verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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ersten Frau auch sogar der angetraute Gemahl der Fürstin, mit der er auf dem schönen Schlosse Heiligenberg in tiefster Zurückgezogenheit lebte. Er besuchte auch mit ihr Wien zur Zeit des Congresses und erlebte dort den Glücksfall, die ältesten und vollständigsten jener Codices des Nibelungenliedes kaufen zu können, welche einst J. J. Bodmer auf dem Schlosse Hohen-Ems entdeckt hatte. Es waren jene Tage, die das Erwachen des geschichtlichen Sinnes, der Begeisterung für die deutsche Vorzeit und das Zerfallen der alten Verhältnisse begünstigten. Ueberall waren Klöster aufgehoben, Archive zerstreut, Schätze des Alterthums verzettelt, und waren nun die werthvollsten Documente als herrenloses Gut für geringe Summen zu erstehen. Die Sammler und Geschichtsforscher fanden ihren Eifer meistens glänzend belohnt. So gründete Joseph von Laßberg sein Privatmuseum von seltenen Manuscripten, Büchern und Kunstschätzen, das er in seinem Schlosse Eppishausen ausstellte, wohin er mit der Fürstin zog, als deren Sohn, Fürst Egon, die Regierung des mittlerweile mediatisirten Fürstenthums selbst übernahm.
Im Jahre 1822 starb die Fürstin, und mehr als zehn Jahre später holte sich Joseph von Laßberg, ein angehender Sechziger, seine dritte Gemahlin, die Freiin von Droste-Hülshoff, aus Westphalen, wie wir oben weitläufiger erzählt haben. In Eppishausen blieb er nur noch kurze Zeit mit derselben, er hatte die alte in prachtvoller Umgebung am Bodensee gelegene Meersburg erstanden, die einstige Residenzburg der Fürstbischöfe von Constanz. Er siedelte sich mit seiner Familie und allen seinen reichen wissenschaftlichen und archäologischen Schätzen in dem uralten, merkwürdigen Bau an. Eine große feuerfeste Halle, deren Gewölbe von mächtigen Pfeilern getragen war, faßte kaum die reichhaltige Büchersammlung. In einem besonderen Schrein, mit schweren eisernen Ketten angeschlossen, lag der Hauptschatz derselben, der alte Nibelungen-Codex, nur auserwählten Gästen wurde er in die Hand gegeben, losgekettet wurde er niemals. Es war dies bekanntlich eine mittelalterliche Sitte, Bücherschätze zu bewahren. Die andern seltenen Druckwerke auf Pergament oder altem Ochsenkopfpapier, darunter so manche Perle ältester deutscher Dichtung, hütete der Burgherr ebenfalls wie seine Augäpfel, aber er erwarb sich sehr bald den Ruhm, seine Schätze und Forschungsquellen für alle durchreisende Gelehrte offen zu halten und noch mit seinem eigenen reichen Wissen dieselben zu fördern. Die alte Meersburg wurde bald eine Art Herberge der Gelehrten, insbesondere der Forscher, welche der Wissenschaft deutscher Cultur, Kunst und Literatur sich widmen wollten.
Wohl wenige namhafte Männer von gelehrtem Ruf in diesen
germanistischen Studien mag es geben, die nicht wenigstens einmal
in dieser gastlichen Herberge eingekehrt sind. Die meisten
kamen oftmals und wurden stets Freunde und Verehrer des originellen
Burgherrn, der eigentlich selbst die interessanteste Merkwürdigkeit
seines Museums war. Die beiden Grimm, Uhland,
Görres, Wessenberg, Schwab, Pertz, Frommann,
Pfeiffer, Schott, Reinhold Köstlin u. A. – Männer vom
Rhein, aus Schwaben, Franken, der Schweiz, Oesterreich – alle
kosteten den Willkommbecher, den ihnen der alte Ritter und Meister
der Wissenschaft aus seinen: mit gutem Meersburger gefüllten
Keller darbot. Das rege Leben, welches dadurch auf der alten
Burg entstand, lockte auch andere Gäste herbei, und die herrliche
Schloßterrasse, wo die Freifrau aus Westphalen die köstlichsten
Blumen zog, war fast nie leer. Der Blick über den blauen See,
an dessen jenseitigem Ufer die dunklen Thürme von Constanz sich
wie eine schwarze Silhouette abzeichneten und die Alpen wie, eine
weiße Perlenkette über die andern Berge hinzogen, war unvergleichlich
schön, namentlich bei Sonnenuntergang, wenn der gluthrothe
Ball wie Johannis blutiges Haupt auf einer blauen Krystallschale
lag und so lange sichtbar blieb von der Höhe der Schloßterrasse,
wie dies niemals in der Ebene der Fall sein kann.
Es ist zu bedauern, daß Joseph von Laßberg nicht einen Theil seiner unermüdlichen Thätigkeit in der wissenschaftlichen Forschung seinem eigenen uralten Schlosse zugewendet hat. Er allein hätte noch nachweisen können, welche seltsame Schicksale dieser historischmerkwürdige Bau im Laufe so vieler Jahrhunderte erfahren hatte. Alle die Namen, deren Erinnerung dem Schlosse angehört, alle Ereignisse, deren Schauplatz darin war, hätten eine interessante Chronik im Styl des Meisters Sepp ausmachen können. Ein Thurm und das Kronwerk aus König Dagobert’s Zeit ragt unzerstörbar über das andere Gemäuer empor und birgt eine ganze Sagenwelt voll Schauerpoesie. Die Tage Conradin’s, vor seiner Römerfahrt, verflossen in der Meersburg und haben noch manche Spuren darin zurückgelassen. Die Bischöfe von Kostnitz (Constanz) ließen hier geheime Gänge durch die Felsen hauen, und der seltsame gelehrte und galante Cardinal Marcus Sitticus von Hohen-Ems[WS 1], Fürstbischof von Constanz und Erzbischof von Salzburg, hauste in der Meersburg mit seinem Lebensroman.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Marcus Psittiscus von Hohen-Ems
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_684.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)