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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 16.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Im Hause der Bonaparte.

Historische Erzählung von Max Ring.
(Fortsetzung.)
2.

Wenige Tage nach diesen Ereignissen erhielt der Maler Robert von dem Cardinal und Staatssecretär Consalvi die erbetene Erlaubniß, seine Wohnung in den Bädern des Diocletian unter Räubern und Mördern aufzuschlagen. Sein Atelier war ein alter wüster Saal, der noch immer die Spuren früherer Pracht und Größe zeigte. Hier und da erblickte man einen zerbrochenen Säulenstumpf, eine Erinnerung an die Tage des alten Glanzes, wo dieser herrliche Bau, noch nicht von barbarischen Händen zerstört und seines Schmuckes beraubt, zu den schönsten Denkmälern des kaiserlichen Roms gerechnet wurde. Selbst seine Trümmer reichten noch hin, im sechzehnten Jahrhundert eine große Anzahl von neueren Gebäuden, ganze Kirchen zu errichten und mit mehr als zweihundert Säulen zu schmücken.

Der Fußboden war zum Theil aufgerissen und durch schwarze Steinfliesen ersetzt, aber zwischen dieser Zerstörung erblickte man die kostbarsten Mosaiken gleich Purpurflicken auf einem schmutzigen Bettlermantel. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben schien die goldene Sonne Italiens und verklärte mit ihrem Licht die traurigen Ruinen. Wilder Epheu und ein breitblättriger Feigenbaum bekleideten mit frischem Grün gleich einer lebendigen Tapete die verfallenen Mauern.

Der gefällige Sbirre hatte für Geld und gute Worte für die allernothdürftigste Ausstattung gesorgt. Einige rohe Stühle, ein wurmstichiger Tisch, ein baufälliges Bett und die unentbehrliche Staffelei bildeten den ganzen Hausrath des bescheidenen Künstlers.

Meist jedoch verweilte er in dem geräumigen Hofe, wo die Gefangenen unter dem blauen Himmelsdache mit ihren Arbeiten beschäftigt waren. Dort zeichnete er mit unermüdlichem Fleiße, machte er die interessantesten Studien, indem er die wahrhaft malerischen Stellungen seiner Originale und ihre charakteristischen Physiognomieen wiederzugeben suchte.

Auf einem umgestürzten Marmorblock saß der Räuber Francesco mit seinem Weibe, das den schönen Namen Maria-Grazia trug, wogegen ihre jüngere Schwester Teresina hieß. Robert hatte der Frau die Erlaubniß erwirkt, in Rom bei ihrem Mann bleiben zu dürfen, und dadurch ihre Erkenntlichkeit auf das Höchste gesteigert. Beide verehrten ihren Wohlthäter wie einen Gott und jedes seiner Worte dünkte ihnen heilig wie das Evangelium.

Auch die reizende Teresina hatte ihre Scheu überwunden und kauerte jetzt zu seinen Füßen auf dem Boden mit niedergeschlagenem Auge, da er sie zu zeichnen wünschte. Von Zeit zu Zeit warf sie einen ängstlichen, verstohlenen Blick nach dem weißen Blatte, worauf er mit sicherer Hand das kindlich schöne Gesicht des Mädchens entwarf.

„Francesco,“ sagte der Maler, während er den Bleistift spitzte, „Du wolltest mir ja erzählen, wie Du unter die Briganten gerathen bist.“

„Das ist eine traurige Geschichte,“ murmelte der Räuber. „An meinem ganzen Unglück ist einzig und allein die Vendetta schuld.“

„Diese Blutrache, von der ich schon so oft gehört habe, ist eine verwerfliche Sitte, die jeder gute Christ verdammen muß.“

„Das hat auch der fromme Padre gesagt, als ich ihm beichtete. Aber was soll Unsereins thun, wenn er tief beleidigt, wenn ihm ein naher Verwandter getödtet wird? Das vergossene Blut schreit zum Himmel, und wenn wir uns nicht rächen, so werden wir verachtet und wie die räudigen Hunde angesehen.“

„Es giebt dafür Gerichte, die den Schuldigen bestrafen.“

„Gerichte!“ erwiderte der Räuber mit naiver Verwunderung. „Wer wird seine Ehre diesen Richtern anvertrauen, die mit den Gesetzen nur einen Handel treiben? Der Mörder, der meinen Bruder mit einem Messerstich tödtete, war ein reicher Mann. Ich lauerte ihm auf und meine Kugel traf ihn mitten in das Herz,“ berichtete Francesco mit funkelnden Augen und wildem Lächeln, noch in der Erinnerung schwelgend.

„Und so wurdest Du zum Mörder!“ versetzte Robert streng. „Das nennt man bei uns nicht einen Mord,“ entschuldigte Maria-Grazia, „sondern nur ein Unglück. Ich hätte meinem Francesco nie wieder eine Hand gereicht und einen Kuß gegeben, wenn er anders gehandelt hätte.“

„Und was sagst Du, Teresina?“ fragte der Maler das junge Mädchen.

„O!“ erwiderte sie erröthend und leise zusammenschauernd. „Ich bin noch ein Kind und weiß nur, daß die Vendetta etwas Schreckliches ist, weil sie die Menschen elend und unglücklich macht.“

„Das ist wahr,“ bekräftigte der Räuber. „Seitdem fand ich keine Ruhe mehr. Ich mußte in die Berge fliehen, wo ich wie ein wildes Thier von den Sbirren verfolgt und gehetzt wurde. Tagelang irrte ich in den Felsen umher, ohne einen Bissen Brod zu finden, bis mich das Elend, die Noth und vor Allem der Hunger zu den Briganten trieben. Ich ließ mich vom Teufel verführen und von dem verrufenen Gasparone anwerben, mit dem ich zugleich gefangen wurde.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_241.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)