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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wallner kam. Mit diesem kehrte er endlich von Neuem nach seiner Vaterstadt zurück, um im Verein mit den ausgezeichneten Komikern Reusche, Neumann und der liebenswürdigen Soubrette Fräulein Schramm jenes berühmte vierblätterige Kleeblatt zu bilden, das in der Geschichte des Theaters unvergeßlich und unverwelkt bleiben und grünen wird.

Helmerding selbst ist der eigentliche Repräsentant der norddeutschen oder speciell der Berliner komischen Muse, die sich wesentlich von ihrer süddeutschen Schwester durch ihr scharfes, prickelndes Wesen, durch ihre Elasticität, Vielseitigkeit und ihren sprühenden Witz auszeichnet, während die Letztere mehr durch gemüthliche Heiterkeit, ansprechende Gutmüthigkeit und eine gewisse stereotype und breite Behaglichkeit sich auszeichnet. Der Schwerpunkt des Künstlers liegt zunächst in der treffenden Charakteristik, in dem unerschöpflichen Reichthum seiner Masken und Figuren, wobei ihm seine früheren Zeichenstudien und die dadurch geschärfte Beobachtungsgabe die besten Dienste leisten. Stets erscheint er neu und originell; selbst wo er an die Caricatur streift, wird man noch sein großes Talent bewundern müssen.

Am besten giebt er die einheimischen Typen, den bornirten Weißbierphilister, den verkommenen Bummler, den heiteren Lebemann, den geldstolzen Rentier und Hauswirth, den heiteren und angeheiterten Referendarius oder Assessor auf dem Juristentag. Um Berlin kennen zu lernen, muß man Helmerding sehen. Er ist der verkörperte Berliner, abwechselnd bornirt und witzig, malitiös und gutmüthig, pfiffig und leichtgläubig, ironisch und gefühlvoll, egoistisch und opferfähig, kurz ein trotz aller Schwächen und Maägel interessantes Berliner Kind. Dabei ist er nichts weniger, als einseitig und beschränkt, da sein Talent auch die ihm ferner liegenden Gestalten mit gleicher Liebe zu erfassen und darzustellen weiß, wofür sein „französischer Tanzlehrer“ in Kotzebue’s „Unglücklichen“ ein glänzendes Zeugniß ablegt.

Diese Vielseitigkeit wird wesentlich durch die Kunst seines Mienenspiels unterstützt. Helmerding besitzt eine seltene Herrschaft über sein Gesicht, dem er jeden beliebigen Ausdruck zu geben vermag. Ohne Schminke und oft selbst ohne Beihülfe einer Perrücke, nur mit Unterstützung eines alten Hutes erscheint er bald als „Friedrich der Große“, bald als „Napoleon“, als „Onkel“ oder „Neffe“ so täuschend ähnlich, daß man an ein Wunder glauben möchte.

Mit dieser proteusähnlichen Verwandlungsfähigkeit, dem ersten und unentbehrlichsten Erforderniß des Schauspieles, verbindet er die hinreißendste Laune, den sprühenden Witz, den sprudelnden Humor des geborenen Komikers. Eine Bewegung, ein Blick, ein Wort von ihm reicht schon hin, das Publicum zu elektrisiren und ein schallendes Gelächter hervorzurufen.

Jeden Abend feiert der Liebling der Berliner neue Triumphe, eine neue Rolle Helmerding’s ist in den meisten Fällen ein Ereigniß für die Residenz, und sein Name allein wirkt wie ein anziehender Magnet auf Heimische und Fremde. Als Schauspieler und Mensch genießt Helmerding die Anerkennung und Achtung, die seinem Talent und seinem liebenswürdigen, harmlos bescheidenen Charakter gebührt. Der Berliner aber sagt: „Es giebt nur einen Helmerding.“ Max Ring.     




Der letzte deutsche Landgraf.
Ein Stillleben.

„Stände nur nicht überall ein Prinz von Hessen-Homburg!“ So soll Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig ausgerufen haben, als er wahrgenommen, daß fünf Söhne dieses Hauses, und zwar fünf Brüder, als höhere Truppenführer in den Heeren Oesterreichs und Preußens dort gegen ihn kämpften, nachdem ein sechster und der jüngste dieser Brüder im Frühling desselben Jahres, am zweiten Mai, bei Lützen den Heldentod gefunden hatte.

Diese Anerkennung aus dem Munde des größten Kriegsmeisters seiner Zeit kann wohl als ein Blatt zu dem Lorbeerkranze gelten, welchen die Kriegsgeschichte diesem alten fürstlichen Geschlecht zuerkannt hat. Von den Sturmzügen des dreißigjährigen Krieges an, die den ersten Homburger Landgrafen in den Kreis der deutschen Reichsstände treten sehen, bis zu den Befreiungskriegen, an deren Schluß der Wiener Congreß die hessische Landgrafschaft zu einem selbstständigen Staat des deutschen Bundes erhob, glänzen die Jünglinge und Männer aus dem stolzen Schlosse „Homburg auf der Höhe“ nicht bloß als tapfere Kriegsleute, sondern nicht wenige derselben als hervorragende Heerführer, deren Name sich an bedeutende Schicksalswendungen des europäischen Fürsten- und Staatslebens knüpft. Wir erinnern nur an den Helden von Fehrbellin, an den Tatarenbesieger unter Rußlands Fahnen und an jenen Erbprinzen Friedrich Joseph, welcher als österreichischer Feldmarschall bei Leipzig den Sieg mit entscheiden half. Man geht durch eine Heldenhalle, wenn man die Vergangenheit dieses Geschlechtes durchwandelt.

Nicht weniger, als die Betrachtung der thatkräftigen Persönlichkeiten, nimmt das Ende des Hauses unsere Theilnahme in Anspruch, das ein Stück zugleich wunderlicher, rührender und erhabener Romantik unserer Zeit darstellt.

Landgraf Friedrich der Fünfte war seinem Vater, Friedrich dem Vierten, im Jahre 1766 als achtzehnjähriger Jüngling gefolgt. Zehn Jahre später gründete er die ihrer Zeit vielbesprochene „Patriotische Gesellschaft für allgemeines Wohl, Verbesserung der Sitten und Hebung der Industrie“. Das thätigste Mitglied derselben war seine Gemahlin Caroline, die Hessen-Darmstädterin, welche den Wissenschaften und dem Aberglauben mit gleichem Eifer huldigte. Seitdem ihr im Homburger Schlosse die weiße Frau erschienen war, verwandelte sie in ihrer Lebensweise die Nacht zum Tage. Das hinderte sie jedoch nicht, ihren sechs Söhnen eine tüchtige Mutter zu sein.

Den jüngsten derselben, Prinz Leopold, ausgenommen, der, wie Eingangs bemerkt, sechsundzwanzig Jahre alt, bei Lützen fiel, sind diese Brüder sämmtlich als Landgrafen zur Regierung des Ländchens gekommen und einer nach dem andern starb ohne männliche Nachkommenschaft. Die innigste Geschwisterliebe soll eines der schönsten Erbstücke dieser Familie gewesen sein. Wunderbarer Weise war es wiederum die Liebe, aber die trauernde, verschmähte, welche des Hauses Ende herbeiführte.

Noch bei Lebzeiten ihres Vaters, der erst 1820 starb, widerfuhr den beiden jüngsten der Brüder, Gustav und Ferdinand, das Mißgeschick, daß beide sich in ihre wunderschöne Nichte Louise von Dessau, mit, wie die Folge zeigt, ungewöhnlicher Gluth verliebten.

Die Prinzessin schien keine leichte Wahl zu haben. Beide Brüder standen im besten Mannesalter und in hohem militärischem Rang. Der siebenunddreißigjährige Gustav war kaiserlicher General-Major, der zwei Jahre jüngere Ferdinand sogar Feldzeugmeister. Die schöne Louise hegte jedoch einen höheren Ehrgeiz: die Kinderlosigkeit der älteren Brüder eröffnete für Gustav die nächste Aussicht auf den souverainen Thron von Homburg, und dies mehr, als der Umstand, daß er schöner, als sein jüngerer Bruder gewesen, bestimmte ihre Wahl. Am 12. Februar 1818 reichte sie dem Bevorzugten am Altare die Hand.

Der Verschmähte nahm im selben Augenblick Abschied vom höchsten Glück des Lebens: er blieb unvermählt.

Aber auch Louisens ehrgeiziger Traum ging in kaum andere als traurige Erfüllung. Zwar bescheerte ihr der Himmel einen Sohn, aber achtundzwanzig Jahre mußte sie auf die Erbschaft der souverainen Würde warten, denn erst 1846 segnete Landgraf Philipp, der letzte der drei vorangegangenen Brüder, das Zeitliche. Da endlich war’s erreicht. Zwischen Gatten und Sohn hielt die stolze Frau ihren Einzug in Schloß Homburg auf der Höhe und sah auf das schöne Land als regierende Landgräfin hinab. Dreiundfünfzig Jahre alt war sie geworden, ehe sie den Triumph errang, den die Schönheit ihrer Jugend ihr verheißen hatte. Und doch sollte das Glück, das so lange ersehnte, so kurz sein! Erst starb ihr Sohn, und schon am siebenten September des Sturmjahres 1848 vertauschte Landgraf Gustav seinen landgräflichen Thron mit der vorletzten Stelle in der Erbgruft seines Stammes.

So hielt denn, dreißig Jahre nach jenem verhängnißvollen Hochzeitstage, der einsame Ferdinand als der letzte Hessen-Homburger seinen Einzug in die Landgrafschaft.

Der einst Verschmähte war Herr des Schlosses und des Thrones, um deren willen er so Bitteres erlitten hatte. Er aber

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_647.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)