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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zur Antwort. „Da ist gar nichts abzugeben für eine Mannsperson in Ihren Jahren, denn so ein Krammetsvogel ist ja kein Vogel Strauß. Oder riecht’s Ihnen etwa nicht lecker genug?“

„O nein,“ erwiderte er, „das Essen ist gut, nur der Esser taugt nicht viel. Und es ist auch ein leidig Ding, allein zu tafeln.“

„Muß freilich besser schmecken, wenn die Frau Gemahlin mit am Tisch sitzt.“

„Was, Gemahlin!“ brummte er. „Ich bin ein lediger Mensch und denk’ es mein Lebtag zu bleiben. Aber komm’, Traud, ich erstick’ an dem Bissen da, wenn Du mir nicht hilfst, denn wenn ich allein bin, muß ich noch meine Gedanken mit hinunterwürgen, und die sind nicht sehr verdaulich.“

„Nun, so schneiden Sie mir meinetwegen einen, Flügel ab. Ich hab’s doch einmal schon verrathen, daß es mein Leibessen ist.“

Hurtig schnitt er den einen Vogel mitten durch und bot ihr den Teller an. Sie sah sich verstohlen nach dem andern Zimmer um, ob Niemand zuschaue, ehe sie die eine Hälfte säuberlich am Knöchlein ergriff und mit einem „Schönen Dank!“ vom Teller nahm. „Der Pathe würde zanken,“ sagte sie, „wenn er mich hier zugreifen sähe, und es ist doch nichts Unrechts dabei, außer daß ich mit den Fingern esse; aber was soll ich machen? Ich kann doch nicht zwei Bestecke für Einen Gast holen!“

Nun fing sie an, vor ihm stehend, mit ihren scharfen Zähnchen den Vogel zu bearbeiten, daß es eine Lust war, ihr zuzusehen. Besonders gefiel ihm, wie die Flügel des schlanken Stumpfnäschens leise zitterten, während sie schmauste, und wirklich, das „Knarpsen“, von dem sie gesprochen hatte, klang allerliebst. Sie kam ihm mit jeder Minute hübscher vor. Unwillkürlich verglich er ihr heiteres, zutrauliches Wesen, das ihn warm anmuthete, mit dem frostigen Hauch, der eben gegenüber der Schweizerlandschaft und der eisgepanzerten Jungfrau über all’ seine Hoffnungsblüthen hingefahren war.

„Nun mußt Du auch trinken,“ sagte er, als sie nach einigem Zureden auch mit dein andern halben Vogel fertig geworden war und sich Lippen und Finger sorgfältig an einer Serviette abgeputzt hatte. „Koste einmal diesen Wein; der ist auf meinem Grund und Boden gewachsen.“

„Was nicht gar!“ rief sie. „Das ist ja unsere beste Sorte. Sind Sie denn ein Weinbergsbesitzer?“

„Freilich, Traud. Und erst den heurigen solltest Du kosten! Der hat noch ganz ein anderes Feuer. Aber Du nippst ja kaum?“

„Ich danke schön, ich darf nicht mehr, es geht nur gleich in’s Blut. Aber was ich sagen wollte: sind Sie denn nicht mehr Kaufmann?“

Er sah ihr erstaunt in die Augen. „Woher weißt Du denn in aller Welt, das; ich’s überhaupt war? Kennst Du mich denn? So viel ich weiß, sehen wir uns heut’ zum ersten Mal.“

„Das will ich wohl glauben, daß Sie mich vergessen haben,“ erwiderte das Mädchen und lachte geheimnißvoll in sich hinein. „Ich sah mir auch noch gar nicht ähnlich damals, während Sie - Sie haben sich nicht besonders verändert, nur daß Sie etwas breiter und voller geworden sind. Wissen Sie aber gar nicht mehr, daß Sie vor drei Jahren hier einen Frühschoppen getrunken haben mit noch ein paar jungen Herren, und Sie sprachen von nichts, als von Buchhaltung und Wechselrechnung und so Sachen, und ich war eben aus der Schul’ heimgekommen und hatte einen Preis gekriegt, mein letzter, denn hernach mußt’ ich gleich der Frau Path’ in der Wirthschaft helfen, und was ich noch nicht gelernt hatt’, sollt’ ich auch nimmer lernen. Nun weiß ich nicht, wie es kam, daß Sie mich bemerkten und ausfragten, und ich, ein dummdreist Dingelchen wie ich war, mußt’ auch Alles herausplappern, auch von dem Schulpreis, und das Buch herzeigen. Darauf haben Sie in die Tasche gegriffen und zwei große Apfelsinen herausgeholt und sie mir geschenkt und ganz ernsthaft eine Rede dazu gehalten, und die Andern haben sehr gelacht. Ich war aber plötzlich so verschämt, das; ich mich mit Gewalt losgemacht hab’ und hinausgelaufen bin, und draußen die Küchenmägd’ haben mich erst recht ausgelacht. Nun, wenn Sie es auch vergessen haben, ein Mädchen vergißt’s nicht so leicht, wenn es sich einmal geschämt hat, und darum hab’ ich Sie gleich wieder erkannt, als ich Sie vorhin hier sitzen sah.“

Ihm war die Geschichte gänzlich entfallen.

„Schau,“ sagte er, „so bin ich ja bei alten Bekannten, ohne es zu wissen. Aber was so ein kleiner Kopf Alles behält, und ich dachte, er beherberge so wenig einen Gedanken lange Zeit, wie der Mäusethurm einen Gast.“

„Ja wohl,“ versetzte sie rasch, „es giebt aber auch Stammgäste, die immer wieder einkehren.“

„Und so einer wäre ich gewesen?“

Sie bedachte plötzlich, was für ein verfänglicher Sinn aus ihren Worten herauszuhören sei, und wurde dunkelroth. Um sich’s nicht merken zu lassen, bückte sie sich ein wenig, als bemerke sie jetzt erst den schönen Ring an seinem Finger.

„Tausend,“ sagte sie, „das ist einmal ein Staatsring! So einen hab’ ich meiner Lebtag nicht gesehen.“

„Möchtst Du ihn haben, Traud?“

„Ich? Ja das wär’ auch ein Ring für mich, damit in’s Spülfaß zu greifen oder den Besen anzufassen. Nein, so einer – und sie zeigte ein kindisches dünnes Reifchen mit drei kleinen Granatsplittern, das sie an der Linken trug der ist für ein Bauernkind. Der Ihrige gehört für ein vornehmes Fräulein, das am Wochentag in Seide geht.“

Corneliens seidnes Kleid fiel ihm ein und die ganze bange Stunde, in der er es hatte knistern und rauschen hören, während er in wechselnden Gefühlen den Ring hin und her gedreht hatte.

Er schien ihm plötzlich am Finger zu brennen. Hastig zog er ihn ab und hielt ihn dem Mädchen hin. „Nimm Du ihn,“ sagte er, „mir hat er kein Glück gebracht. Ich mag ihn nimmer.“

Sie lachte hell auf. „Sie wollen mich zum Besten haben,“ sagte sie. „Aber ich bin kein so dummes Schulkind mehr, und ein Ring ist keine Apfelsine.“

„Du behältst ihn nun einmal,“ rief er, sich ereifernd, und faßte ihre beiden Hände. „Ich möchte doch wissen, wer mich hindern wollte, Dir so viel Ringe zu schenken, wie ich will, und so viel seidne Kleider, als mir einfiele, und wenn sich alle vornehmen Mädchen in der Stadt darüber ärgerten, desto besser!

Halt’ Dein Fingerchen her, daß ich ihn Dir anprobire! Willst Du wohl stillhalten?“

„Lassen Sie mich gehen,“ flüsterte sie und versuchte lebhaft ihre Hände aus den seinen loszumachen. „Ich will ihn nicht, ich darf ihn nicht nehmen. Was würden die Leut’ denken?“

„Was sie wollen; daß ich Dich gern hab’, daß Du mir lieber bist, als manches hochmüthige Fräulein, und ich wollt’, es sähe eine Gewisse zu, wie ich Dir jetzt diesen Ring anstecke, und dächte sich dabei noch viel mehr, als wir Beide, und wenn es sie nachträglich doch verdrösse, um so besser! Komm’, sei vernünftig. Da an den Goldfinger!“

„Ich will nicht!“

„Du mußt!“

„Meine ganz gehorsamste Gratulation, Jungfer Traud!“ erscholl plötzlich hinter ihnen eine behagliche Summe. „Schau, schau, ist das Vögelchen endlich doch in die Sprenkel gegangen! Nu, nu, es kommt für Jedes einmal seine Zeit. Aber hier scheint’s schnell gegangen zu sein. Oder wär’s schon eine alte Liebschaft, und man hätte nur mit dem Herrn Onkel so lange Versteckens gespielt? Ei, ei, Jüngferchen, das sind mir schöne Geschichten!“

Mit diesen Worten zupfte der eben Eingetretene das über und über erglühende Mädchen am Ohrzipfel und gab ihm dann mit dem Rücken der Hand einen sanften Schlag auf die Wange. Aber im Nu machte sich die Traud sowohl von ihm wie von dem verdutzten Gabriel los, warf den Ring hastig auf den Tisch und stand in hellem Zorn, mit den Thränen kämpfend, zwischen den beiden Männern.

„’s ist nicht wahr!“ rief sie mit halberstickter Stimme, „und ich will ihn nicht und ich hab’ ihn nicht gewollt, und das ist schändlich von Ihnen, Herr Rentmeister, daß Sie aus einem dummen Spaß Ernst machen und so Reden führen, daß man sich in den Erdboden hineinschämen möchte, und nun sagen Sie’s nur dem Herrn, daß ich zu gut dafür bin, so Gespött und Kurzweil mit mir treiben zu lassen, und daß er sich Andere suchen mag, ihnen seine Ringe und seidene Kleider anzubieten, und wenn ich mit ihm gespaßt hab’, weil ich ihn für einen rechtschaffenen Herrn gehalten habe, nun thut mir’s von Herzen leid, denn ich sehe wohl, er ist nicht besser, als Alle. Gute Nacht!“

Sie war mit einem Sprunge hinaus, ehe noch Einer der Beiden ein Wort erwidern konnte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_307.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)