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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 49.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Erkennungszeichen.
Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


4.

Läßt sich wohl in diesem wechselvollen Leben etwas Glücklicheres finden, als ein junges Paar, im ersten gegenseitigen Besitz, der heitersten Gegenwart voll, mit frohem Vertrauen auf die Zukunft und jenem schönen Glauben an sich selbst und die Menschheit, wie er dem Glück und der Jugend eigen ist?

Otto Schaumberg empfand die ganze Fülle des neuen Daseins, das ihn umfangen hielt. Zum ersten Mal in seinem Leben lernte er den Genuß einer schönen Häuslichkeit kennen, schon darum das edelste aller irdischen Güter, weil es das einzige ist, das ohne Unterbrechung genossen werden kann. Der Reiz des gemeinsamen Lebens mit einer geliebten Gefährtin mußte um so lebhafter auf ihn wirken, als Elisabeth für das häusliche Leben wie geschaffen war. Ihr echt weibliches Bedürfniß, Allen, mit denen sie in Berührung kam, wohl zu thun, kam ihm in hundert unbedeutenden, aber freudig empfundenen Kleinigkeiten zu Gute; sie verstand es, gleichsam mit Feenhänden zu walten, geräuschlos jedem Wunsche zuvorzukommen und neben dem Behagen auch das Schöne zu pflegen. So einfach das materielle Leben des Paares auch eingerichtet war, empfing doch stets ein Eindruck von Festlichkeit und Fülle den jungen Arzt, wenn er von seinen Berufsgängen in seine Wohnung heimkehrte. Alles war dort so zierlich geordnet, immer gab es frische Blumen in den Zimmern, auf dem bescheiden servirten Tische erschien keine Frucht ohne malerische Blätterhülle, – überall ward dem Alltäglichen ein Reiz abgewonnen. Wenn sich die schöne Gestalt seiner jungen Hausfrau um ihn her bewegte, einfach, aber stets geschmackvoll und in helle Farben gekleidet, ward ihm so sonntäglich zu Muth, daß es oft über ihn kam wie ein Schauer von Freude und er sich gestand, bis heute nicht gelebt zu haben!

Gar manches Mal erzählte er dann Elisabeth von seiner freudlosen Kindheit, die ihm keine Erinnerungen an häusliches Glück zurückgelassen. Die blasse, stille Gestalt seiner Mutter schwebte nur noch unbestimmt vor seinem Geiste, nach ihrem frühen Tode hatte seine älteste Schwester die Erbschaft ihres Wirkens und ihrer Sorgen angetreten. Vor Allem ihrer Sorgen! denn dem stärkeren Einfluß der Mutter war es noch zuweilen gelungen, den Vater an das Haus zu fesseln, was die Tochter nicht mehr erreichte. Sein Vater war damals in –berg als Steuer-Rath angestellt, ein von der Stadt besoldetes Amt, dessen bescheidene Einkünfte in keinem Verhältniß zu seiner Neigung standen, das Leben zu genießen; beständig derangirte Geldverhältnisse waren die Folgen steter Ausschreitungen, und das Losungswort des inneren Familienlebens hieß: Entbehrung.

Nach solchen Rückblicken verdoppelte sich die Innigkeit Elisabeth’s. Sie gab sich ihm voll und ganz, alle ihre Gedanken, jede ihrer Beschäftigungen hatten nur Bezug auf ihn; sie schien nie daran zu denken, glücklich sein zu wollen, nur glücklich zu machen, und empfing die lebhaften Aeußerungen seines Dankes, seiner Zärtlichkeit mit einer Demuth, die gleichsam einen Schleier über die sprühende Lebhaftigkeit ihres Naturells warf. Diese Mischung von Feuer und Zurückhaltung, die Otto vom Anfang ihrer Bekanntschaft an aufgefallen war, gab dem Zusammenleben mit ihr, auch nachdem sie die Seine geworden, einen eigenthümlichen, mitunter sogar aufregenden Reiz. Es gab Augenblicke, wo er sich von ihrem plötzlichen Zurückziehen, ihrer schüchternen Unterwürfigkeit nicht angenehm berührt fand; doch waren solche Eindrücke immer nur blitzartig und ließen keine Spuren in seinem Herzen zurück.

Elisabeth hatte keines jener Salontalente geübt, die bei jungen Mädchen so häufig angeregt und so selten ausgebildet werden. Sie sang und spielte nicht, sie machte weder heimlich noch öffentlich Gedichte und verstand nichts zu zeichnen als ihre Stickmuster, – dennoch besaß sie ein Talent, das, selten gepflegt und wenig gekannt, zu denen gehört, die am tiefsten die Seele berühren. Sie las vorzüglich vor. In ihr beim Sprechen schon melodisches Organ kam, sobald sie las, ein eigenthümliches Klingen, das dem Ohr schmeichelte wie Musik und bis in das Herz des Hörers vibrirte.

Diese Gabe war für Otto eine Fundgrube glücklicher Stunden. Wenn er des Abends, körperlich ermüdet, in der Sophaecke lehnte, die alte Freundin seiner Junggesellenzeit, die Cigarre, im Munde, und Elisabeth dann das Buch zur Hand nahm, ward ihm wohl bis in’s Herz hinein. Den Blick unverwandt auf ihr schönes Gesicht geheftet, lauschte er mit Entzücken ihrem seelenvollen Vortrage; wenn dann bei einer Stelle, die sie tiefer berührte, die dunkeln Mandelaugen sich so plötzlich zu ihm erhoben und in raschem feurigem Blick die seinigen trafen, wallte es heiß in ihm auf und oft kostete es ihm Ueberwindung, sie nicht zu unterbrechen, um ihr eines von all’ den Liebesworten zu sagen, die ihm die Seele erfüllten. Doch klangen diese Eindrücke später in den Tönen seines Flügels nach, die in vollen Accorden die Hymne seines Glücks anstimmten.




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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_769.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2021)