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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der großen Katarakten des Columbiastromes, jenseit des Felsengebirges an der Straße nach den Goldminen von Idaho, und unsern Lesern vielleicht bekannt durch den umfänglichen Lachsfang, welchen die Indianer in der Nähe der erwähnten Stromschnellen betreiben. Der Ort wimmelte gerade von Fremden und Reisenden. Unter der bunten Menge derselben befand sich auch eine Anzahl von Mitgliedern der Presse, welche nach den Minen gehen wollten, um von dort aus ihren verschiedenen Blättern detaillirte Berichte einzusenden. Einer dieser Herren, ein Mr. Samuel Bowers, dem ich vorgestellt wurde, machte mir den Eindruck eines wohlunterrichteten und liebenswürdigen Mannes, so daß ich mich sofort zu ihm hingezogen fühlte und, nach Brauch und Sitte des Landes, manches Glas Branntwein und Wasser, manchen Sherry-Cobler und Whiskey-Toddy (beliebte amerikanische Getränke) mit ihm leerte, ja, wenn ich mich nicht ganz irre, einen regelmäßigen Briefwechsel mit ihm verabredete. Wie sehr war ich daher erstaunt, als ich am nächsten Morgen in einem in den Dalles erscheinenden Wochenblatts die nachfolgende Schilderung meines Freundes vom gestrigen Abend las: „Goldgräber und Bergleute, paßt auf! Unter anderen Hallunken, Dieben, Räubern, Kehlabschneidern und Lumpen im Allgemeinen war auch Samuel Bowers hier, der seither als Zeitungsredacteur, Schulfondsdieb und in mehreren ähnlichen Rollen thätig gewesen ist. Wir glauben, daß er sich auf der Reise nach den Minen befindet, in welchem Falle jeder rechtschaffene Goldgräber und Bergmann sich doppelt und dreifach in Acht nehmen möge, sonst wird Sam ihn ‚machen‘, das ist klar wie der Tag.“

Natürlich konnte ich nicht umhin, dem Bekannten, welcher mich mit Bowers in Verkehr gebracht, meine Verwunderung darüber auszusprechen, daß er mir zur Gesellschaft einer so anrüchigen Persönlichkeit geholfen hatte. „Ach,“ antwortete er, „was will denn das weiter sagen! Bowers ist vielleicht nicht gerade ein Tugendausbund, doch so schlecht nicht, wie ihn das Blatt hier machen will; er bekennt sich eben zu einer anderen politischen Meinung als die Leute hier herum, das ist der Kern der Geschichte. Wollen einmal abwarten, was die Blätter weiter stromaufwärts sagen.“

Und diese Blätter zögerten nicht sich vernehmen zu lassen. Eine im nächsten Dorfe herauskommende Wochenschrift druckte die ganze oben erwähnte Stelle ab und setzte als Commentar hinzu: „Sam hat unsern Ort passirt, ohne daß hier irgend etwas vermißt wird.“ Eine andere Zeitschrift fügte weiter bei: „Sam ist am Donnerstage auch bei uns gewesen, doch, soviel wir in Erfahrung bringen konnten, ohne daß der beweglichen Habe unserer Mitbürger Schaden geschehen wäre. Zwar munkelte man von einer Kinderklapper und einer rothglühenden Ofenplatte, welche fehlen sollten, allein es hat sich herausgestellt, daß dies nur leeres Gerede war.“

Der Redacteur der „Solano-Preß“ titulirt seinen Collegen vom „Herald“ einen einfältigen Esel, einen verächtlichen Köter, einen schmutzigen Hund und einen nichtswürdigen Lügner. Einer ähnlichen parlamentarischen Sprache befleißigt sich „der Staatsmann von Oregon“ mit Bezug auf einen andern Redacteur: „Wir drucken weiter unten eine niederträchtige, verruchte, fluchwürdige Lüge aus den Spalten des ,Oregon-Tageblattes’ ab. Nächste Woche, wenn wir Zeit und Raum dazu haben, wollen wir darauf entgegnen; für heute genüge dem ordinären, stinkmäuligen, ungebildeten Hunde zu wissen, daß wir ihn fortwährend im Auge behalten und daß er uns nicht entwischen kann.“

Es ist leicht begreiflich, wie dergleichen Persönlichkeiten gelegentlich zu sehr fühlbaren Handgreiflichkeiten ausarten; nicht nur zählen derartige Begegnungen zwischen den Redacteuren der rivalisirenden Blätter selbst zu den tagtäglichen Vorkommnissen, sondern finden oft genug auch zwischen Herausgebern und Publicum statt. Meistens bleibt es bei einfachen Prügeleien, und ich glaube, kein Zeitungsredacteur des fernen Westens darf sich rühmen, bei passender Gelegenheit nicht seine Tracht Hiebe davon getragen zu haben. Indeß auch ernstliche Ehrenhändel und blutige Angriffe, die leider häufig einen traurigen Ausgang nehmen, gehören zu den gewöhnlichen Abwechselungen des Westamerikanischen Redacteurs. So war der uns bekannte Herausgeber eines texanischen Blattes in der kurzen Zeit von sechs Monaten zweimal von Kugeln, ebenso oft durch Messerstiche verwundet, einmal mit einem „Todtschläger“ bearbeitet und einmal in einen liefen Teich geworfen worden, allen diesen Fährlichkeiten jedoch glücklich entkommen. In demselben Zeitraume erschoß er selbst zwei seiner Gegner im Zweikampf. Ein anderer Redacteur, Namens John King, der Herausgeber des „San Francisco-Herald“, wurde von einer Bande von Strolchen umgebracht, gegen deren ruchloses Treiben er in seinem Organe zu Felde gezogen war. Sein Tod gab den nächsten Anlaß zur Gründung jenes Vigilanz-Comité’s in Montana, welches ein interessanter Artikel der Gartenlaube unsern Lesern bereits früher geschildert hat. Zwar eine ungesetzliche Behörde, nur ein Act der Selbsthülfe und lediglich Volksjustiz, hat dieses Comité doch binnen Kurzem verhältnißmäßige Ruhe und Ordnung geschafft in Gegenden, wo vorher die wildeste Anarchie herrschte und Raub und Plünderung, Mord und Todtschlag an der Tagesordnung waren.

In einen Ort dieses gefährlichen Gebietes, der sich einer besonders zahlreichen Schaar jenes wüsten Gesindels zu erfreuen hatte, war ein neuer Zeitungsredacteur gekommen. Ein entschlossener Charakter, warf sich derselbe alsbald tüchtig in’s Zeug und ging in seinem Blatte dem Unwesen, welches die Schaar stiftete, nachdrücklichst zu Leibe, noch ehe das große Publicum ihn von Angesicht zu Angesicht kannte. Eines Morgens, nachdem er Tags zuvor einen besonders scharfen Artikel gegen die Bande losgelassen hat, sitzt er ruhig in seinem Büreau, als ein verdächtig aussehender vierschrötiger Gesell hereintritt und, die schwere Reitpeitsche schwingend, nach dem Redacteur fragt. Nichts Gutes ahnend, bittet der letztere seinen Gast, einstweilen Platz zu nehmen während er hinunter gehen wolle, um den Redacteur herbeizurufen, der auf einen Augenblick sich zum Nachbar hinüberbegeben habe. Auf der Treppe begegnet er einem zweiten unheimlichen Individuum, das, einen dicken Knüttel in der Hand, gleichfalls gebieterisch nach dem Redacteur verlangt.

„Der Herr Redacteur sitzt oben in seinem Bureau,“ antwortet er mit Geistesgegenwart; „belieben Sie sich nur hinaufzubemühen, Sir.“

Er läßt ein paar Minuten verstreichen, dann lugt er vorsichtig in das Zimmer und sieht, wie die beiden Strauchdiebe einer über den andern auf der Diele liegen und sich mit ihren Waffen nach Herzenslust bearbeiten. Jeder hatte den Andern für den verhaßten Redacteur gehalten, und bei der Wuth, welche in beiden kochte, war alle Verständigung unmöglich gewesen. –

Wer jemals eine amerikanische Zeitung in die Hand genommen hat, der weiß, welcher Raum in jeder Nummer dem Inseraten- und Reclamewesen gewidmet ist und daß dieses letztere, wie im amerikanischen Verkehrsleben überhaupt, so in der amerikanischen Tagespresse ganz besonders einen mächtigen Factor abgiebt. In der Presse des fernen Westens haben Anzeige und Reclame ihre vollkommenste Entwicklung gefunden. Hier annoncirt alle Welt; hier macht Jedermann und muß Jedermann Reclame machen, der Gelehrte und Künstler, der Pfarrer und Advocat so gut wie der Handels- und Gewerbsmann; hier ist ohne Klappern und zwar tüchtiges Klappern kein Handwerk denkbar, und dies wiederum wird die Ursache, daß eine so ungeheure Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften existiren kann. Jeder Anzeigende erwartet nun aber vom Redacteur des Blattes, dem er seine Ankündigungen zuwendet, daß derselbe, bei der erstmaligen Insertion einer Annonce, im redactionellen Theile der Zeitung mit kräftiger Lobposaune auf das bezügliche Inserat hinweist. „Unsere Leser werden bemerken,“ heißt es dann z. B., „daß die Herren Caleb Johnson & Co., Ecke der A- und der B-Straße (in vielen Städten Californiens werden die Straßen nur durch Buchstaben oder Zahlen von einander unterschieden) eine Restauration eröffnet haben, wo die reichlichsten Portionen von Speisen jeglicher Art zu den allermäßigsten Preisen zu haben sind. Wir rathen unsern Freunden auf das Angelegentlichste, dem neuen Etablissement ihren Besuch zu machen.“ Vorherrschend unter den Ankündigungen sind Empfehlungen von Hôtels, von Maulthierhändlern und Pferdeverleihern, nach unserm Geschmack in der Regel höchst wundersam gefaßt. „Concurrenz ist die Seele des Geschäfts!“ äußert sich ein Gastwirth im „Staatsmann von Idaho“. „Aber wenn ich Dich unter die Fäuste bekomme, Du bettelhafter, alter Schuft“ – das Compliment ist auf den Besitzer eines concurrirenden Hôtels gemünzt – „so schlag ich dir den Schädel ein; verlaß Dich darauf. Eine neue Aera ist angebrochen! Kommt nach dem … Hôtel und seht selbst. Alle Bequemlichkeit, die der Mensch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_762.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)