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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

die Esse hinein. Ein Wink, und das Fegefeuer hub an. Mit wildem Brausen stürmte der heiße Luftstrom (mit einer Pressung von achtzehn bis fünfundzwanzig Pfund pro Quadratzoll) in die Eisenmasse und brach sich Bahn durch die siebentausend kochenden Pfunde der Masse und trieb sie zum Brodeln auf, in langer Flamme des Kohlenstoffs Eisentropfen wie einen Regen von Feuerfunken in hohen Bogen hinaushetzend und wild hauchend und pfauchend, pochend und donnernd, wie ein Junges des Aetna in den üppigsten Flegeljahren.

Der Anblick war großartig schön und doppelt entzückend durch das Gewaltige seiner Erscheinung gegenüber der Ruhe und Sicherheit der Männer, welche der furchtbaren Kraft der gehetzten Elemente so kalt und still, so winkbereit und jedes Augenblickes Herr mit der Macht der vom Menschengeist ersonnenen Fesseln geboten.

Die Flamme, anfangs noch röthlich, läuterte sich zu immer stechenderem Weiß. Sie zwang uns, das Auge durch blaue Gläser zu schützen. Auch der Rauch, den sie erzeugte, verdiente seine besondere Beachtung. Wir eilten vor die Hütte, ihn aus der Esse aufsteigen zu sehen. Das war kein dunkles Qualmen, sondern ein durcheinanderspielendes Farbengemisch von hellem Grau mit rothen, gelben und violetten Streifen und Wölkchen durchzogen.

Ein Brausen und dumpfes Stoßen, mächtiger als vorher, zog uns in die Halle zurück. Es war das Anzeichen vom Ende des Processes. Der furchtbare Windstrom warf von der bereits geläuterten Masse ganze Sprühregen in blüthenweißen Funken, Tropfen und Güssen empor, und dazwischen zischte der heiße Luftstrom pfeifend aus jeder Ritze, die er sich auf seinem Sturmlauf irgendwo gebrochen halte.

Da, mit einem Wink, schweigt der Sturm, eine drehende Hand hat den Luftstrom abgesperrt, und der Converter neigt sich, er legt sich gehorsam auf den Bauch, um seinen kochenden Inhalt prüfen zu lassen. Mit langen Eisenstangen fährt man in den geduldig ausgesperrten Rachen, und die an ihnen hängenbleibenden Tropfen der sprudelnden Massen genügen, um die Reife des Ganzen zu erkunden.

Die prüfenden Männer hocken um eine Eisenplatte und hämmern auf den gewonnenen Stahlstückchen. Nur wenn der Rand der glattgehämmerten Plättchen vollkommen rißfrei ist, sind sie zufrieden, wenn nicht, so muß der Converter noch einmal sich erheben und den glühenden Luftstrom aufnehmen; aber mit der Minutenuhr stehen dann die Ingenieure auf dem Posten, denn jedes Zuviel wirkt hier ebenso bedeutend auf die Masse, wie das Zuwenig.

Hat der nun fertige Stahl die Prüfung bestanden, so beginnt die Arbeit der Entleerung in die Pfanne und der Füllung der Coquillen. Der Converter legt sich, nach überstandenem Fegefeuer, wieder auf den Bauch, und zwar tief genug, um seinen Inhalt aus demselben Rachen als Stahl ausfließen zu lassen, in welchen er ihn als graues Roheisen zu sich genommen hat. Der Stahlborn fließt in die früher in die nöthige „angenehme Temperatur“ gebrachte Pfanne, welche am Boden eine Oeffnung hat, die durch einen bis nach oben reichenden und beliebig zu öffnenden Thonstöpsel geschlossen wird. Die ganze Last dieser Pfanne und ihres Inhalts steht auf einem hydraulischen Krahn, der auf den Wink gehoben, gesenkt und gedreht wird. Wie spielend mit der Last und ihrem Inhalt dreht der Krahn das inhaltreiche Gefäß von Coquille zu Coquille, je eine überspringend, um, der Arbeiter und der Gefahr wegen, nicht zuviel Gluth neben Gluth zu setzen, der Stempel öffnet sich, wie strömendes Wasser sprudelnd und perlend ergießt der flüssige Stahl sich in die Abkühlungsgefäße und das Werk ist vollbracht, aus Eisen ist Stahl geworden vor unseren Augen, die sich noch lange freuen, ein solches Wunder mit angesehen zu haben.

Auf diese Weise werden abwechselnd in zwei Apparaten hier jährlich etwa zehn Millionen Pfund Stahl erzeugt. Beschäftigt sind in der Hütte zwischen siebenzig und achtzig Arbeiter. Daß zu all’ diesen Arbeiten große Vorrichtungen nothwendig sind, um sie mit Leichtigkeit auszuführen, liegt auf der Hand. Der Fachmann kennt sie, dem Laien aber hilft die Aufführung einer langen Reihe von Apparaten, deren Beschreibung uns hier doch unmöglich ist, zu nichts, und deshalb unterlassen wir sie.

Um das fernere Schicksal des Bessemermetalls kennen zu lernen, begeben wir uns nun in das Grobeisen-Walzwerk. Es gehören dazu eine Walzhütte, eine Puddlings- und Schweißhütte, eine Schienenappretur, Zünderwäsche und verschiedene andere Räume. Die Walzenstrecke arbeitet mit einer hundertundzwanzigpferdigen, der Schienentrain mit einer hundertpferdigen Dampfmaschine; im Ganzen hat das Walzwerk, mit einer Mannschaft von fünfhundertundfünfzig Mann, fünfzehn Dampfkessel im Betrieb, welche durch die abgehende Flamme der zwanzig Puddel- und ebenso viel Schweißöfen geheizt werden, drei Dampfhammer von je siebentausend Pfund und einen vierten von dreitausend Pfund Gewicht und verwendet zu einer jährlichen Production von fünfunddreißig Millionen Pfund Schienen, Handels- und Façoneisen über vierzig Millionen Pfund Roheisen und alte Schienen und dazu über hunderttausend Karren Kohlen.

Unser letzter Gang führte uns zu dem getrennt von dem Grobeisenwalzwerk stehenden Feineisenwalzwerk, in welchem jährlich vier Millionen Pfund kleineres Handelseisen, als Niet-, Quadrat-, Flach-, Band- und Winkeleisen, Grubenschienen etc. gewalzt werden, und schließlich zu der erst vor drei Jahren neu gebauten Maschinenbau-Werkstatt, welche bei einer Mannschaft von hundertundfünfzehn Mann, ausgerüstet mit allen möglichen Werkzeugsmaschinen neuester Construction, ebenfalls im Stande ist, allen Aufträgen zu genügen.

Wir sind am Ende. Wir würden aber eine erst neulich von M. M. von Weber in der Gartenlaube[1] ausgesprochene Rüge selbst verdienen, wollten wir nicht auch hier nach dem Mann und Meister uns umsehen, dem der Haupttheil der technischen Ehre dieser großen Leistungen gebührt. Herr Alexander Rühle von Lilienstern, aus Bedheim bei Hildburghausen, ein Zögling der Freiberger Akademie, ist der technische Director dieses Hüttenwerkes, dem er fast seit der Begründung angehört. Nach einem Urtheil der „Deutschen Industriezeitung“ (1867, Nr. 8) verdankt die Königin-Marienhütte es hauptsächlich seinen Kenntnissen, seiner rastlosen Thätigkeit und Energie, daß sie dermalen als das bedeutendste und lebensfähigste Eisenhüttenwerk im Königreich Sachsen dasteht. „Er war,“ sagt sie, „der Erste in Sachsen, welcher Roheisen mit Anwendung von Coak darstellte, die Gichtgase zu metallurgischen Zwecken mit Vortheil verwendete und in neuester Zeit der Bessemerstahlfabrikation Eingang verschaffte. Endlich richtete er auf der Königin-Marienhütte auch die Schienenfabrikation ein, von deren Ausdehnung und gutem Resultat das Gesammtnetz der sächsischen Eisenbahnen seit vielen Jahren glänzendes Zeugniß ablegt.“

Zum Schluß überzeugte uns ein Stündchen geselligen Zusammenlebens mit Director und Beamten der Hütte, wie trefflich ein Mann, der nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz auf dem rechten Fleck hat, die ernste Pflicht als Lebensfreude zuhöchst zu stellen, aber auch die Freude als eine Lebenspflicht für sich und seine Untergebenen zu ehren und mit jener in würdigste Verbindung zu bringen vermag.

Fr. Hfm.




Blätter und Blüthen.

Noch einmal Karl Schurz. Die „Gartenlaube“ brachte neulich einen längeren Artikel über den braven Deutschen Karl Schurz. Gestatten Sie, daß ich aus seinem reichen Leben Ihren Lesern noch einen Zug erwähle, der von der kühnen Unerschrockenheit und Geistesgegenwart des Mannes das glänzendste Zeugnis, ablegt.

Es war zur Zeit der wilden Wahlbewegung, die über die letzte Besetzung des Präsidentenstuhls der Vereinigten Staaten entscheiden sollte. Die erste Amtsperiode Lincoln’s lief zu Ende. Mit jenem unerschütterlichen Humor, der den großen Märtyrer der amerikanischen Staatsidee keinen Augenblick verließ, hat er damals die Lage seines Vaterlandes, die Bedeutung des wogenden Wahlkampfes selbst gezeichnet. Als ihn ein Senator fragte, ob er sich denn die Kraft zutraue, den Staat in so schwerer Zeit zu lenken, erwiderte er: „Ob mir Gott diese Kraft verliehen hat, weiß ich nicht; ich habe aber einmal von einem deutschen Bauer gehört, daß, wenn man durch einen reißenden Strom reitet, es bedenklich sei, in der Mitte des Stromes das Pferd zu wechseln.“ In der That bedeutete schon der bloße Wechsel in der Person des Präsidenten in diesem Augenblick den muthwilligen Selbstmord der Union. Denn bis der neue Präsident sich in sein Amt eingelebt hatte, konnten die verzweifelten Offensivstöße des Südens den Staat Washington’s zertrümmern. Und die Wahl des Gegencandidaten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_287.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)