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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mit sanfter Stimme, „wie sehr ich Dich liebe. Als ich heute unter den Hallen des Pantheon kniete, betete ich, daß es meinen Kindern wohlergehen und ich vor ihnen sterben möge. Vergiß nicht, daß das Herz einer Mutter vor jeder Gefahr zittert, die ihren Kindern droht. Deshalb bitte, beschwöre ich Dich, Dein Leben zu schonen und Dich nicht an einem Unternehmen zu betheiligen, das Dir und uns Allen nur zum Verderben gereichen muß. Nach meiner Ansicht hast Du die weit schönere Aufgabe, die Gemüther durch alle Dir zu Gebote stehenden Mittel zu beruhigen.

Der Mann, der sich von dem ersten Besten überreden und leiten läßt, ohne seine eigene Vernunft zu befragen und zu prüfen, wird zeitlebens unbedeutend bleiben. Du trägst einen großen Namen, aber Du darfst ihn nur dazu gebrauchen, in Zeiten einer Revolution die Ordnung wiederherzustellen und die Schwachen zu beschützen. Die einzige Rolle, welcher Deiner würdig ist, besteht darin, mit Geduld und Ergebenheit das Dir von der Vorsehung bestimmte Loos zu erwarten.“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen

Eine Champagnerwette, veranlaßt durch Beethoven’s A-dur-Symphonie. Es war im Jahre 1847, als Ferdinand Hiller in Dresden eine Serie Beethoven’scher Symphonien zur Ausführung brachte. Darunter befand sich auch die A-dur-Symphonie. Zwei Herren, der Fürst L. und Freiherr von F., welche der Ausführung der letztem Tondichtung beigewohnt hatten, geriethen an der Table d’hote des Hotel de France in ein Gespräch über die Frage: Welchen Situationen und Gemüthsstimmungen der berühmte Tondichter in dieser A-dur-Symphonie wohl habe Ausdruck geben wollen? Während der Fürst L. nichts darin zu erkennen vermochte, als den Jubel einer Bauernhochzeit, widersprach dem der Freiherr, indem er behauptete, daß Beethoven doch wohl von höhern Ideen dabei geleitet worden sei. Man stritt hin und wieder und gelangte endlich zu einer Champagnerwette. Jetzt war die neue Frage: Wer soll diese Wette entscheiden? Ein Herr von S., der gegenüber saß und mit Interesse der musikalischen Unterhaltung gefolgt war, frug, ob man wohl den Berliner Professor der Musik, Herrn Bernhard Marx, der als geschätzter musikalischer Kritiker hinreichend bekannt, als kompetenten Entscheider der Wette anerkennen wolle? Beide Contrahenten waren damit einverstanden. Sofort wandte sich Herr von S. durch Vermittlung eines Eleven des Professor Marx an letztern, welcher denn auch die Gefälligkeit hatte, nachstehende Charakteristik, die wir der Güte eines musikalischen Raritätensammlers verdanken und die bis jetzt noch keine Veröffentlichung gefunden hat, an die zwei wettenden Herren einzusenden:

„Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob wohl Beethoven’s siebente Symphonie (die aus A-dur) eine bestimmter zu fassende Idee ausspreche? Die Kunstfreunde, unter denen diese Erörterungen stattgefunden, sind darüber zu einer Wette geschritten und haben meine Ansicht zu vernehmen gewünscht.

Vor Allem scheint mir eine Champagnerwette so ansprechend, daß sie durchaus getrunken werden muß – so gewiß, wie die A-dur-Symphonie gehört. Wer aber die Wette zahlen soll, ist eine etwas schwerere Frage.

Folgendes steht bekanntlich fest:

Beethoven hat öfters mit seinen Compositionen bestimmtere Vorstellungen, eine mehr oder weniger bestimmt zu fassende Idee zu verwirklichen gehabt. In seiner Pastoralsymphonie, in seiner Sonate les adieux etc. hat er solche Vorstellungen mit voller Bestimmtheit ausgesprochen. In anderen Werken hat er sie blos angedeutet, z. B. in seiner Marcia sulla morte d’un eroe (Sonate aus As) und in der heroischen Symphonie, zu der ihn bekanntlich das Heldenbild Napoleon’s begeistert. Wieder in anderen Werken fehlt jede Andeutung, und doch spricht aus ihnen eine bestimmte Idee oder Gefühls- und Stimmungsfolge, ein Seelenerlebniß uns zu, z. B. aus der C-moll-Symphonie, die man aus Nacht und Bedrängniß zu leichtem Triumph empor sich schwingen sieht. Bisweilen kommen auch äußere Notizen zu Hülfe, z. B. die Cis-moll-Sonate ist in einer Zeit entstanden, wo Beethoven sein Herz von einem edlen Gegenstände der Zuneigung (Gr. E…) losreißen mußte.

Nun zur A-dur-Symphonie.

Hier fehlt jede Andeutung mit Worten und jede äußerliche Notiz. Ob also dieses Werk nur ein geistreiches Spiel mit Tönen und unbestimmten Empfindungen ist, oder das Geheimniß einer bestimmten Idee in sich trägt, kann nur aus der musikalischen Auffassung entschieden werden. Die Musik aber ist jedenfalls unfähig, ihren Inhalt so klar und unwidersprechlich auszutönen wie die Sprache. Sie rührt diese, jene Saite unseres Gefühls an, leitet uns durch eine Reihe von Stimmungen, weiß vielleicht auch einzelne Andeutungen zu geben – und so wird sie uns zu einem süßverlockenden Räthsel der Seele. Wir sinnen darüber, wie über den im Flug aufgehaschten Blick oder die Träume der Geliebten, und so auch verstehen wir sie und lösen das Räthsel.

Ja, es läßt sich sogar dem, der willig ist zu vernehmen und mit uns glücklich zu sein, gar Vieles andeuten, - beweisen sogar. Aber freilich darf man nicht Beweise fordern, wie vor Gericht oder in der Kriegsschule. Wer hätte nicht schon in glückseliger Stunde köstliche Wahrheiten in schönen Augen gelesen, Wahrheiten, die ihm und jedem Mitfühlenden Ueberzeugung und Zuversicht für das Leben werden konnten? Aber beweisen mit a+b, – beweisen dem, der nicht Gleiches erlebt hat und Willigkeit und Sympathie mitbringt – beweisen mit solcher prosaischer Gewißheit ist nicht wohl möglich.

Wenn daher die gewetteten Champagnerflaschen vor Gericht gestellt und mit der A-dur-Symphonie confrontirt werden sollten, möchten die Richter eher alle nacheinander austrinken als zu einem unumstößlichen Spruch kommen.

Soll aber ein friedlicher und aufrichtiger Spruch gelten, so sage ich: Ja! Es ist in diesem Tongedicht nicht ein bloßes Tongespiel, sondern eine Reihe von Gestaltungen, wie sie dem Dichter im holden Wahnsinn durch die Seele schweben – er weiß selber nicht recht, woher und wie? Dies ist so gewiß, wie im Auge des Liebenden die Seele spricht; man vernimmt das Wort, ohne es urkundlich beweisen zu können.

Aber was spricht denn nun oder, läßt sich ahnen in diesem Tonzauber?


Fallen wir dabei nicht in Willkürlichkeiten, und vor Allem bleibe uns jene Plumpheit fern, die in diesen edel begeisterten Weisen Bauernlustigkeit vernimmt. Wie unter der Linde flink getanzt oder in der dunstigen Schenke die pralle Magd vom Großknecht umhergeschwungen wird im stampfenden Gedränge des Haufens, hat Beethoven in der Pastorale erzählt.

Hier sind es edle, ritterlich kühne, kampfbegeisterte Weisen, ein phantastischer Schwung ohne Rast und Ziel, stahlblitzend und doch gaukelnd leicht. Nur die Mauren im bunten Geflatter der Turbane haben so ihre andalusischen Hengste getummelt und mit vergoldeten Lanzen die schweren Eisenmänner umkämpft und umdrängt; ein sonnenhelles, sonnenheißes Leben voller Kämpfe, Liebe und Abenteuer … Dann mögen sie wohl ein Fürstenkind erbeutet haben; die Bläser rufen ihr „Hört!“ und eine Romanze erzählt viel, Klage und Trost wechseln. – Lösung, Auslösung müssen wir in die zweite Pause denken, Friede – auf wie lange? – ist wohl geschlossen. Nun brechen die Schaaren in brausender Lust heimwärts aus; von den Hügeln drüben schallen die leichten Trompeten und Hörner nochmals grüßend herüber. Und neu lebt sich’s weiter in ununterbrochener heißer, stürmender Festeslust, wo die glühenden Blicke der Krieger über bekränzte Becher hinweg nach den Schenkinnen und dem Umschlingen des bedeutungsvollen Tanzreigens hinüberblitzen.

A. B. Marx.“





Die bedeutendste Kunstschöpfung der Gegenwart ist ohne Frage das große Schlußbild zum Cyklus der Fresken Kaulbach’s im Treppenhause des neuen Museums in Berlin, welches das Zeitalter der Reformation zum großartigen Gegenstand hat. Klarer, übersichtlicher, vollendeter konnte der wunderbare Geistesfrühling der europäischen Völker jener Tage nicht zur Erscheinung gebracht werden. Das gewaltige Regen verschiedenartigster Kräfte, das in allen Landen dem damaligen Emporheben der Menschheit auf eine höhere Stufe des Lebenswerths und der Strebensziele vorausging und es begleitete, wußte Kaulbach’s Griffel in die Hallen eines Domes zu bannen, und in diesem Dom stehen, wie auf einer Weltbühne in große Culturgeschichtsgruppen geordnet, die hervorragendsten Vertreter ihrer Zeit und ihres Volkes in Kirche und Staat, Wissenschaft und Kunst, Leben und Streben. Und zwar ist’s ein deutscher Dom, in welchen Kaulbach diese Versammlung von wahrhaften Großen der Erde berufen hat, wie Deutschland damals der Mittelpunkt der welt- und staatsverbessernden Umwälzung Europas war; und von all’ diesen Großen, welche als Theologen, Reformatoren, Humanisten, Künstler, Erfinder, Entdecker auf Erden und am Himmel, Astronomen und Naturforscher, Staats- und Volksmänner hier ihre Stelle einnehmen, zeigt Jeder, bei getreuester Portraitähnlichkeit, die wahrste Charakteräußerung, Jeder steht hier als Der, wie ihn die Welt kennt, wie er uns ein älter Bekannter ist, und daher nimmt bei Beschauen dieses Bildes die Freude der Begrüßung alter Bekannter, unsere Verehrung und Bewunderung von Kindesbeinen an kein Ende.

Ein solches Bild durfte nicht alleiniges Eigenthum eines Kunsthauses bleiben; vor Tausenden verdiente es die Vervielfältigung durch den Grabstichel, und diese ist ihm nun in meisterhaftester Weise zu Theil geworden. Professor Eduard Eichens hat nach jahrelanger angestrengter Thätigkeit einen Stich vollendet, welcher in der That das Original in wunderbarer Treue und edelster Schönheit wiedergiebt und es ermöglicht, daß nun die ganze Nation dieses Spiegelbild ihrer hoffnungsreichsten Zeit betrachten und Vergleiche austeilen kann über Das, was sie verheißen und was davon zur Erfüllung gekommen. Jeder öffentliche, ob wissenschaftlichen, Kunst- oder geselligen Zwecken geöffnete Saal sollte sich mit diesem Bilde schmücken, ja in jeder höheren Lehranstalt sollte es vor den jungen Augen hängen: so reich an Lehre und Erhebung für Geist und Herz ist dieses kerndeutsche Werk! Das Verdienst, diese große Grabstichelarbeit in’s Leben gerufen zu haben, hat sich die Hofbuchhandlung von Alex. Duncker in Berlin erworben, welcher dafür der anerkennendste Dank gebührt. Das schöne große Blatt kostet nur zwei Friedrichsd’or.





Die blonde Goßmann. (Mit Abbildung, s. S. 301.) Wohl selten hat das deutsche Theaterpublicum eine Bühnenerscheinung mehr beschäftigt, in größere Aufregung versetzt, als jener anmuthige Kobold voll Schelmerei und Laune, jener liebenswürdige, naiv-neckische, unwiderstehlich-ungezogene Bühnenbackfisch, welchen die Kunstwelt als Hedwig Raabe kennt. In allen Städten, wo die viel wandernde Petersburger Hofschauspielerin aufgetreten ist und die Netze ihrer blonden Haare und blauen Augen ausgeworfen hat, so erst neuerdings wieder in Pest, sind ihr von Presse und Publicum so reiche Ovationen, eine solche Fülle von Lorbeer und anderen Kränzen gespendet worden, daß es überflüssig wäre, wollte die Gartenlaube ihren Lesern und Leserinnen noch Weiteres erzählen von diesem verzogenen Liebling Thalia’s; nur das sei noch zu erwähnen verstattet, daß das kindliche Element, welches Hedwig Raabe vor den Lampen so verführerisch zur Darstellung zu bringen weiß, im Leben der Künstlerin nächstens wohl ein Ende nehmen wird, da, wie man hört, der Backfisch sich noch im Laufe dieses Jahres in das Joch der Ehe zu spannen gedenkt.




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