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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

rücksichtsloseste, gewaltthätigste Reaction. Schwere Aufgaben, harte Kämpfe standen der freisinnigen Partei bevor, und für diese war Mathy mit seiner Sachkunde und seiner seltenen Arbeitskraft, mit seiner gediegenen Beredsamkeit und vor Allem mit der ihm eigenen Unerschrockenheit, die keine Furcht kannte, in jeder Beziehung der rechte Mann.

Zunächst war Mathy, wie vor seiner Uebersiedelung nach der Schweiz, in der Presse thätig, als Redacteur des neugegründeten Oppositionsblattes, der „Badischen Zeitung“, die aber bald wieder einschlief, darauf als weiter eines Landtagsblattes und zugleich als Mitarbeiter der „Mannheimer Abendzeitung“. Diese letztere erschien bei seinem Freunde Bassermann, an dessen Verlagsgeschäft er seit 1843 Antheil hatte. Später gab Mathy die „Rundschau“ heraus, ein kleines, aber einflußreiches Blatt.

Mittlerweile war 1842 die Kammer aufgelöst worden, und es war selbstverständlich, daß sich bei den Neuwahlen die Blicke der freigesinnten Partei auf Mathy richteten. Fickler, im Seekreise von großem Einfluß, wirkte dort eifrig für ihn, und die Stadt Constanz schickte Mathy als ihren Vertreter nach Karlsruhe. Die Opposition erhielt durch diese Wahl eine sehr wesentliche Verstärkung. „Hier bringe ich Euch einen, wie Ihr ihn noch nicht gehabt habt,“ sagte Itzstein, als er ihn den Parteifreunden vorstellte. Mathy war nicht nur eine Stimme mehr, die Blittersdorfs’s absolutistischen Gelüsten, dann dessen bureaukratischen Nachfolgern gegenüber nie fehlte, wenn es die Sache der Freiheit zu verfechten galt, sondern die Linke gewann in ihm zugleich einen gründlichen Kenner des Staatshaushalts und der Volkswirthschaft, wie sie ihn bis dahin noch nicht besessen hatte. Als Redner trat Mathy anfangs nicht oft auf. Nur bei solchen wichtigen Fragen, in denen er vollständig zu Hause war, ergriff der schweigsame, verschlossene Mann das Wort, dann aber auch immer so, daß es tief traf und weithin wirkte. Man empfand dann unter den Freunden, wie unter den Gegnern, daß es wohlerwogene Gedanken waren, die er vorzutragen hatte. Seine Rede war in der Regel kühl wie Eisen, aber auch einschneidend wie Eisen, von mächtiger Beweiskraft, voll Witz und Ironie, nicht selten voll bittern Spotts; doch mangelte ihm die Gabe, zartere Saiten anzuschlagen, keineswegs. Mit schonungsloser Entschiedenheit geißelte er das empörende Unwesen der Censur, und mit eindringlichstem Ernst verfocht er die gerechten Ansprüche des deutschen Volkes Angesichts der kläglichen Verkümmerung, welcher in dieser Periode das Leben der Nation verfallen war. Mancherlei Talente saßen damals auf den Bänken der badischen Opposition, keines von ihnen aber, auch der brillante Hecker nicht, war dem alten System, wie dessen Anhänger offen und stillschweigend eingestanden, ein so gefährlicher Feind, wie Mathy mit seiner reichen Bildung, seiner vornehmen, sichern Ruhe und Besonnenheit, seiner unerbittlich strengen Logik. Es war kein leichtes Plänkeln von Schützen vor den Mauern ihrer Burg, wenn er sich erhob, sondern schwerstes Geschütz, mit scharfem Blick gerichtet und mit schmetternder Wucht am Ziele einschlagend.

Die badischen Liberalen waren damals der Reaction gegenüber noch durchaus Eins. Nur in nationalen Fragen zerfielen sie in solche, die einen engern, und solche, die einen weiteren Gesichtskreis hatten. Rotteck z. B. war ein Gegner Preußens und des Zollvereins, andere Mitglieder der Partei theilten diese Feindschaft nicht, und als selbstverständlich haben wir es anzusehen, daß Mathy von jener Engherzigkeit von Anfang an nichts wußte, daß er vielmehr in dem preußischen Staate den natürlichen Führer auf dem Wege der Deutschen zur Einigung erblickte.

Zu freiheitlichem Ansprüchen und Forderungen ging die Partei bis über die Mitte der vierziger Jahre einträchtig vor. Dann aber lösten sich allmählich die Radicalen von denen, die es zwar mit den durch die Verfassung gewährleisteten Rechten ernst meinten und den Absolutismus wie die Bureaukratie in allen Formen ihres Auftretens entschieden bekämpften, aber von der Nothwendigkeit einer festen Ordnung in staatlichen Dingen überzeugt waren. Die radicale Presse griff die Liberalen als „Bourgeois“ an, schied zwischen „Ganzen“ und „Halben“ und zeigte fortwährend deutlicher, daß ihr Ziel möglichst die Aufrichtung einer Republik war. Auf radicaler Seite standen von bekannteren Namen Struve, Brentano, Itzstein, zuletzt auch Hecker, auf liberaler Sander, Soiron, Bassermann und Mathy. Noch einmal versuchte man, und, wie es schien, mit Erfolg, den Riß zu heilen. Ende November 1846 fand in Durlach eine Zusammenkunft von hervorragenden Mitgliedern der Opposition statt, in der alle Schattirungen derselben vertreten waren, und das Ergebniß der Besprechung war ein Abkommen, welches wie eine Versöhnung zwischen den „Ganzen“ und den „Halben“ aussah.

Die Revolution von 1848 zeigte, daß das constitutionelle Wesen durch die Mißregierung der Jahre bis 1846 in Baden stark erschüttert war und daß der Gegensatz der Liberalen und Radicalen eine Verständigung zwischen denselben für die Dauer nicht zuließ. Schon bei den Kammerverhandlungen von 1847 und vorzüglich bei der Debatte über die sogenannte Fabrikfrage hatte man gesehen, daß der Bruch zwischen den „Entschiedenen“ und den Gemäßigten unheilbar war. Es handelte sich hier nicht um ein politisches Interesse, sondern lediglich darum, ob der Staat den betreffenden industriellen Unternehmungen durch seine Bürgschaft zu Hülfe kommen sollte. Die Erörterung dieser Frage bot ein anziehendes Bild des Streites, in welchen die bedeutendsten Talente der Kammer miteinander gerathen waren. Am heftigsten trat gegen die Forderung einer Staatsunterstützung für die Fabriken Hecker auf, am ruhigsten und fachgemäßesten kämpfte Mathy für dieselbe.

Als die Kunde von den Februarereignissen nach Baden gelangte, trat der Liberalismus noch einmal eng verbunden mit der radicalen Partei in die Schranken. Am 27. Februar fand in Mannheim eine zahlreich besuchte Bürgerversammlung statt, in welcher Mathy, Bassermann und Soiron sich noch mit Itzstein und Struve auf Einem Boden sahen. In den Forderungen, die man jetzt an die Regierung richten wollte, war man gleicher Meinung, nur über die stärkere oder mildere Weise des Auftretens war man verschiedener Ansicht. Zuletzt vereinigten sich Alle zu der von Struve entworfenen Adresse an die Volksvertretung, welche zunächst Volksbewaffnung, unbedingte Preßfreiheit, Schwurgerichte und sofortige Errichtung eines deutschen Parlamentes verlangte und welche nicht blos in Baden massenhafte Unterstützung fand, sondern der Anstoß zu ähnlichen Kundgebungen in ganz Deutschland wurde.

Aber bald darauf, am 1. März, öffnete die Kluft sich wieder, die zwischen den Gemäßigten und den Männern der äußersten Linken sich gebildet. Hecker und Brentano brachten im Namen von acht Abgeordneten im Landtage jene und andere Forderungen zur Sprache und verlangten unverzügliche Berathung und Bewilligung derselben.

Sie stellten dies Verlangen in ungestümer Weise und wurden dabei von den Galerien durch lärmende Zurufe unterstützt. Die Mehrheit der Versammlung war mit den tiefgreifenden Veränderungen und Neuschöpfungen, die man verlangte, zwar im Wesentlichen einverstanden, aber nicht geneigt, sie ohne Prüfung durch einen Ausschuß gut zu heißen. Mathy vorzüglich erklärte mit gewohnter Kaltblütigkeit und Schärfe, er werde eher auf seinem Posten sterben, als sich durch Einschüchterung von seiner Ueberzeugung abbringen lassen. Der vorgeschlagene Weg laufe auf Ueberrumpelung hinaus, und dazu lasse er sich nicht gebrauchen. Vergebens brauste Hecker in seiner hastigen, feurigen Weise dagegen, umsonst ließ Brentano die Verdächtigung fallen, Mathy wolle die Forderungen „todtschlagen“. Die Majorität der Kammer stimmte wie Mathy und ließ sich durch das Drängen und Drohen der Massen nicht schrecken.

Noch einmal nahm Mathy an einer gemeinsamen Besprechung der beiden Fractionen der freisinnigen Partei Theil. Es war die, welche auf Itzstein’s Zimmer den Plan zu der großen Volksversammlung berieth, die am 19. März zu Offenburg stattfand. Dieser Plan, der auf Bearbeitung der Masse, Gründung von Clubs und Wohlfahrtsausschüssen und überhaupt auf Bahnung des Weges zu einem Umsturz des bisherigen Regiments hinauslief, hatte Struve zum Urheber. Hecker ging bereitwillig darauf ein, Mathy erklärte sich entschieden dagegen, und es war das letzte Mal gewesen, daß er mit den Radicalen in nähere Berührung gekommen war. Er sah sie unpraktische Wege einschlagen, und er war ein praktischer Geist vom Wirbel bis zur Zehe; er sah sie auf das Ausland ihre Hoffnung setzen, und er war ein guter, deutscher Patriot.

In ganz Deutschland hatten die Sturmpetitionen des März ihren Zweck erreicht. Die alte Politik der Höfe gab in der elften Stunde nach, das Volk „blieb vor den Thronen stehen“, der Strom der Aufregung trat in das friedliche Bett der Reform. Es war jedenfalls nicht mehr zeitgemäß, wenn man in dem kleinen Baden jetzt noch an Errichtung einer Republik dachte. Die erste Aufgabe des wahren Patrioten war nunmehr, mit den neuen Errungenschaften eine neue Ordnung der Dinge fest

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_263.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)