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Boden eine geheime Kraft zuzuströmen. Er wollte das Haus, dessen Bewohner hoffentlich noch schliefen, ohne Weiteres verlassen, nach Hause fahren und dort einen ausführlichen, sehr liebevollen und sehr herzbewegenden Brief an die Traud schreiben, um ihr sein treuloses Davonschleichen auf die schonendste Weise zu erklären. Vielleicht auch hatte sie selbst, nachdem sie sich’s beschlafen, sich in ihrer ersten Meinung bestärkt, daß sie doch wohl nicht für einander taugten, und es kam ihr nur gelegen, wenn er ihr das halbe Wort, das sie ihm gegeben, zurückgab.

Hastig fuhr er in die Kleider und öffnete leise die Thür. Im Hause schien wirklich noch Niemand wach zu sein und er nahm sich in Acht, die Treppenstufen nicht zum Knarren zu bringen. Als er aber glücklich unten war und sich eben, behutsam schreitend, der Thür des Gastzimmers näherte, öffnete sich diese und die Traud stand vor ihm. Sie schien an seinem Schleichen kein Arg zu haben, sondern es eher für einen Beweis ihres zärtlichen Einverständnisses zu halten. Um so beschämender war es ihm nun selbst, so gleichsam auf Diebeswegen ertappt zu sein, und er brachte nicht einmal den Morgengruß über die Lippen. Auch sie sagte nichts, nickte ihm nur mit vertraulichem Lächeln zu und zog ihn an der Hand sich nach über die Schwelle. Drinnen brannte eine einzelne Kerze, deren ungewisser Schein die Röthe auf seinen Wangen nicht verrieth. Aber das arglos heitere Gesicht des Mädchens sah er deutlich genug, um plötzlich allen Muth zu einer unumwundenen Erklärung zu verlieren. Es soll nicht sein! murmelte er vor sich hin. Du entrinnst deinem Schicksal nicht. Die Strafe für deinen Leichtsinn soll dir nicht geschenkt werden. Und da sie Niemand trifft, als dich selbst, so ergieb dich darein, statt noch dies unschuldige Herz zu kränken, dem alles Vertrauen auf Menschen plötzlich schwinden würde, wenn du sie so grausam enttäuschen könntest.

In diesen unglückseligen Gedanken schritt er das Zimmer auf und ab, wie ein Gefangener, der sich endlich in seine Unfreiheit ergiebt. Er sah ihr dabei durch die offene Thür zu, wie sie in der Küche geschäftig über dem hellen Feuer ihm den Kaffee kochte und dann Alles zu seinem Frühstück zusammholte. Dabei nahm sie sich in ihrem weißen Häubchen und dem sauberen Kattunröckchen ganz wie eine reizende kleine Hausfrau aus, und wenn er sich dachte, daß sie so an seinem Heerde schalten und walten sollte, schien ihm sein Loos noch immer gnädig genug. Sie fragte ihn ein paar Mal unbedeutende Sachen, wie er geschlafen habe, ob er wirklich schon fort müsse. Ihre muntere Stimme that ihm, so wund sein Inneres war, dennoch wohl. Es war etwas von dem Klange darin, wie am dunkeln Morgen die Vögel in den Bäumen zu zwitschern anfangen, was ein Kranker gern hört.

Als sie ihm dann das Frühstück auftrug, brachte er es über’s Herz, sie freundlich anzublicken und ihr mit seiner heißen Hand sanft über das blonde Haar zu streichen. Eine liebliche Röthe stieg ihr in die Wangen, sie sagte aber nichts, und auch er fand noch immer kein unbefangenes Wort. Erst als er den Zucker nachdenklich in der Tasse umgerührt hatte, wobei sie ihm am Tische stehend so ernsthaft zusah, wie ein Student einem merkwürdigen chemischen Experiment, gewann er es über sich, von der Hauptsache anzufangen.

„Nun, Traud?“ sagte er.

Sie schien nur darauf gewartet zu haben.

„Ich habe mir’s die halbe Nacht überlegt,“ sagte sie mit sicherem Ton, ehrlich und wacker, wie wenn sie in der Kinderlehre ihr Glaubensbekenntniß aufsagen müßte. „Wenn es wirklich Ihr Ernst ist, so wird es ja wohl mein Glück sein. Nur müssen Sie ein bischen Geduld mit mir haben, denn ich habe wohl guten Willen, aber ich bin noch jung und weiß nicht viel, und Sie werden es in manchen Stücken anders gewöhnt sein. Lieb haben werd’ ich Sie können, das fühl’ ich schon jetzt, und treu werd’ ich Ihnen auch sein. Ich bin noch Niemand untreu geworden, der’s nicht mir wurde, und auch dann hat mich’s Herzweh genug gekostet. Hier haben Sie meine Hand darauf. Wir wollen recht gut miteinander hausen, Herr Gabriel.“

Er nahm ihre Hand und sah ihr mit wehmüthigem Ernst in die Augen. Ihre schlichten Worte hatten das Letzte gethan, seinen Entschluß zur Reife zu bringen. „Ich glaube Dir, Traud,“ sagte er, „und es wird ja, denk’ ich, Gottes Wille sein, daß wir glücklich miteinander leben. So viel an mir liegt, soll geschehen, Dir ein gutes Leben zu bereiten, und Du sollst Dich nicht in mir getäuscht haben. Ein Vierteljahr freilich, oder etwas länger, wird es wohl noch dauern, bis ich Dich heimführen kann. Aber bis dahin komm’ ich ab und zu und besuche Dich, und wir schreiben uns auch und besprechen Alles, was noch nöthig ist, und vorläufig, nicht wahr? erfährt kein Mensch davon.“

Sie nickte und legte die Hand auf’s Herz.

„Und noch Eins,“ sagte er. „Du hast in einen Dienst gehen wollen. Das darfst Du nun nicht mehr thun, hörst Du wohl? sondern mußt hier im Hause bleiben bei Deiner guten Frau Pathe. Meine Braut soll keine Magddienste thun bei fremden Leuten. Versprichst Du mir das?“

„Es wird aber schwer halten,“ sagte sie nachdenklich. „Denn ich soll ja auch den Grund nicht sagen. Indessen, es sind noch drei Tage bis zum Ziel, da wird mir schon was einfallen, und am Ende ist’s meinen Leuten hier gerade recht, wenn mich’s wieder reut und ich sag’, ich will nicht weg von ihnen.“

„Abgemacht!“ sagte er und stand auf. „Und hier ist der Ring, mein liebster Schatz, den magst Du tragen oder aufheben, wie Du willst. Streck Dein Fingerchen aus, daß ich ihn Dir anstecke.“

Sie wurde über und über roth und schlug die Augen nieder. Dann streifte sie ihr eigenes Ringelchen mit den Granaten vom Finger und bot es ihm mit einer Zaghaftigkeit, die ihn herzlich rührte. „Er hat keinen Werth,“ sagte sie, „aber ein treues Herz hängt daran, und Sie werden’s wohl nicht verschmähen.“

Da umfaßte er das liebliche Kind und küßte es auf den Mund, der seinen Lippen freundlich entgegenkam. Gleich darauf machte sie sich wieder los und zog unter ihrem Fürtuch ein Büchelchen hervor. „Ich hab’ Sie gestern Abend doch angelogen,“ sagte sie mit einem lustigen Gesicht. „Ich hab’ gesagt, ich wär’ arm wie eine Kirchenmaus, um erst zu sehen, ob Sie es dennoch nicht gereuen würde. Es ist aber nicht gar so schlimm. Sehen Sie, das ist mein Sparcassenbuch, da stehen hundertundsechszig Gulden darin, und die Interessen lass’ ich immer beim Capital stehen, so wächst es mit der Zeit. Das hab’ ich mir Alles zusammengespart von Trinkgeldern und Neujahrsgeschenken, und auch ein bischen Aussteuer bring’ ich Ihnen zu, daß Sie sich meiner nicht so gar arg zu schämen brauchen.“

Sie sah ihn triumphirend an und tupfte mit dem Finger auf die Zahlen in ihrem Büchlein, daß er lachen mußte.

„Schau,“ sagte er, „da mach’ ich ja eine gute Partie. Am Ende hat mir’s Einer gesteckt, und ich nehm’ Dich nur des Geldes wegen?“

Er umfaßte sie wieder und führte sie ein paar Mal das Zimmer auf und ab. Sie verabredeten, daß sie ihm zuerst schreiben sollte, und seine Antwort sollte er poste restante adressiren, und in acht Tagen wollte er wiederkommen, und wo sie sich dann treffen wollten, daß sie sich ohne Zeugen aussprechen könnten. Je länger ihn die Heimlichkeit dieser Morgenstunde umfing, je mehr verließ ihn seine Beklommenheit, und als er endlich, da es im Hause lebendig wurde, Abschied nahm mit einem herzlichen Kuß und Händedruck, und in das kühle Morgenroth hinauseilte, glaubte er wirklich, er habe nichts zu bereuen und es werde ihm nicht schwer fallen, dieses Mädchen als seine kleine Frau sein Leben lang werth zu halten und auch so glücklich mit ihr zu werden, als es ihm überhaupt noch möglich sei, nachdem er seiner Jugendliebe habe entsagen müssen.

Diese Stimmung blieb ihm auch treu, während er auf dem raschen Dampfer den Rhein hinunterfuhr. Nur wie er sein Haus, auf stattlicher Terrasse nahe am Landungsplatz gelegen, aus dem grünen Hintergründe der Weinberge hervorschimmern sah, fiel es wie ein plötzlicher Nebel über seine Zukunftsgedanken. Wie anders hatte er wiederzukommen gedacht! Das kleine Ringlein von seinem Schatz konnte er plötzlich nicht mehr am Finger leiden.

Er streifte es ab und steckte es in die Westentasche. Im nächsten Augenblick schämte er sich dieser Schwäche und steckte es wieder an. Aber als ihm am Eingang seines Besitzthums der Verwalter entgegentrat und ihn mit einem fragenden, verschmitzten Schmunzeln bewillkommnete, hatte er nicht das Herz, ihm in die Augen zu sehen, sagte nur, ein plötzliches Geschäft sei daran schuld, daß er so geschwind zurückkehre, ließ sich zerstreut über den Fortgang der Lese berichten und ging in’s Haus, mit dem Befehl, daß man ihn nicht stören solle, da er zu schreiben habe.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_324.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)