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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ein preußischer Richter.

Charakterbild von Siegfried.

Vor vierzehn Tagen wurde in den Berliner Bezirksvereinen ein seltenes Fest begangen: Die Gedächtnißfeier für einen Todten. Nicht für einen jener gigantischen Heroen, die einen blutigen Lorbeer auf ihre Stirn drücken, nicht für einen Helden der Wissenschaft und Kunst, dessen Wirksamkeit bleibende Spuren in großen Werken hinterlassen hat, nein, für einen Mann, der die Verehrung eines dankbaren Volkes einzig und allein der treuen Pflichterfüllung verdankt, mit welcher er das ihm von seinem Staate und Könige übertragene Amt verwaltete, ohne Rücksicht auf die Stömungen der Zeit, ohne Rücksicht auf die Winke der Gewalt, ohne Rücksicht auf die Lockungen der Macht. Der Gefeierte war der Repräsentant des alten unabhängigen Gerechtigkeitssinnes geworden, der seit dem großen Könige den Ruhm des preußischen Richterstandes gebildet hat. Von ihm mehr als von Anderen gilt das Dichterwort:

Denn wer den Besten seiner Zeit genug gethan,
Der hat gelebt für alle Zeiten.

„Es giebt noch Richter in Berlin!“ Wer von den Tausenden, die am 23. November 1868 am Grabe eines der edelsten Bürger der preußischen Hauptstadt standen, erinnerte sich nicht dieses stolzen Wortes, das dereinst die glänzendste Devise der absoluten preußischen Monarchie bildete? Ja, der Geheime Justizrath Taddel, dessen sterbliche Ueberreste an diesem Tage der Erde übergeben wurden, war einer dieser „Berliner Richter“; er gehörte jener altpreußischen Richterschule an, welche schon ein Friedrich der Große wohl zu brechen, aber nicht zu biegen vermochte. Der große König war wohl im Stande, die Mitglieder seines Kammergerichts auf die Festung zu schicken, aber nicht einen ungerechten Spruch von ihnen zu erzwingen! An dem Grabe des Verewigten stand auch jener Mann, dessen Proceß durch den Tod des greisen Taddel in der Erinnerung seiner Zeitgenossen wieder erweckt worden ist, welcher den altpreußischen Ruhm gewissenhafter Pflichttreue und richterlicher Unabhängigkeit in neuem Glanze erstrahlen ließ.

Gustav Ferdinand von Taddel.

Es war eine der trübsten Perioden der preußischen Geschichte, als nach der Auflösung der Nationalversammlung, nach der Ablehnung der Kaiserkrone im Jahre 1849 der Belagerungszustand über Berlin verhängt war. Es war die Zeit der politischen Processe, einer rastlosen Verfolgungssucht die sich an die Fersen aller derer heftete, welche sich an der Bewegung betheiligt hatten. In Berlin herrschte, selbst über den Willen der Minister hinaus, der allmächtige Wille eines Hinckeldey. Gott sei Dank, derartige Zustände können und werden nicht wiederkehren!

Ein Mann nur schien vor jeder Verfolgung geschützt, weil ein makelloses Leben, das selbst der Verleumdung keinen Spielraum gewährte, weil ein streng-parlamentarisches Wirken keine Handhabe bot, ihn anzugreifen. Allein die im Finstern schleichende Lüge und der grimme Haß der Reaction wußten auch hier Rath. Auf Grund gefälschter Schriftstücke wurde der Führer der äußersten Linken in der Nationalversammlung, der Obertribunalsrath Waldeck, am 16. Mai 1849 verhaftet und mit einem elenden Spion, dem Handlungsdiener Ohm, nach fast siebenmonatlicher Haft unter der Anklage vor die Geschworenen gestellt: von einem hochverrätherischen Unternehmen, das den Umsturz der Verfassung und die Gründung einer social-demokratischen Republik beabsichtigte und gleichzeitig gegen das Leben des Königs von Preußen gerichtet war, Kenntniß gehabt zu haben, ohne dieses Unternehmen der Behörde pflichtmäßig anzuzeigen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_101.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2022)