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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

So ist Schad zum Mönch geworden. Im Frühjahr 1778 zog er in Banz ein. Er freute sich, wie er später sagte, unaussprechlich auf den Himmel, der ihm auf Erden verheißen war. Und wem, wie jetzt uns, diese Klosterpracht im schönsten Land vor Augen steht, sollte der nicht meinen, hier sei eine Herberge reinsten Menschenglücks gegründet? Dennoch verstand man es hier, allem Menschlichen solchen Zwang und solche Schmach anzuthun, daß schon nach zehn Jahren derselbe Schad als unglücklicher Pater Roman zu dem Ausruf getrieben wurde: ‚Nichts Verruchteres auf Erden als der Mönchsgeist!‘“

Hier wurde Heeringen, der sich in eine liebenswürdige Aufregung hineingesprochen hatte, unterbrochen, indem eine prächtige Ueberraschung über uns kam. Frische, lustige Stimmen wurden laut, und herein zur Terrasse prasselte förmlich eine Schaar von Knaben und Jünglingen, lauter rothbäckige, kerngesunde Bursche mit richtigen Funkelaugen, die einen wahren Waldduft um sich verbreiteten. Rasch machten sie sich über die Aussicht her, sie wußten ziemlich Bescheid, die jungen Leute und ihre Führer, Heeringen half freundlich zum Fehlenden, und so wurde das Stück Natur mit kräftigen Zügen und ohne sentimentalen Aufschrei abgenossen. Zum Dank dafür sang die Schaar, vierstimmig und rein, ein Turnerlied in die schöne Gegend hinein und zog dann, mit flottem Gruß, so flink ab, wie sie hereingekommen war. Sie hatten wirklich Thüringer Waldluft mitgebracht, denn es waren Keilhauer Schüler, wie wir nachher im Wirthshaus erfragten.

„Das war eine Erquickung!“ begann Heeringen wieder. „Nun wird’s uns noch schwerer werden, nach solch einem Anblick an all das Klosterelend zu glauben, welches Schad als Banzer Geheimnisse der Welt verrathen hat. Ich will es kurz machen. Das Knaben-Ideal von Mönchsherrlichkeit verzerrte sich zu einer Wirklichkeit von wahrhaft kindischem Despotismus. Blinder Glaube und blinder Gehorsam ward ihm als erstes Ordensgebet vom Novizenmeister eingeschärft: blinder Gehorsam selbst gegen unmoralisch-erscheinende Befehle der Oberen, denn in diesen hatte er die Stellvertreter Gottes zu verehren und anzubeten, wie ihnen denn überhaupt jede Dienstleistung knieend dargebracht wurde. Der sogenannten Mönchssünden waren unzählige, denn jedes unbedeutendste Versehen galt als eine solche und mußte bekannt werden, indem der Sündige mit dem ganzen Leibe sich vor dem Oberen auf den Boden warf. Trotz dieser Menschenentwürdigung blieb Schad seinem Vorsatz getreu und legte mach seinem Novizenjahr die Klostergelübde als Pater Roman ab.

Anstatt nach diesem letzten Schritt endlich den inneren Frieden zu finden, versank er in einen immer trostloseren Zustand, indem ihn bald sein Dünkel der Mönchsheiligkeit als einen Hochgeweihten über dem allgemeinen Sündenpfuhl der Welt schweben ließ, bald die siegende Sinnlichkeit ihn bis nahe zum Selbstmord trieb. Wie weit die Peinigung in Folge unterdrückter Triebe der Natur ging, ist fast unglaublich. Sogar der Chorgesang ward zur Versuchung, wenn an großen Marienfesten das Brevier mit gewissen Stellen aus dem Hohen Liede ausgeschmückt war. ,Oft‘ gesteht er, ,verfolgte mich der weltliche Sinn der Worte bis zum Throne der Gottheit, denn wenn mir in der heiligsten Umarmung der Braut des heiligen Geistes einfiel, daß dieselbe ebenfalls eine weibliche Brust habe, so mußte ich selbst vor meinem Heiligsten als vor einer sündigen Versuchung fliehen!’

Dieser durch heilige Bilder und Gesänge erregte Kampf gegen die sinnlichen Eindrücke war im Kloster ein sehr verbreiteter, nur äußerte er sich in verschiedener, oft geradezu unfläthiger Weise. Ein schamloser Eiferer gegen Frauen und Frauentracht erwarb sich den den Lieblingsgegenstand seines Hasses genug bezeichnenden Spottnamen: der Brustflecksprediger. Die Meisten suchten den Teufel der Verführung durch heftiges Ausspucken zu vertreiben. – Wenn nun schon die Bilder der schönen Madonnen, das Hohe Lied Salomonis und die ländlichen Kirchenbesucherinnen in ihrer volksthümlich-sittsamen Tracht den Mönchen soviel sinnliche Anfechtungen bereiteten, so können Sie, junger Ketzer, sich einen Begriff von dem Sturm machen, den damals ein fürstlicher Besuch im Kloster herovrrief. Die Herzogliche Familie von Koburg kam zu Gaste zum Prälaten von Banz, und zwar mit dem Herzog und der Herzogin auch deren älteste drei Töchter: die neunzehnjährige Prinzessin Sophie, nachmals Gräfin Meusdorfs, Antoinette, die achtzehnjährige Braut des Herzogs von Würtemberg, und Juliane, damals sechszehn Jahre, später Großfürstin von Rußland, – alle drei von Antlitz und Gestalt in bezauberndster Schönheit strahlend. Vor solchen Gästen, an die sich noch ein Gefolge von Hofherren und Damen schloß, strich der galante Abt alle Paragraphen der Ordensstatuten. Die so entsetzlich gefährliche Gesellschaft flatterte von Zelle zu Zelle, die nie ein weibliches Füßchen betreten, und schließlich sogar in’s Refectorium, wo eben sämmtliche Mönche zu Tische saßen. Und da geschah denn das Ungeheuere, daß all diese Teufelsspucker und Brustflecksprediger die weiblichen Reize, die sie an der Madonna, nur gemalt und verhüllt, schon zu so erbittertem Kampfe mit dem unheiligen Fleisch entzündeten, nun von frischestem Leben pulsirend und in nächster Nähe vor sich sehen mußten! Viele Wochen lang wirkte das Unheil, das dadurch angestiftet wurde, nach, und wenn je, so bot diesmal der Verdammungslehrsatz ihnen die einzige und letzte Rettung. Mehr ist nie vor- und nachher im Kloster ausgespuckt worden, und täglich hörte man den schwerentpreßten Ausruf: ‚Und sie sind doch nur Ketzer und Teufel, Teufel, Teufel!‘

Der Frevel – Mensch zu sein, erschien als der ärgste in diesen frommen Hallen. Daher waren schon die Klosterpönitenzen dazu angethan, alles Gefühl für Ehre, Selbstachtung und Vernunftwürde gleich im jungen Mönche zu ersticken. Die gewöhnlichste Strafe war das Bodensitzen, bei welchem der Delinquent, während die übrigen Mönche bei Tische saßen, die ihm zugetheilten Speisen wie ein Hund auf dem Boden des Speisesaals verzehren mußte. Der Glöckner hat uns verrathen, daß Schad dazu sehr oft verurtheilt wurde.

Zum Frevel – Mensch zu sein, gehörte ferner die Benutzung der Augen zum Sehen. Die himmlisch schöne Aussicht von den Fenstern der Clausur zu Banz war nur zur Versuchung der Mönche da: wer bei dem Genuß dieser Aussicht ertappt wurde, dem war der Hundetisch sicher. Das Mönchsverdienst dieser Abtödtung der Sinne bezog sich auch auf die Stimme; Vergehen gegen das Schweiggebot wurden ebenfalls streng bestraft.

Die Krone der Entmenschung bestand aber in der doppelten Pflicht, nicht nur jede Lüge, Verleumdung und Lästerung von Seiten der Oberen über sich ergehen zu lassen, sondern auf ihren Befehl sich selbst zu lästern. Und auch dieser Mönchspflicht ward zu Banz im geheimen Innern gehuldigt, während man nach außen sorgfältig die Glorie der Aufklärung wahrte.

Sieben Jahre lang hatte Pater Roman auf diesen Wegen des blinden Glaubens und der Autorität seine Seelenruhe gesucht und nichts als einen zerrütteten Leib und Geist gefunden; da warf eine schwere Nervenkrankheit ihn auf das Lager – und mit seiner leiblichen Genesung trat er in seine geistige Krisis. Zum ersten Mal wagte er, zu prüfen! Die Grundsätze des Mönchsstandes waren der erste Gegenstand, dessen kritische Zerlegung er noch zitternd vornahm. Mit dem Erfolg wuchs ihm der Muth, Schritt vor Schritt gerieth er weiter und endlich bis zu den unfehlbaren Glaubenslehren der Religion selbst. Schon im Jahre 1788 war er an der Hand der Philosophie soweit gekommen, daß er in einem Liede jubelnd ausrufen konnte: ‚Nun bin ich wieder Mensch!

Schon damals hatte er einen so lichtvollen Standpunkt gewonnen, daß er die Fesseln des Mönchthums, die er innerlich bereits abgeworfen hatte, auch äußerlich hätte abwerfen können. ‚Jetzt aber,’ sagt er, ‚entschloß ich mich, diese Fesseln nun mit voller Geistesfreiheit zu tragen, um meinen Glaubensgenossen und Ordensbrüdern nützlich zu werden.’ Im Jahre darauf ging er mit einer Volksschrift gegen das Klosterunwesen heraus, in welcher er namentlich alle Opferstöcke des gewinnsüchtigen Aberglaubens der Mönche umwarf und ihre Thorheiten mit der Geißel der Satire peitschte. Von diesem Augenblick an ward das bisherige Fegefeuer des Klosters ihm zur Hölle, die er selbst durch jede neue Schrift nur stärker heizte. Man zieht den Hut ab vor einem Helden der Ueberzeugung, der noch zehn Jahre lang den Kampf im Kloster gegen die gefährlichsten Feinde, seine mächtigen Oberen, kühn und offen fortsetzte. Zu welchen Mitteln diese Oberen endlich griffen, um den lästigen Mönch – nicht etwa los zu werden, denn dagegen setzten sie jede Vorsicht in Bewegung, sondern zum Schweigen zu bringen, das erzähle ich Ihnen heute nicht, das lesen Sie später selbst in seiner ,Lebens- und Klostergeschichte’, in welcher der Befreite eine erschütternde Beichte über seine Vergangenheit vor der ganzen Nation ablegt. Erst als Schad sein Leben selbst gefährdet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_010.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)