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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

gelang es, zwischen den dichtgedrängten Schollen bis 75° 19´ nördlicher Breite vorzudringen. Da aber brach abermals ein Sturm von Osten aus, der die „Germania“ zwang sich im dichten Eise festzulegen und vorläufig mit demselben südwärts zu treiben. Am 16. Juni klärte sich zwar das Wetter wieder und man erblickte nun deutlich die nahe Küste Grönlands bis zur Sabine-Insel vor sich. Aber alle Anstrengungen, sich aus dem Eisgefängniß zu befreien, waren vergeblich. Erst am 22. Juni, nachdem man willenlos bereits bis 73° 3´ nördlicher Breite und 16° 9´ westlicher Länge zurückgetrieben war, lockerte sich das Eis und nach schwerer Arbeit gelang es nun endlich wieder das offene Wasser zu erreichen. Das Schiff hatte seine erste Probe bestanden, der erste Kampf mit dem furchtbaren Polareise war durchgekämpft.

Wenige werden im Stande sein, sich eine richtige Vorstellung von den Schrecken dieses Kampfes und von den Anforderungen zu machen, die er an den Muth und die Geistesgegenwart des Seemanns stellt. Der berühmte Nordpolfahrer Hayes entwirft ein ergreifendes Bild von einem ähnlichen Kampfe, den er am Eingänge in den Sinithsund zu bestehen hatte, und ich kann mich nicht enthalten, diese Schilderung hier einzuflechten, da sie dem Leser das beste Verständniß der Schwierigkeiten giebt, an welchen ein Theil der Erfolge unserer Nordpolexpedition scheiterte. Hayes hatte es während eines heftigen Sturmes versucht, durch enge Canäle im Eise sich in das jenseits lockende offene Wasser durchzuarbeiten. Aber die Eisflarden halten sich zusammengedrängt, die Canäle verschlossen und selbst den Rückgang versperrt. „Die Scene um uns,“ schreibt er, „war ebenso imposant als beunruhigend. Außer Erdbeben und Vulcanen giebt es in der Natur kein Schauspiel, dessen Gewalt sich mit den arktischen Eisfeldern vergleichen läßt. Wo die Flarden zusammentrafen, wurden große Bergrücken aufgeworfen, um wieder unterzutauchen, wenn der Druck in einer andern Gegend ausgeübt wurde, und diese pulsirenden Erhebungslinien, die in manchen Fällen eine Höhe von nicht weniger als sechszig Fuß – höher als unser Masttop – erreichten, sprachen über das um uns liegende Meer hin von der Stärke und Macht des Feindes, der uns bedrohte. Wir hatten uns in einen dreieckigen Raum hineingearbeitet, den drei sich berührende Eisfelder bildeten. Anfangs gab es reichlichen Platz uns herumzudrehen, wenn auch keine Aussicht zum Entkommen war. Aber die Ecken der schützenden Flarden wurden langsam abgedrückt und der Raum verengte sich mehr und mehr. Wir lauschten auf das Knackern und Knirschen des Eises und beobachteten mit Bestürzung das Vorrücken desselben. Endlich berührte das Eis den Schooner und es schien, als ob sein Schicksal besiegelt wäre. Er stöhnte wie ein selbstbewußtes Wesen bei Schmerz, krümmte und drehte sich, als wollte er sich seinem Gegner entwinden, und zitterte an allem Holzwerk von der Klote bis zum Kielschwein. Seine Seiten schienen nachzugeben, sein Deckgebälk bog sich in die Höhe und die Nähte der Deckplanken öffneten sich. Das Eis auf der Backbordseite arbeitete sich allmählich unter den Bauch des Schiffes und hob es endlich mit einem Ruck, der uns Alle taumeln machte, aus dem Wasser. Da die Eisflarden noch immer vorwärts drückten und, indem sie sich an einander drängten, zerbrachen, so stapelte sich unter und rings um uns ein großer Bergrücken auf und wir sahen uns langsam in die Luft steigen, als würden wir durch die hebende Kraft von tausend Schrauben emporgetrieben. In dieser Stellung lagen wir acht angstvolle Stunden. Endlich hörte das Krachen auf; der Wind hatte sich gewendet und die ungeheuren Eisflarden, die sich den Sund hinabdrängten, richteten ihren Lauf mehr nach Westen. Hier und da zeigten sich in dem bisher dicht zusammengepackten Eise kleine Fleckchen offenen Wassers. Die Veränderung der Scene war, obgleich weniger furchtbar, doch nicht weniger zauberhaft als zuvor. Bald dehnte sich die Bewegung auf die Eisflarden aus, die uns so unbehaglich fesselten, und sowie der Druck aufhörte, wichen die Eisblöcke, welche den vorderen Theil des Schooners trugen, und ließen, während die Buge ihnen folgten, das Hintertheil hoch in der Luft. So lagen wir einige Augenblicke ruhig, dann begann die alte Scene von Neuem. Die äußere Flarde, die uns hielt, wurde von einem anderen sich bewegenden Felde von größerem Umfange erfaßt und wieder ging das Einzwängen los, wieder schienen wir in so großer Gefahr wie vorher zu sein. Aber der Angriff war von kurzer Dauer. Die Flarde wälzte sich um und wir fielen, da der Druck fast augenblicklich beseitigt war, in’s Wasser und taumelten, während das Eis, sein Gleichgewicht suchend, sich kopfüber und in wilder Verwirrung von seiner erzwungenen Erhebung unter uns senkte, vorwärts und rückwärts und von einer Seite zur andern.“

Das ist nur eine der wilden und gefahrvollen Scenen, wie sie sich zu Tausenden in dem Kampfe mit dem Treibeis des Polarmeeres ereignen. Solch ein ernster Kampf war es auch, den unsre kleine „Germania“ bei ihrem ersten Versuch, die grönländische Küste zu erreichen, zu bestehen hatte. Aber sie hielt sich wacker und entging siegreich dem drohenden Untergänge, wenn auch erst nach vierzehntägiger angstvoller Haft, und wenn sie auch manche Wunde davon getragen, manche Eisenplatte verloren hatte. Ungebeugt durch die eben bestandene Gefahr, versuchte es der kühne Führer sogar noch einmal, längs der Eiskante hinfahrend einen Durchgang nach Norden zu finden. Aber Nebel und östliche Winde erschwerten die Fahrt, und das Eis zeigte sich überall so dicht, daß an ein Eindringen nicht zu denken war, selbst wenn man wahnwitzig genug hätte sein wollen, es bei diesem heftig wehenden Ostwinde zu versuchen. Einmal, als man in eine Bucht der Eiskante eingefahren war, gerieth man bei dichtem Nebel in ein zerbröckeltes Eisfeld, aus dem man nur mit großer Mühe wieder herauskam. Die Aussichten waren trostlos. Auch die Aussagen der Walfischfänger, denen man an der Eiskante begegnete, lauteten wenigversprechend. Noch in keinem Jahre hatten sie das Eis hier so dicht gefunden; nirgends hatten sich Buchten oder Gassen im Eise gezeigt, in die man einfahren und in denen man seinen Fischfang hätte betreiben können.

Da entschloß sich Koldewey am 30. Juni seine nutzlosen Versuche aufzugeben und sich, wie es ihm seine Instructionen für diesen Fall vorschrieben, nach Spitzbergen hinüberzuwenden, um dort sein Glück zu versuchen. Schon am Morgen des 3. Juli erblickte man die Südwestküste von Spitzbergen und umsegelte in dichtem Nebel das Südcap. Da das Eis im Osten sich ziemlich lose zeigte, so steuerte man in dasselbe hinein. Das Schiff hatte zwar wieder harte Stöße zu erleiden; aber man achtete ihrer nicht mehr, nachdem man die Stärke des Schiffes kennen gelernt hatte. Zwei Tage lang war man so in nordöstlicher Richtung vorgedrungen; aber der Erfolg war ein geringer, da eine unerwartet starke Südwestströmung entgegenwirkte. Inzwischen hatte sich das Eis im Norden und Osten immer dichter zusammengepackt, so daß jede Hoffnung schwand, in dieser Richtung noch weiter vorzudringen. Ein heftiger Nordsturm, der in der Nacht zum 6. Juli ausbrach, zwang endlich zu dem Entschlusse, wieder aus dem Eise herauszusteuern. Nach langen und schweren Kämpfen gelang es; aber jeder Versuch, abermals nach Osten vorzudringen und etwa um die „Tausend Inseln“ im Süden von Stans-Vorland herum zum Gillislande zu gelangen, blieb vergeblich. So entschloß man sich denn, wieder nordwärts zu steuern und sich zunächst der Westküste Spitzbergens zuzuwenden, um dort im Bellsund Wasser und Ballast einzunehmen. Es blieb ja noch die Möglichkeit im Norden Spitzbergens das durchzusetzen, was im Süden so vergeblich versucht war. Vom Bellsund richtete daher die Germania ihren Lauf gerade nach Norden der nördlichen Eisbarrière entgegen. Am 19. Juli befand sie sich unter 80° 13` nördlicher Breite und 6° 35´ östlicher Länge von Greenwich, aber auch hier fand sie nirgends einen Durchgang, starrte ihr überall eine unüberwindliche Eisschranke entgegen, die sich unabsehbar von Westen nach Osten hinzog.

Noch einmal wandte sich Koldewey darum nach Westen, der grönländischen Ostküste zu; aber seine Hoffnung, jetzt günstigere Verhältnisse dort zu finden, als vier Wochen vorher, ward getäuscht. Bis zur Mitte August wurde Alles aufgeboten, die Küste zu erreichen. „Wir haben unser kleines Fahrzeug,“ schrieb Hildebrandt am 27. August, „gegen die Eisschollen anrennen lassen, wir haben uns hineingebohrt, um nur zollweise unsre Westlänge zu erreichen. Was half’s? Nachdem unser Schiff stark gelitten, waren wir endlich auf 73° 30´ nördlicher Breite und 18° westlicher Länge. Wir sahen die Küste so klar und deutlich vor uns, daß es uns schien, als müßte es nun bald gelingen, hinüberzukommen. Unsre Freude wurde erst recht groß, als wir in freies Wasser kamen. Aber dahinter erstreckte sich ein unabsehbares Eisfeld, welches fest auf dem Lande lag. Alle Versuche, die Küste zu erreichen, erwiesen sich als fruchtlos. Die ganze Küste von der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_790.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)