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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig, beim Blute des Erlösers, ich bin kein Verbrecher, ich habe den Großherzog nicht bestohlen. O mein Gott, mein Gott, meine Ehre, mein armes Weib, meine Kinder!“

„Herr Director, Herr Director,“ schallte plötzlich Leopold’s Stimme zu uns herauf, „hier liegt eine rothe Brieftasche im Grase!“

Wir standen Beide einen Augenblick versteinert.

„Das Geld ist drin, das Geld ist drin! Sieben Scheine zu tausend Gulden.“

Und im Osten stieg jetzt die Sonne empor. Der Steuerrath aber war auf die Kniee gesunken und erhob die Hände dem leuchtenden Gestirne entgegen, seine Augen glänzten in wahrer himmlischer Seligkeit und seine Lippen lispelten ein heißes Dankgebet.

„Mein Weib, meine Kinder!“

Und ich rief sie Alle herein, welche die Nacht hindurch in heißen Thränen sich gebadet, und sie stürzten zu den Füßen des Gatten und des Vaters, umklammerten seine Kniee und umschlangen seinen Nacken und jubelten laut, daß Gott der Herr sie errettet! In der Thür aber stand Gensd’arm Leopold, die aufgeschlagene Brieftasche mit dem Gelde in der Hand, und in dem Auge des alten Soldaten glänzte eine schwere Thräne und rollte langsam in großen Tropfen über seine Wange.

„Auf, nach dem Gasthofe!“

Ja, wo waren die beiden Herren Ministerialräthe? Das Nest war leer, die beiden Herren waren abgereist, hatten die Rechnung zu bezahlen vergessen, auch waren die silbernen Leuchter des Wirthes nach ihrem Geschmacke gewesen. Es war kein Zweifel mehr. Die beiden Gauner hatten die augenblickliche Abwesenheit des Steuerrathes aus dem Cassenzimmer benutzt und die Brieftasche aus dem Fenster in den Garten geworfen. Der Mann, der den Steuerrath herausgerufen, war der Dritte im Bunde und bestimmt gewesen, die Brieftasche im Garten zu suchen. Leopold’s Anwesenheit hatte ihn daran gehindert. Die Steckbriefe durchliefen die Zeitungen, aber die Gauner wurden niemals ergriffen.

H. E.




Das kaiserliche Stillleben in Fontainebleau. Der Kaiser und die Kaiserin der Franzosen führen jetzt ein völlig stilles, zurückgezogenes Leben im Schlosse von Fontainebleau und haben keinen anderen Besuch, als den der Großfürstin Marie von Rußland. Es scheint, als ob die Herrschaften sich einmal von allen geselligen Anstrengungen und Aufregungen erholen wollten, denn sie veranstalten weder Bälle noch Concerte, empfangen blos sehr wenig Besuche und vertreiben sich die Zeit nach dem eigenen Belieben jedes Einzelnen.

Schon sehr früh am Morgen verläßt das kaiserliche Paar seine Zimmer und geht ohne weitere Begleitung stundenlang in den malerisch schönen englischen Anlagen des Privatparks spazieren, worauf man sich stets zum Frühstück in den sogenannten chinesischen Salons versammelt.

Der kaiserliche Prinz steht pünktlich ein halb sechs Uhr auf und trifft nach einem Morgenspaziergang mit seinem Gouverneur zum Frühstück mit seinen Eltern zusammen; später kommt ein Professor der Pariser Universität, der ihm Unterricht ertheilt, ein Theil der Zeit wird auch den Uebungen im Reiten, Fechten, Schießen oder Turnen unter der Anleitung verschiedener Lehrmeister gewidmet. In den Mußestunden lenkt der Prinz sein Velociped (einen kleinen Wagen mit Mechanismus zur Selbstfortwegung nach Art der Draisinen) in den schattigen Alleen des Parks umher, oder er rudert auf dem See in Gesellschaft seines Vetters und seiner Cousinen, der Kinder des Herzogs von Alba, die sich stets in der Nähe und unter den liebevollen Augen der Kaiserin befinden.

Das allgemeine Frühstück wird bald da, bald dort eingenommen, sehr häufig in dem Zimmer, welches Ludwig Philipp und seiner Familie als Lese- und Arbeitszimmer diente, oft auch in einem nach dem Blumengarten zu gelegenen Salon, sehr selten im eigentlichen Speisesaal. Die Kaiserin hegt eine besondere Vorliebe für die „chinesischen Salons“, und man verbringt deshalb die Zeit meistens unter den seltsamen, fremdartigen Erinnerungen aus dem Sommerpalast des Kaisers von China, den goldenen Pagoden, emaillirten Vasen, kupfernen Götterbildern, juwelenbesetzten Schwertern, kunstreich geflochtenen Matten, Porcellanfiguren etc., welche die französischen Soldaten als Beute aus China heimgebracht haben. Nur drei Gegenstände in diesen Zimmern zeigen entschieden, daß man sich in Frankreich befindet: das berühmte Portrait der Kaiserin im Kreise ihrer Hofdamen, von Winterhalter, ein schöner Erard’scher Flügel, und ein kleiner Leierkasten, wie ihn die Savoyardenknaben haben, der das Entzücken des Prinzen bildete, als er noch ein ganz kleiner Knabe war.

Zwei Mal in der Woche führt ein Extrazug die Minister zu Berathungen beim Kaiser, und jeden Abend sendet der Polizeipräfect von Paris einen doppelten Bericht über die Vorgänge und Stimmung des Tages an den Kaiser und die Kaiserin. Mittwochs begiebt sich der Kaiser jedoch regelmäßig nach Paris, um dem Ministerrath zu präsidiren und selbst einmal nach Allem zu schauen.

Spaziergänge und Fahrten durch die herrlichen Alleen des wundervollen Parks nehmen einen großen Theil des Tages in Anspruch, oder man ergeht sich in den Sälen und Zimmern des Schlosses selbst, dem merkwürdigsten und schönsten von ganz Frankreich, wo die Salamander Franz des Zweiten und die Chiffre Heinrich’s des Dritten mit den Halbmonden der schönen Diana von Poitiers verschlungen sind.

Aber Fontainebleau hat auch neuere wichtige Erinnerungen; da ist das Arbeitszimmer des großen Napoleon mit dem kleinen Tisch, auf welchem er die Abdankungsurkunde unterschrieb und an dem die Sporen seiner grimmig aufstampfenden Füße noch sichtbare Spuren hinterlassen haben. Das Zimmer der Kaiserin ist voll von Andenken an Marie Antoinette, z. B. die reichen Seidenvorhänge an den Fenstern, Thüren und dem Bett waren ein Geschenk der Stadt Lyon an die unglückliche Königin; sie wurden während der Revolution heruntergerissen und verkauft, aber Napoleon der Erste entdeckte sie und brachte sie an ihren früheren Platz zurück in das Zimmer der „sechs Marien“, wie es genannt wird.




Die Lehren der Volkswirthschaft haben in den letzten Jahren einen schon vielfach segensreich sich fühlbar machenden Einfluß auf das Volk gewonnen, und um diesen Sinn weiter zu wecken, zu befestigen und in eine dem Wohle des Einzelnen wie der Gesammtheit förderliche Bahn zu leiten, bedarf es nur einer organisirten mündlichen Belehrung, sowie der fortlaufenden Hinweisung auf Schriften, welche die großen Naturgesetze der Volkswirthschaft in anregender, überzeugender und gemeinverständlicher Weise darzustellen suchen. Die Zahl derartiger Werke ist, bei der Schwierigkeit der Aufgabe, freilich noch nicht groß. Um so mehr halten wir es für unsere Pflicht, auf ein Unternehmen aufmerksam zu machen, das, unserer Ueberzeugung nach, nur einer wachsenden Theilnahme des Publicums bedarf, um sich zu einer wahrhaft bedeutsamen Wirksamkeit aufzuschwingen. Es ist dies ein (bei Otto Wigand in Leipzig erscheinendes) „Jahrbuch für Volkswirthschaft, herausgegeben von Dr. Wolfgang Eras,“ an dem sich viele hervorragende Publicisten der national-ökonomischen Wissenschaft betheiligt haben und dessen erster bereits für das Jahr 1868 veröffentlichter Jahrgang, ein Bändchen von mäßigem Umfange und zu wohlfeilem Preise, eine Reihe von Aufsätzen enthält, welche durch Inhalt und anregende Darstellung das Interesse jedes denkenden Menschen fesseln müssen. Die Idee, nicht auf systematischem, lehrbuchartigem Wege, sondern durch kurze und volksthümliche Behandlung einzelner wichtiger Fragen für die Beseitigung von Vorurtheilen zu wirken, welche nur zu oft die Hauptquelle der gesellschaftlichen Uebel sind, ist gewiß eine glückliche, wo der Ausführung Kräfte wie der Herausgeber und Mitarbeiter, wie Prince-Smith, Dr. [[Julius Faucher]], Dr. Karl Braun, Wislicenus, Hieronymi etc. zur Seite stehen, die n. A. auch der sittlichen Seite volkswirthschaftlicher Bestrebungen die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen wissen. Dem genannten Bändchen hat denn auch eine günstige Aufnahme nicht gefehlt, so daß die Unternehmer die nöthige Ermunterung zur Herausgabe eines zweiten Jahrganges gefunden haben, auf den wir hiermit im Voraus verwiesen haben wollen.




Aus Schwaben. Zu dem trefflichen Artikel in Nr. 34 „Deutschlands Herrlichkeit in seinen Baudenkmalen. Nr. 3. Das Münster zu Ulm“ ist berichtigend und ergänzend zu bemerken: Der Eßlinger Baumeister, derselbe, welcher“ an der Eßlinger Frauenkirche, gleichfalls einem der schönsten vollendeten Denkmale gothischer Baukunst, hauptsächlich mit gebaut hat, heißt Böblinger, nicht Döblinger.

In dem Vierteljahrhundert seit Beginn der Wiederherstellung ist die Summe von gegen zweihundertundfünfzigtausend Thaler verbaut worden. Bei der heuer zum ersten Male versuchten Münsterbaulotterie ist nur zu bedauern, daß der Vertrieb der Loose in der preußischen Monarchie nicht gestattet wurde; Gründe für die an höchster Stelle ablehnende Antwort sind nicht bekannt geworden, doch war sie von einer Gabe von achttausend Thalern begleitet. Der Bezug von Loosen gerade von Ulm aus ließe sich übrigens durch Bestellung gegen Postnachnahme leicht ausführen. Bei zehn Loosen ist das elfte frei und deckt die Kosten des Versands. Mögen da und dort Einige zusammenstehen; die Ziehung ist am 15. October und die Gewinne an Geld und Kunstwerken namhaft, höchster Gewinn zwanzigtausend Gulden. Bestellungen gehen an Kaufmann Klemm in Ulm.

Th. G.





Inhalt: Die Brüder. Novelle von Adolf Wilbrandt. (Schluß.) – Skizzen aus dem Land- und Jägerleben. Wort und Bild von Ludwig Beckmann. 4. Auf Wildkatzen. Mit Abbildung. – Der Reformator der Erziehungslehre. (Schluß.) – Im Vorzimmer des Parlaments. – Die totale Sonnenfinsternis; am 18. August 1868. Von Otto Ule. – Eine Denkstätte „deutscher Treue“. Mit Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Die rothe Brieftasche. – Das kaiserliche Stillleben in Fontainebleau. – Die Lehren der Volkswirtschaft. – Aus Schwaben.




Im Verlage des Unterzeichneten ist erschienen:

Ausführliches Sachregister der Gartenlaube.
Erster bis fünfzehnter Jahrgang (1853–1867).
Mit Berücksichtigung der „Blätter und Blüthen“, sowie der Illustrationen und mit specieller Hinweisung auf den betreffenden Jahrgang und die Seitenzahl der Gartenlaube.
Preis 10 Ngr.

Dieses über sämmtliche bisher erschienenen Jahrgänge der Gartenlaube und über alle die Tausende der einzelnen literarischen und artistischen Beiträge derselben Rechenschaft und Nachweis gebende Register aus der Feder des in dergleichen Arbeiten vielfach bewährten Adolf Büchting in Nordhausen verschafft dem Leser erst eine genaue Uebersicht über die Fülle des Gebotenen und setzt ihn in den Stand, ohne Mühe zu finden, worüber er sich gerade belehren und unterhalten will. Es ist in der That für alle Freunde und Abonnenten der Gartenlaube ein unentbehrliches Noth- und Hülfsbuch, mögen sie nun im Besitze sämmtlicher oder nur einiger Jahrgänge derselben sein, denn da ist kein Artikel oder keine Illustration der Zeitschrift, die in dem „Sachregister“ nicht nach Jahrgang, Seitenzahl und Inhalt verzeichnet stehen.

Ernst Keil.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_576.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)