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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Mit den Worten reichte er dem Herrn von Römer die Hand hin. Der vornehme Herr mußte sie nehmen; freilich legte er nur seine Fingerspitzen hinein, und auch das mit einem Ausdruck des Gesichtes, als wenn er einen Frosch oder gar eine Kröte berühre, Sebastian Brand aber faßte mit seinen langen Fingern voll die zarten des Herrn von Römer und drückte und schüttelte sie, als wenn er vor Freude, einen alten Freund wiedergefunden zu haben, ganz außer sich sei, und lächelte dabei so listig und so höhnisch und so boshaft, wie eine Kreuzspinne, wenn sie lachen könnte, über einen recht fetten Fang in ihrem Netze lachen würde.

„Und nun vor allen Dingen,“ sagte er dann zu dem wiedergefundenen Freunde, „sei mir willkommen in meiner Vaterstadt. Du weißt doch, daß ich hier zu Hause bin?“

„Ich glaube mich zu erinnern,“ erwiderte der Herr von Römer.

„Ah, Du glaubst nur! Dann ist Dir auch wohl meine Carrière nicht mehr genau erinnerlich, und Du erlaubst wohl, daß ich Dich näher damit bekannt mache, da wir doch nun einmal längere Zeit werden zusammenleben müssen.“

Den Herrn von Römer durchzuckte es, als wenn er etwa von der Viper, auf die sein Fuß vorhin getreten habe, gestochen sei.

Der Buckelige fuhr fort: „So müssen wir doch gegenseitig wissen, was aus den alten Universitätsfreunden geworden ist. Ganz haben wir uns zwar seit den Universitätsjahren nicht aus den Augen verloren, indeß –“

Er brach ab, um zu sehen, welchen Eindruck die Worte auf den wiedergefundenen Freund machten.

Herr von Römer schlug mit einer Resignation, der man fast eine Angst seines Innern ansah, die Augen gen Himmel, niederschlagen konnte er sie nicht; sein Blick hätte gerade in den des Kleinen treffen müssen, der da unten vor dem hohen, vornehmen Herrn stand.

„Daß ich die Rechte studiren mußte,“ fuhr der Buckelige wieder fort, „wirst Du Dich noch erinnern. Es war, weil ich Sebastian Brand hieß, und daher den Namen des berühmten Klagespieglers führte, der sich freilich mit dt schrieb. Nun, nach vollendeten Studien machte ich meine drei Examina – dafür studirt man ja bei uns drei Jahre – dann arbeitete ich eine Zeit lang bei den Gerichten in der Residenz. Dort fanden wir uns ja wieder, Freund Römer!“

Herrn von Römer durchzuckte es wieder. Der Kleine sprach weiter:

„Darauf kehrte ich in meine Vaterstadt zurück, wo ich mich als Advocat niederließ. Als solcher lebe ich hier noch. Das Geschäft geht gut; ich bin wohl situirt, habe nicht Kind und nicht Kegel, wie man zu sagen pflegt, das heißt: nicht Frau und nicht Kind, und lebe fort in meiner alten Weise, die Du kennst, zur Freude und zum Aerger der Menschen, einer Weise, für die der Advocatenstand eigens geschaffen zu sein scheint. Und damit genug von mir, alter Freund. Laß uns jetzt von Dir und Deinen brillanteren Schicksalen sprechen, eigentlich ist es nur eins. Aber bleiben wir hier nicht stehen. Du warst auf Deiner Promenade und bist es noch; ich war und bin es auch. Gehen wir also weiter, und dabei ein Vorschlag. Du bist erst seit kurzer Zeit hier; früher warst Du nie hier. Da sind Dir die Dinge bei uns noch unbekannt, namentlich auch die Schönheiten unserer Gegend. Erlaube, daß ich für den Rest Deiner heutigen Promenade Deinen Führer mache.“

Herr von Römer wurde verlegen. Sein leichtes, glattes, vornehmes Wesen konnte er dem buckeligen Männchen gegenüber noch immer nicht wieder gewinnen.

„Ich danke Dir,“ sagte er, „aber –“

„Aber?“ sah ihn der Kleine funkelnd an.

„Ich habe in der That keine Zeit.“

„Keine Zeit, wo es Naturschönheiten giebt? Du schwärmtest doch sonst für alles Schöne, sogar für jede Schöne. Bah, wir gehen, ich bitte Dich.“

Die Bitte des Kleinen war ein Befehl für den Herrn von Römer, der ihr nur jene ängstliche Resignation entgegenzusetzen hatte.

„So gehen wir denn. Es wird doch nicht weit sein?“

„Sieh’, das Schöne liegt so nahe!“ recitirte Sebastian Brand mit seinem höhnischen lächeln und führte den Freund tiefer in das Bosket, in dem sie standen, aus diesem dann in eine Kastanienallee, welche sich eine Anhöhe hinanzog. Die Stadt hatte in der That eine überaus reizende Lage. Am Fuße eines Berges, aber noch immer auf einer Hochebene gelegen, schaute sie weit in das Land vor sich hinein; auf ihrer Rückseite war sie mit Palästen und Villen, mit Parkanlagen, Gärten und Waldungen bekränzt, die bis fast an die Mitte des hohen Berges auf jedem seiner vielen Vorsprünge hervortraten, aus jeder seiner Schluchten herausblickten. Den Berg hinauf führte der Buckelige den Herrn von Römer, eigentlich nur einen mäßigen Seitenabhang desselben hinauf, hinter welchem, wie es schien, ein reizendes Thal sich öffnen, oder eine jener anmuthigen Schluchten sich verbergen mußte.

„Also nun von Dir, Freund Römer,“ sagte der Buckelige im Gehen, und es war, als wenn der Herr von Römer bei den Worten einen schweren Seufzer unterdrücken müßte. „Du bist hier Consistorialpräsident geworden?“

„Ja.“

„Eine hübsche und rasche Carrière. Ich sehe Dich schon als Minister.“

Der Consistorialpräsident schwieg. Der Andere fuhr fort: „Nun, das Verdienst muß belohnt werden. Du arbeitetest bisher im Polizeiministerium?“

„Ja.“

„Von der Polizei zur Kirche! Hast Du Deine Familie schon hier?“

„Sie kam mit mir.“

„Deine Frau lebt noch?“

„Gewiß.“

„Ist sie noch immer leidend?“

„Sie hat sich in neuerer Zeit erholt.“

„Du hast eine brave Frau, und sie war Dir auch immer eine treue Frau, wenngleich sie Dich eigentlich nie liebte.“

„Brand!“ fuhr Herr von Römer auf.

Der Buckelige lachte.

„Ah, verzeihe! Sie liebte Dich also?“

„Sprechen wir von etwas Anderem.“

„Von den Todten?“ fragte der Kleine.

Der Präsident von Römer schwieg. Er war etwas blaß geworden.

Qui tacet, consentire videtur (Wer schweigt, ist einverstanden),“ sagte der Buckelige. „Also von meiner armen Cousine, die Du betrogst, schändlich betrogst, um ihre Ehre, um ihr Leben.“

Herr von Römer hatte sich aufgerafft, die Gewalt, die der Buckelige über ihn ausübte, von sich zu schütteln. Ohne ein Wort zu sagen, kehrte er um; er wollte den Gefährten verlassen und allein zur Stadt zurückgehen. Der Kleine stellte sich vor ihn.

„Du gehst nicht,“ sagte er ruhig befehlend, aber indem seine grauen Augen zornig funkelten. „Du bleibst, ich habe noch viel mit Dir zu sprechen. Ich habe lange auf diesen Augenblick geharrt. Ich hatte auch da hinten in dem Bosket auf Dich gewartet. Ich wußte den Tag, die Stunde Deiner Ankunft hier in der Stadt. Ich war von da an der Spion, der Dir auf Schritt und Tritt folgte, ohne daß Du es ahntest. Ich mußte Dich einmal allein haben. Seit Jahren hatte ich darauf gewartet; seitdem Du Dich nicht mit mir schießen wolltest, die Polizei, Deine Polizei gegen mich ausriefest. Jetzt endlich habe ich Dich. Ich lasse Dich nicht wieder los. Du bist vollständig, ganz und gar in meiner Gewalt. Als Polizeimann warst Du es nicht so. Die Polizei muß Menschen mit eiserner Stirn haben, auch Geheimeräthe. Aber als Präsident des Consistoriums! Zumal in dieser frommen Provinz! Das war ein dummer Streich, daß Du zur Kirche übergingst, und noch dümmer war es, daß Du an mich nicht dachtest. Ich habe alle Beweise Deiner Schlechtigkeit in Händen, die von Deiner Hand gefälschten Documente. Sie müssen Dich in’s Zuchthaus bringen. Geschah es bisher nicht, so war es zugleich um Deiner armen Frau willen. Auf die nehme ich auch jetzt noch Rücksicht, Du möchtest mich denn mit Gewalt herausfordern. Und das, alter Freund Römer,“ setzte der Buckelige wieder mit seinem ganzen verzweifelten Humor hinzu, „das thätest Du, wenn Du jetzt allein, ohne mich, nach Hause gingest. Setzen wir unsere Promenade fort.“

Der Consistorialpräsident wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_479.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)