Seite:Die Gartenlaube (1868) 424.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Transport der noch dort befindlichen Verwundeten zu leiten. Ganz in der Nähe des zertrümmerten Medicinkarrens schlug eine Granate wenige Schritte vor ihm in den Erdboden, einen Trichter von Schmutz, Feuer und Eisen auswerfend, ohne ihn jedoch zu verletzen. Ich könnte ihn zeichnen, wie er einen Augenblick starr wie eine Bildsäule mit zurückgebeugtem Oberleibe abwehrend die rechte Hand ausstreckte, alsdann sich auf dem Hacken mit der Schnelligkeit eines Gedankens um seine eigene Achse drehte und nach dem Speicher zurücklief. Nach einem Augenblick des Besinnens aber schritt er ruhig dem Bauerhause zu und kehrte ebenso ruhig wieder zurück.

Dergleichen Scenen wie die geschilderten ereigneten sich leider in großer Anzahl. Ich habe nur aufgezeichnet, was nur besonders lebhaft im Gedächtniß geblieben ist, und jeder Camerad wird Aehnliches zu berichten wissen. Die Haltung der Truppen während der langen vier Stunden, während deren wir den feindlichen Kugeln zum Kugelfang dienen mußten, war musterhaft. Schwerverwundete, Todte wurden fortgetragen, und sofort schloß sich die Lücke. Ich habe wohl ernste Gesichter, hier und da auch ein bleiches Antlitz gesehen, aber keines, welches Angst und Furcht verrathen hätte. Die Stabsofficiere, begleitet von ihren Adjutanten, ritten, die Pfeife oder die brennende Cigarre im Munde, dann und wann langsam auf der Chaussee auf und nieder, hier und da eine ermunternde Bemerkung, wohl auch ein Scherzwort an die Truppen richtend, und jeder Subalternofficier that dasselbe in Betreff der ihm untergebenen Leute.

Es war fast vier Uhr Nachmittags geworden, und noch immer dauerte die Kanonade mit gleicher Heftigkeit fort. Wir hatten keine Ahnung davon, daß die Schlacht durch das Eingreifen der kronprinzlichen Armee längst entschieden war und daß der Feind nur noch focht, um seinen Rückzug zu decken.

Da plötzlich lief die frohe Kunde durch die Reihen: „Der Kronprinz ist da!“ Und gleich darauf verstummte mit einem Male, wie abgeschnitten, der Donner der Geschütze. Der Wechsel zwischen dem Getöse der Schlacht und der eintretenden Stille war ein so plötzlicher, unerwarteter und unvermittelter, daß man förmlich Mühe hatte, sich in der neuen Situation zurechtzufinden. Gleich nach dem Verstummen der Kanonen bekamen wir den Befehl, gegen die südlich von Dohalitz und Dohalicka gelegenen Höhen vorzugehen. Die ganze Division debouchirte aus dem Dorfe und marschirte über ein von Kugeln buchstäblich durchfurchtes Terrain in der ihr angewiesenen Richtung. – Ich will nicht leugnen, daß mir trotz der Gleichgültigkeit, welche während der vierstündigen Kanonade über mich gekommen war, ein Stein, und zwar ein recht großer, vom Herzen fiel, als wir endlich, endlich Dohalitz im Rücken hatten, welches von den Soldaten in ihren späteren Gesprächen scherzweise stets „der Wurstkessel“ genannt wurde. So muß einer armen Seele zu Muthe sein, die aus dem Fegefeuer plötzlich in’s Paradies versetzt wird!

Es war ein imposanter Anblick, den unser Vormarsch bot. So weit das Auge reichte, reihte sich Bataillon an Bataillon, in langer, unübersehbarer Linie avancirend gegen die gegenüberliegenden Anhöhen, auf denen ein gutes Auge die abziehenden feindlichen Colonnen erkennen konnte. Da brachen plötzlich in unserer linken Flanke wie eine Windsbraut mehrere feindliche Reiterregimenter hervor, bereit, sich auf uns zu stürzen, um die Verfolgung aufzuhalten und zu retten, was noch zu retten war.

Ihnen entgegen, noch ehe sie in Schußweite gekommen waren, warf sich unsere Cavalerie, jählings hervorbrechend, ich weiß nicht woher. Ein heftiger Anprall, ein kurzes, wüthendes Einhauen, und die österreichischen Reiter stoben auseinander nach allen Richtungen der Windrose; ihnen nach die Unserigen, die blutige Wahlstatt zurücklassend voll ächzender, verwundeter und zertretener Menschen und herrenlos umhergaloppirender Pferde. Dies war der letzte Act des großen Dramas, den wir zu sehen bekamen.

Wir bezogen Bivouac beim Dorfe Wunster. Jetzt endlich gelangten wir dazu, das in der vergangenen Nacht um ein Uhr begonnene Geschäft des Kaffeekochens mit Erfolg fortzusetzen und zu einem glücklichen Ende zu führen. Als wir uns eben dazu anschickten, rasselte mitten durch unser Lager eine Brigade Cavalerie und einige reitende Batterien zur Verfolgung des flüchtenden Feindes, und bis in den späten Abend hinein tönte der Kanonendonner von Königgrätz und der Elbe zu uns herüber. Ich für meine Person habe freilich nicht mehr viel davon gehört, denn ich schlief den Schlaf des Gerechten, nachdem ich mich durch einen Schluck Kaffee und eine erbettelte Brodrinde erquickt hatte. Aber noch Wochen hindurch hatte ich bei jedem Geräusch das Gefühl, als wurde in nächster Nähe ein Geschütz gelöst.[1]

- z.





Ein merkwürdiges Künstlerleben.

Von Ludwig Kalisch.

Seit einer langen Reihe von Jahren besuche ich in Paris jeden Sonntag ein Maleratelier, wo sich Künstler, Schriftsteller, Beamte und Industrielle einfinden. Jeder dieser Herren weiß etwas von den Ereignissen der vergangenen Woche zu erzählen, und so ist die Unterhaltung fruchtbringend für Alle. Eines Sonntags nun fand ich dort einen mir unbekannten ältlichen Mann von überaus einnehmendem Aeußern. Er hatte nicht nur aller Herren Länder gesehen, sondern auch die Herren aller Länder persönlich gekannt. Seine Schilderungen der berühmtesten Persönlichkeiten Europas und der Vereinigten Staaten Amerikas waren ebenso angenehm wie belehrend, und man hörte ihm um so lieber zu, als er eine höchst wohlklingende Stimme besaß und in seinen fesselnden Erzählungen nichts von jener Selbstgefälligkeit verrieth, der sich vielgereiste Leute so gern hingeben. Durch das Eintreten mehrerer Personen wurde er unterbrochen, und die Unterhaltung sprang nun von einem Gegenstände auf den andern. Da er in seinen Erzählungen einige Male die hervorragendsten Männer unserer Literatur genannt hatte und zu denselben in persönlicher Beziehung gestanden zu haben schien, so war meine Neugierde sehr gespannt; ich setzte mich daher zu ihm und gab meinen Wunsch zu erkennen, etwas Genaueres über diese Beziehungen zu erfahren.

„Ich habe die Heroen der deutschen Literatur, Kunst und Wissenschaft, die im zweiten, dritten und im Anfang des vierten Decenniums unsers Jahrhunderts lebten, mehr oder minder genau gekannt,“ sagte er. „Schenken Sie mir die Ehre Ihres Besuches, ich werde Ihnen dann mit Vergnügen mittheilen, was Ihr Interesse besonders erwecken könnte.“

Er überreichte mir seine Karte und empfahl sich.

Ich las auf derselben den Namen Alexandre Vattemare und war so klug wie zuvor. Erst auf meine Fragen erfuhr ich, daß es der berühmte Bauchredner und Schauspieler Alexander war, der seiner Zeit die Federn aller Journalisten in Bewegung gesetzt und die Bewunderung Blumenbach’s, Osiander’s und Alexander’s von Humboldt erregt hatte.

Ich säumte auch nicht, ihm einen Besuch abzustatten, und fand ihn in einem alten Saal, der mit Büchern, Mappen, Cartons und Fascikeln vollgestopft war. Nachdem die Unterhaltung durch die herkömmlichen Redensarten eingeleitet war, sagte er:

„Ich liebe Deutschland, denn dort war es, wo ich meine Laufbahn als Künstler begann und wo ich unter den berühmtesten Zeitgenossen die vielfachsten Beweise des Wohlwollens, ja der Freundschaft fand.“

„Wie kommt’s, daß Sie als Franzose just in Deutschland Ihre Carriere begonnen haben?“ fragte ich.

„Durch folgende Umstände,“ erwiderte er. „Nach meiner ersten Jugend, welche durch die seltsamsten Familienverhältnisse nichts weniger als eine heitere war, studirte ich Chirurgie und wurde 1814 beauftragt, dreihundert preußische Soldaten, die in der Genesung begriffen waren, von Paris nach Berlin zu bringen.

Ich entledigte mich dieses Auftrags mit der Gewissenhaftigkeit eines

  1. Die Treue und Lebendigkeit des obigen Artikels hat den bekannten Schlachtenmaler Ch. Sell in Düsseldorf, dessen großes Oelbild der Schlacht von Königgrätz den ersten Preis davon trug, nicht nur bewogen die beigegebene Illustration für die Gartenlaube zu zeichnen, sondern der Darstellung auch das Motiv zu einem umfänglichen Oelgemälde zu entnehmen, mit dessen Ausführung er in diesem Augenblicke noch beschäftigt ist.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_424.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)