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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

kennen zu lernen. Indessen ist mir doch Ihre eigene persönliche Liebenswürdigkeit, geehrter Herr Alexander, nicht unbekannt geblieben, und ich widme Ihnen mit Vergnügen dieses Blättchen, um es Ihrem Album beizufügen, das ich mit großem Ergötzen einige Male durchblättert habe: wie viele Namen, und unter diesen wie viele berühmte enthält es! Wie erfreulich die Schriftzüge eines Roscoe und vieler Anderer kennen zu lernen!

Möge das Schicksal Ihnen, geehrter Mann, noch lange Gesundheit und Lebensfrische schenken, um sich und Andere durch Ihre Talente zu erfreuen.

     Dresden, den 12. Sptbr. 1833.

          Ihr ergebenster

               Ludwig Tieck.’

Nachdem ich diesen Brief erhalten, gab ich ihm eine Vorstellung in seiner Wohnung. Den folgenden Morgen sendete er mir folgendes Blatt:

,Vielen Dank, geehrter Herr Alexander, daß Sie so freundlich mir auf meinem Zimmer einige Proben Ihres Talentes haben zeigen wollen, welches Alles, was ich erwartete, übertroffen hat. Man kann es wunderbar nennen. Diese schnelle Veränderung aller Gesichtszüge bis zur Unkenntlichkeit, dieser sichere Wechsel der Töne, alles dies, verbunden mit Grazie und Witz, hat mich in Erstaunen gesetzt. Nehmen Sie meinen Dank für diese Freundlichkeit, mit der Sie einem Kranken eine so frohe Stunde gemacht haben. Diese Eindrücke verwischen und verbleichen sich niemals wieder, und wie vielen Schauspielern möchte man nur etwas von diesem überreichen Talente wünschen!

Ludwig Tieck.’

„Tieck hatte große, prachtvolle Augen,“ sagte Vattemare, „die, wenn er sich im Gespräch belebte, sehr feurig glänzten. Er begleitete die Vorstellung, die ich vor ihm gab, mit der größten Spannung und klagte dann, daß nur wenige Schauspieler wahrhaft mimische Künstler seien, daß sie aus ihrem Gesichte nichts zu machen wüßten und in ihren Zügen zwar eine heftige Leidenschaft bis zur Verzerrung ausdrückten, aber die verschiedenen Gemüthsbewegungen weder durch Stimme, noch durch Geberdenspiel zu schattiren verstünden. Sie belauschten zu wenig die Natur. Und hierauf sprach er mit großer Lebhaftigkeit über die mimische Kunst so viel Wahres und Schönes, daß ich wie gebannt von dein Zauber seiner Rede war.“

„Wie war es Ihnen möglich,“ fragte ich, „sämmtliche Personen in Ihren Stücken zu spielen, ohne auch nur einen einzigen Augenblick eine Pause auf den Brettern eintreten zu lassen? Wie konnten Sie in kaum einer Minute als Officier, als altes Weib, als junges Mädchen erscheinen und die Täuschung im Publicum erhalten?“

„Diese Fragen sind während meiner Künstlerlaufbahn tausend und aber tausend Mal an mich gerichtet worden. Ja, nur Wenige wollten glauben, daß ich wirklich alle Personen in meinen Stücken spielte. Am allerungläubigsten zeigte sich die Herzogin von Berry. Nachdem dieselbe einigen meiner Vorstellungen im Théâtre de Madame beigewohnt, sagte sie mir geradezu, sie werde sich nimmer und nimmermehr überzeugen lassen, daß alle Rollen in meinen Stücken von mir selbst dargestellt würden, wenn ich sie nicht durch die unwiderleglichsten Beweise eines Bessern belehrte. Kurze Zeit darauf gab ich eine Vorstellung vor der königlichen Familie in St. Cloud. Wie bei allen meinen Vorstellungen wachte ich auf’s Strengste darüber, daß Niemand, wer es auch wäre, Eintritt in die Coulissen erhielte. Ich hatte in der ersten Scene einen Kutscher zu spielen. Wie ich nun in meinem dicken Mantel auftrat und mich schimpfend an den Tisch setzte, um dort einzuschlafen, merkte ich, daß die Herzogin sich hinter meinen Stuhl schlich und den Kragen meines Mantels faßte. Ich ließ sie gewähren, sprach, was ich zu sprechen hatte, und trat dann aus einer andern Thür als normannische Amme mit einem Säugling im Arm auf.

Die Herzogin, die noch den Kragenzipfel in der Hand hielt, stieß einen Schrei der Verwunderung aus, indem sie sah, daß nur noch der Mantel, aus dem ich, ohne daß sie es gemerkt hatte, wie ein Küchlein aus dein Ei geschlüpft war, am Tische saß.“

„Vortrefflich!“ sagte ich, „indessen ist dies noch keine Antwort auf meine Frage.“

„Eine Engländerin,“ erwiderte er, „Miß Wylton, die wahrend fünfundzwanzig Jahre mir und meiner Familie treu ergeben diente, begleitete mich auf allen meinen Reisen und war tüchtig eingeschult. Sie, und nur sie allein, hielt sich hinter den Coulissen und stand bei jeder Costümveränderung bereit, mir die Metamorphose zu erleichtern, die mit Blitzesschnelle geschehen mußte.

Auch trug ich in vielen Fällen mehrere Costüme übereinander, so daß ich mich gleichsam wie eine Zwiebel schälen konnte, und endlich kam mir meine eigentliche Kunst, die Stimm-Täuschung, am meisten zu statten. Da ich alle Stimmen, alle Arten von Geräusch, und zwar mit den genauesten Abstufungen je nach Entfernung und Richtung, nachahmen konnte, war es mir sehr leicht, die Aufmerksamkeit des Publicums in beständiger Spannung zu erhalten. Wenn ich auch selbst nicht auf der Bühne war, so war doch meine Stimme dort, und ich konnte auf den Brettern einen Monolog sprechen, oder eine von verworrenem Thiergeschrei unterbrochene Unterhaltung sich auf den Brettern entspinnen lassen, während ich mich hinter den Coulissen verwandelte.“

„Man hat mir gesagt,“ bemerkte ich, „daß Sie die Stimmen aller Thiere, das Geräusch aller Handwerksgeräthe, kurz, alle Töne, die unser Ohr treffen, so täuschend nachahmen konnten, daß eben Niemand an eine Täuschung glaubte.“

„Ich habe Proben von dieser Fähigkeit nicht nur in meinen eigentlichen Vorstellungen, sondern auch in Privatkreisen abgelegt, wenn es galt, eine Gesellschaft zu erheitern,“ antwortete Vattemare.– „Ich will Ihnen einen Fall erzählen, der nicht bekannt geworden. Als ich im Jahre 1834 in Berlin war, erfreute ich mich der besondern Gunst des damaligen Kronprinzen von Preußen und seiner Gattin. Der Kronprinz gab mir ein sehr warmes Empfehlungsschreiben an seine Schwester, die Kaiserin von Rußland, so daß ich am Petersburger Hofe die freundlichste Aufnahme fand. Kaiser Nicolaus, dessen Namen so viele Menschen nicht ohne einen gewissen Schauder aussprachen, gewann mich bald sehr lieb. Eines Abends, als ich mich bei Hofe in einer Gruppe diplomatischer und militärischer Größen befand und Nicolaus ungewöhnlich ernst schien, sagte ich, es sei nicht schwer, ihn in heitere Stimmung zu versetzen. In demselben Augenblicke summte eine freche Schmeißfliege um das Haupt des Selbstherrschers. Er machte eine Bewegung, um das widerwärtige Insect von seinem Kopfe zu entfernen. Umsonst! Das Thier wurde immer unverschämter, immer zudringlicher, bis der Kaiser endlich die Haltung verlor und zornig mit beiden Händen in den Scheitel griff. Das Thier floh summend und brummend unter einen Gueridon, und als der Kaiser erfuhr, daß ich es war, der das Geräusch gemacht und ihn getäuscht hatte, lachte er laut auf und war dann sehr aufgeräumt.“

„Wie konnten Sie aber diesen Spaß wagen?“ fragte ich.

„Die Hohen und Höchsten dieser Erde,“ antwortete er in schwermüthigem Tone, „verzeihen Alles, wenn man sie nur belustigt. Die Hofnarren durften sich Alles erlauben; Hofweise hat es niemals gegeben. Der furchtbare Czar war gegen mich die Liebenswürdigkeit selbst. Er lud mich nach Peterhof ein, zeigte mir die prachtvollen Gemächer des Schlosses und ließ mich immer zuerst in dieselben mit den Worten eintreten: ,Monsieur Alexandre je suis chez moi’. Er wünschte meine Albums zu sehen, die sehr reich an Zeichnungen berühmter Künstler waren. Ich brachte ihm die Sammlung. Als er aber die Mappen öffnen wollte, legte ich die Hand darauf und bemerkte ihm, daß ich grundsätzlich nur Denjenigen diese Schätze öffnete, welche dieselben durch einen Beitrag bereicherten. ,Ich habe keine Zeichnung’ sagte er. – ,Sire’ erwiderte ich, ,die Zeichnung, die auf Ihrem Arbeitstische liegt?’ – ,Das ist eine Uniform für meine Grenadiere!’ – ,Eure Majestät werden eine Copie davon machen?’ – Er gab mir lächelnd die Zeichnung, nachdem er seinen Namen und das Datum unter dieselbe gesetzt.“

Vattemare zeigte mir sie, sowie eine Handzeichnung des damaligen Großfürsten Alexander. Es waren keine Meisterwerke.

Ich fragte ihn, ob er niemals unter dem Namen Vattemare gereist sei?

„Als Stimmen-Künstler,“ sagte er, „hieß ich Alexander; im Privatleben und als Sammler von Doubletten hieß ich Vattemare. Ich hatte nämlich schon in meinen Jünglingsjahren mit Bedauern gesehen, daß in den öffentlichen Bibliotheken, Münz- und Antikencabineten gar manche Werke und Kunstgegenstände mehrfach vorhanden sind, während dieselben Werke in anderen öffentlichen Anstalten gänzlich fehlten. Es tauchte nun in mir der Gedanke auf, daß durch gegenseitigen Austausch der mehrfach

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