wir den weitern Reiseplan beriethen, „wenn Sie da hinunterkommen über St. Blasien nach Herrischried und Rickenbach – das sind die rechten Hotzennester!“

Am andern Morgen fuhren wir auch wieder von Donaueschingen fort und dachten nicht weiter an die Hotzen; dagegen beschäftigte uns die Anschauung der Landschaft, welche allmählich bedeutender zu werden begann. Einem Touristen, der es gut mit sich selber meint, soll es zwar überall gefallen, aber es kommt ihm doch schwer an, alle Vergleichungen fern zu halten. Bisher hatten wir uns wenig auf’s Bewundern verlegt, da wir noch immer der letzten Wanderungen in anderen Gebirgen eingedenk waren. Auf dem hohen Rechberg und dem Hohenstaufen war zwar, wie uns dünkte, viel Wald und Feld, aber sonst wenig Erhebliches zu sehen, – den hohen Neuffen und den Hohenzollern hatte es verregnet, – die gewöhnliche Landschaft an der Straße her schien nur gewöhnlichen Anforderungen genügend, – die kleinen württembergischen Städtchen mit ihren ungepflasterten Straßen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_148.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)