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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Kirschen essend. Die Secundanten luden unsere Waffen, maßen die Schritte ab, ich hatte den ersten Schuß, meine Pulse schlugen aber so heftig, daß ich fühlte, ich war meines Schusses nicht mehr sicher. Ich erklärte, daß ich auf meinen Vortheil verzichte, mein Gegner ging darauf nicht ein, es ward also geloost, und das Glück war für ihn. Er zielte kurze Zeit, seine Kugel durchbohrte hier meine Mütze – jetzt war die Reihe an mir. Gierig durchforschte ich seine Züge in der Hoffnung, einen Schatten von Todesfurcht darin zu erblicken – vergeblich! Ruhig speiste er seine Kirschen weiter, die Kerne mir vor die Füße schnippend. Diese Kälte erbitterte mich nur noch mehr. Wozu, dachte ich, Jemand tödten, dem so wenig an dem Leben liegt? Ein boshafter Einfall durchzuckte mein Gehirn, ich senkte das Pistol und rief: ‚Ich fürchte, Herr Graf, Sie sind nicht genügend vorbereitet, vor Ihren Gott zu treten, da Ihnen das Frühstück so trefflich mundet; ich will warten, bis Sie fertig sind?‘

‚O, Sie stören mich nicht im mindesten! Indessen – wie es beliebt! Sie haben das Recht, nach mir zu schießen, bedienen Sie sich dessen nach Gefallen, ob früher oder später, mir gleichviel!‘

‚Haben Sie das gehört?‘ wandte ich mich nun zu den Zeugen, ‚ob früher oder später, gilt dem Herrn gleichviel, so werde ich heute gar nicht schießen!‘

Der Kampf war aus. Ich nahm den Abschied und zog hierher. Jeden Tag aber gedachte ich meiner Rache und heute endlich ist er da!“

Er zog den Brief, den er am Morgen erhalten, aus der Tasche. „Man meldet mir: die bewußte Person hat sich vor Kurzem mit einer schönen, jungen Dame, in die er toll verliebt ist, vermählt! – Sie ahnen, wer die bewußte Person ist! – Heute noch reise ich zu ihm, trete ihm vor die Augen und will mich überzeugen, ob er dem Tode noch immer so lachend in’s Auge blicken kann, wie damals, als er die Kirschen aß!“

Mit den Worten sprang er auf, mit raschen Schritten, wie ein Tiger im Käfig, durchmaß er das Zimmer. Der Diener meldete, es sei angespannt, er drückte mir die Hand, sprang in den Wagen, der nur zwei Stück Gepäck enthielt, die Reisetasche und den Pistolenkasten. Im Carriere fuhr er davon. –

Jahre waren seit der Zeit vergangen, ich hatte Nichts von Sylvio mehr gehört und ihn fast vergessen. Den Dienst, der mir keine Lorbeern eingetragen, kein Avancement gebracht, hatte ich längst verlassen und bewohnte mein kleines Gütchen im Mohilew’schen Gonvernement. Obwohl ich meine Wirthschaft selbst leitete, was meine Zeit tüchtig in Anspruch nahm, so hatte ich doch manche freie, müßige Stunde, und da vermißte ich gar sehr die Unterhaltung meines früheren Lebens. Woran ich mich am schwersten gewöhnen konnte, das war die Einsamkeit des langen Winterabends. Bis zum Mittagessen schlug ich meinen Tag so leidlich todt, ich beging die Felder, schwatzte mit meinem Verwalter, inspicirte neue Bauten und so weiter, sowie die Sonne aber zur Rüste ging, wußt’ ich mit mir nichts weiter anzufangen. Die paar Bücher, die ich in Schränken und Commoden vorgefunden, waren längst durchlesen, die Märchen und Gespenster meiner alten Kluschnitza Kirolowa hatte ich bis zum Ueberdrusse angehört, die Lieder, die meine Muschiken zur Balalaika sangen, machten mich melancholisch; so gab’s Momente, in denen ich zum Rum die Zuflucht nahm. Leider machte der mir Kopfweh, auch hatte ich Bange, ich möchte zum Verzweiflungstrinker werden, die schlimmste Sorte, die es geben kann. Nähere Nachbarn hatte ich nicht, so verfiel ich auf das Mittel, spät zu essen, früh zu Bette zu gehen, denn damit verlängerte ich meine Tage und verkürzte die langen Abende.

Vier Werst von meiner Besitzung liegt das Schloß der Grafen Belosencky, leider damals nur vom Castellan bewohnt; die Gräfin war nur einmal, im ersten Jahre ihrer Ehe, auf einen Monat dagewesen. Im zweiten Frühjahr meiner ländlichen, langweiligen Einsamkeit ging auf einmal das Gerücht, dieses Jahr werde die schöne Gräfin mit ihrem Gatten den Sommer im Schlosse zubringen, und richtig, schon Anfangs Juni waren sie Beide da. Die Ankunft eines reichen Nachbars ist auf dem Lande, wo sich Jeder ennuyirt, ein welterschütterndes Ereigniß; die Edelleute der ganzen Gegend, ihre Diener, alle Bauern sprechen zwei Monate vor der Ankunft des Herrn Nachbars und drei nach seiner Abreise nur und nur von diesem; ja, ich bekenn’ es offen, die Nachricht von dem Eintreffen des gräflichen Paares setzte auch mein Blut in Wallung, ich brannte vor Neugier, sie zu sehen, und gleich am ersten Sonntag macht’ ich mich auf den Weg, den Excellenzen meine Achtung zu beweisen.

Ein reich vergoldeter Lakai führte mich in des Grafen Cabinet, das mit dem höchsten und feinsten Luxus ausgestattet war. Den Wänden entlang reihten sich mächtige Bücherschränke, ein jeder geziert mit bronzenen Büsten der Autoren, deren Werke er verschloß, der marmorne Kamin trug einen breiten Spiegel, den Boden deckten türkische und persische Teppiche. In meinem Dörfchen war ich des Anblickes solchen Reichthums lange entwöhnt geworden, so daß ich mich – zu meiner Beschämung gestehe ich’s – davor fast verlegen fühlte. Mit dem Herzklopfen des Provincialen, der bittend sich dem Minister nahen will, bei dem er Audienz erlangt, sah ich dem Eintreten des vornehmen Herrn Nachbars entgegen. Da! die Thür geht auf, ein Mann der mittleren Dreißiger, von vornehmen, edlen Zügen, tritt in’s Zimmer. Mit offener, leutseliger Miene näherte er sich mir, ich stammelte alberne Worte der Entschuldigung, daß ich die Freiheit mir genommen – doch schon unterbrach er mich: „Ohne alle Complimente, Herr Nachbar!“ Wir setzten uns zu einander, und seine ungezwungen heitere Weise besiegte rasch meine Schüchternheit, ich begann wieder ich selbst zu werden. Da kam die Gräfin, und ich ward wieder befangener, als zuvor. Der Graf stellte mich ihr vor, und Beide, um mir Zeit zu lassen, unterhielten sich zwanglos miteinander und behandelten mich dergestalt wie einen alten Bekannten. Ich schlug indeß die Bücher auf dem Tische auf, besah die Bilder an den Wänden, und eines besonders fesselte meinen Blick, es stellte eine Schweizerlandschaft dar; doch nicht die Gegend, die der Maler hingezaubert, nicht seine Kunst war’s, die mein Auge bannte, sondern ein Loch, das zwei Kugeln, eine auf der anderen sitzend, in das Bild geschlagen. „Teufel, das war ein guter Schuß, Herr Graf!“ rief ich aus.

„Und ein merkwürdiger dazu! – Sind Sie ein guter Schütz?“

„Auf dreißig Schritte bin ich sicher, ein Coeur-As zu treffen.“

„Wirklich?“ rief die Gräfin. „Das ist viel! Kannst Du das auch, Wasil?“

„Es gab ’ne Zeit, da ich darin Uebung hatte, seit fünf Jahren aber hab’ ich kein Pistol mehr angerührt.“

„Dann halt’ ich jede Wette, daß Sie selbst auf zwanzig Schritt die Karte gar nicht treffen. So ’was will täglich geübt sein. Der beste Pistolenschütz, den ich kannte, schoß täglich drei Kugeln nach einer Messerschneide ab; sah er ’ne Fliege an der Wand – ah, Sie lachen, gnäd’ge Gräfin? ich schwöre Ihnen, ’s ist die reine Wahrheit!“

„So? Wie hieß Ihr Mann?“

„Sylvio, Excellenz.“

„Den haben Sie gekannt?“ schrie der Graf, vom Stuhl aufschnellend; „den haben Sie gekannt? Sie haben Sylvio gekannt?“

„Was sollt’ ich nicht? Waren wir doch Freunde; er lebte in Wologda mit uns wie unser Camerad. Seit fünf Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehört. Also auch Sie machten einst seine Bekanntschaft?“

„Ja, ich machte sie. Wenn Sie mit ihm befreundet waren, hat er Ihnen sicher eine etwas sonderbare Geschichte mitgetheilt?“

„Aha, Sie meinen die Ohrfeige, die er einmal erhielt?“

„Dieselbe. – Nannte er Ihnen nicht den Namen des Gebers?“

„Nein, Excellenz.“

Von einem plötzlichen Gedanken überrascht, starrte ich den Grafen an. „Sie waren’s doch nicht etwa selbst?“

„Ich war es, und die Kugeln dort im Bilde sind das letzte Andenken an ihn.“

„O bitte, Wasil, erzähle das nicht, Du weißt, es macht mich krank, ich kann’s nicht hören.“

„Nicht doch, Nadejda, der Herr hier weiß, daß ich einst seinen Freund beleidigte, er soll erfahren, wie er sich an mir gerächt. – Fünf Jahre bin ich nun vermählt. Den Honigmonat unserer Ehe brachten wir hier auf dem Schlosse zu. Eines Abends war ich mit der Gräfin ausgeritten, auf dem Heimweg bäumt sich plötzlich ihr Pferd und will nicht weiter, sie wird ängstlich, springt ab, wirft mir die Zügel zu und geht zu Fuß nach Haus. ‚Was fiel nur dem Thiere ein,‘ sagte sie, ‚das sonst so sanft und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_627.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)