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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Blätter und Blüthen.


Eine junge Königin. Im Jahre 1834, dem denkwürdigen Weinjahre, besuchte ein junger katholischer Geistlicher von guter Erziehung und den gefälligsten Umgangsformen, dessen äußere Erscheinung auch eine sehr empfehlende war, in der Eigenschaft als Hauscaplan im Gefolge einer fürstlichen Familie Bad Ems. Seine Obliegenheiten waren kaum nennenswerth, denn nachdem er in Gegenwart der Familie ziemlich früh am Morgen in der Capelle zum Spiß, dem Bade gegenüber, Messe gelesen, war er mit Ausnahme der Mittagstafel, bei der er die Gebete zu sprechen hatte, den ganzen Tag sein eigner Herr. Diese Freiheit benutzte er dazu, botanische und mineralogisch-paläontologische Excursionen, wozu die Umgebungen des berühmten Curortes reichliche Gelegenheit darboten, zu unternehmen; oder wenn das Wetter – wie im Sommer 1834 selten vorkam – hierzu nicht geeignet war, auf der Promenade neue Bekanntschaften zu machen und schon gemachte zu pflegen. Sein geistlicher Stand, der sonst so leicht Zurückhaltung erweckt, war ihm dabei wegen der Milde seiner Grundsätze und der Liebenswürdigkeit seines Charakters durchaus nicht im Wege, er war vielmehr – und besonders bei den Damen – ein sehr gesuchter Gesellschafter.

Unter den Badegästen, welche in derselben Saison die Aufmerksamkeit des Curpublicums auf sich zogen, befand sich eine junge Dame, die in der Curliste als Gräfin von Lamego aus Portugal aufgeführt war. Sie trat, obgleich noch sehr jugendlich und eine Schönheit ersten Ranges, doch anspruchslos und für diejenigen, welche sich ihr nähern zu können das Glück hatten, höchst gewinnend auf. Sonst war aber ihre ganze Erscheinung eine ehrfurchtgebietende, und aus ihrem Benehmen und dem ihres Gefolges mußte man schließen, daß sie von ebenso hoher wie reicher Abkunft sei. Es war daher nicht zu verwundern, wenn dieses interessante Wesen bald der Gegenstand allgemeiner Bewunderung und achtungsvoller Huldigung wurde.

Die junge Gräfin von Lamego besuchte jeden Morgen mit einer ihrer Camareras die Messe des fürstlichen Hauscaplans und wußte nach Beendigung derselben – indem sie ihm Geld für die Armen zu geben oder sonst etwas zu sagen hatte – es fast jeden Tag so einzurichten, daß sie unter seinem Geleit auf der Promenade erschien. Sie unterhielt sich dann so angelegentlich und herzlich mit ihm, als wenn er zu ihr oder ihrer Familie in den engsten Beziehungen gestanden hätte. Dieser Umgang, obgleich von Seiten der Betheiligten in unschuldigster Weise gepflegt, mußte doch Aufsehen erregen, und so wurde auch der Pfarrer vom Spiß, ein wohlwollender, dem jungen Hauscaplan aufrichtig ergebener Mann, hierauf aufmerksam und suchte in Gegenwart desselben auf das vielbemerkte, wenn auch nicht verdächtige Verhältniß zu der schönen jungen Portugiesin hinzuweisen. Diese Theilnahme hätte aber für die jungen Leute, die nichts Bedenkliches in ihrem arglosen Umgange fanden, durch Erkenntniß ihrer Lage gefährlich werden können, wenn nicht ein anderer Umstand dazwischen gekommen wäre und der Sache eine ganz unerwartete Wendung gegeben hätte.

Als nämlich der Hauscaplan eines Morgens die Messe gelesen und sich vergebens nach seiner lieblichen Begleiterin umgesehen hatte, kam er etwas verstimmt auf die Promenade und bemerkte hier eine ganz ungewöhnliche Aufregung, welche, wie der Wind einen Haufen dürrer Blätter, die ganze Bade-Gesellschaft in höchstem Erstaunen durcheinander wirbelte. Der Caplan, welcher sich in diesem allgemeinen Sturm anfangs wenig beachtet sah, ließ auch hier seine Augen umsonst nach der schönen Portugiesin umherschweifen – er wurde aber bald von mehreren Matadoren der Saison und einigen Löwinnen bemerkt und sofort wegen des Ereignisses ausgeforscht, welches die Curgäste so in Anspruch genommen hatte. Er sollte und mußte es gewußt haben, und seine Schweigsamkeit war allein daran schuld, daß man so spät die Wahrheit erfahren hatte!

Nur mit vieler Mühe gelang es dem jungen Caplan, die Stürmenden zu beruhigen und herauszubringen, daß sich vor einer halben Stunde das Gerücht verbreitet habe, die so allgemein gefeierte Gräfin von Lamego sei die Königin Maria da Gloria von Portugal und habe diesen Morgen durch einige Couriere von verschiedenen Seiten die Aufforderung erhalten, unverweilt ihr Reich in Besitz zu nehmen. Diese Nachricht traf den jungen Geistlichen wie ein Donnerschlag, und kaum war er fähig, seine äußere Ruhe zu behaupten und sich anscheinend unbefangen unter die Gesellschaft zu mischen, von wo er unbeachtet sich nach seinem Quartier zurückziehen könne, als eine tief verschleierte Dame dicht an ihn herantrat, ihm einen Zettel in die Hand drückte und dann, wie ihn erwartend, in einiger Entfernung stehen blieb.

Auf dem Zettel, den er verstohlen las, stand nur: „Ich erwarte Sie! M.“ – Indem er, dieser Aufforderung entsprechend, der Dame, in welcher er die jüngere der Camareras zu erkennen glaubte, langsam folgte, bestürmten ihn die wehmüthigsten Gefühle. Er war nun mit einem Male aus dem Himmel der seligsten Empfindungen, die sein Herz zum ersten Mal erfüllten, ohne daß er sich dessen bewußt gewesen wäre, in die rauhe Wirklichkeit hinausgeschleudert und sein Paradies auf immer verschlossen. Wenn sie aber auch nur eine schlichte Bürgerstochter gewesen wäre, so hätte ihm ja doch sein Stand jede weitere Annäherung an das holde Geschöpf, wie sie bisher in aller Unschuld geschehen war, untersagt. Er war indeß auch ein Mensch und konnte es nicht verhindern, daß sein warmes Herz für die hochgeborene Königin eben so laut schlug, als wenn sie in der Hütte der Armuth geboren und er durch kein Gelübde gebunden gewesen wäre.

In diesem bewegten Zustande betrat er, von der jungen Camarera geführt, zum ersten Mal das jungfräuliche Heiligthum der fünfzehnjährigen Königin.

Ein unnennbares Weh bemächtigte sich seiner, als sie ihm, nachdem er aus dem Vorzimmer in ihr Gemach geführt, in all’ der süßen Anmuth, aber doch bekümmert entgegentrat und ihm, der unwillkürlich auf ein Knie niedergesunken war und kaum aufzublicken wagte, mit Thränen in den holden Augen die Hand reichte. Als er aber diese Hand, die in der seinigen zitterte, mit seinen Lippen berührte, mischten sich ihre Thränen auf derselben und sie beugte sich, wie von heftigem Schmerz ergriffen, über ihn.

Sie faßte sich jedoch zuerst wieder, forderte ihn auf, sich zu erheben, und dann erzählte sie ihm mit tief bewegter Stimme den Lauf der Begebenheiten, welche sie auf den Thron von Portugal erhoben. Obschon noch so jung und schon eine Königin, verhehlte sie sich doch nicht, daß die Krone ihres Reiches eine Dornenkrone werden könne und ihr Thron auf einem Vulcan stehe, sie überreichte ihm zum Andenken an die verlebten glücklichen Tage ihr in ein kostbares Medaillon gefaßtes Bildniß und entließ ihn dann schmerzerfüllt, wie sie ihn empfangen hatte. So waren sie denn auf immer geschieden und Beider süßes Jugendglück zerstört.

Der Hauscaplan, jetzt ein ehrwürdiger Greis und Seelsorger einer großen, ihn hochverehrenden Gemeinde, hat den Schmerz der Trennung standhaft ertragen und wurde glücklich in seinem geistlichen Berufe; die schöne, von aller Welt hochgefeierte junge Königin aber wurde vom herbsten Geschick verfolgt und sank, von ihrem Volk, mit dem sie es so wohl meinte, fast unbeweint, in ein frühes Grab!




Ein Mäusezug. Es war vor einigen Jahren, als ich eines Tages, als Lehrer an der hiesigen Bürgerschule, den Nachmittagsunterricht um ein Uhr begann. Auf dem Lectionsplane stand Lesen. Der Unterricht mochte etwa eine halbe Stunde gedauert haben, als derselbe plötzlich durch lautes Aufschreien der in den ersten Bänken befindlichen Kinder gestört wurde. Dieselben sprangen auf ihre Sitzbänke, ja einige sogar auf die Tische und sahen alle ängstlich nach einer Stelle hin. Ich, der ich mich in der Nähe der ersten Bank befand, wandte mich um, die Ursache dieser Störung zu entdecken, und bemerkte denn auch sogleich, daß unter dem zwischen der Wand und dem Pulte befindlichen ungefähr fünf Zoll hohen Trittbrette etwa sechs oder sieben Mäuse hervorgekommen waren, die sich in einer Linie und so dicht hinter einander fort bewegten, daß die zweite den Kopf auf den Rücken der ersten, die dritte ihren Kopf auf den Rücken der zweiten gelegt hatte u. s. f.: ja es schien fast, als ob alle sechs oder sieben Mäuse auf diese Weise an einander befestigt seien. Als ich hinsah, war der Mäusezug etwa einen Fuß weit hervorgekommen und stand still, vielleicht in Folge des Geschreies der Kinder. Bald aber bewegte er sich langsam vorwärts und ließ sich auch nicht wieder stören, trotz des fortwährenden Geräusches, welches die Kinder verursachten. Der Mäusezug bewegte sich nun nahe an meinen Füßen vorbei, bis unter den Tisch, wo die ersten Kinder saßen, machte hier einen Bogen und ging zurück nach dem in der Nähe des Pultes befindlichen Ofen, unter demselben her und von hier wieder nach dem Loche, woraus er hervorgekommen war; – damit hatte das Schauspiel ein Ende.

Die Bewegung der scheinbar an einander befestigten Mäuse, welche alle ausgewachsen und von einer Größe, war, wie gesagt, immer langsam und es schien, als wenn bei ihren Bewegungen ein Wille alle beseelt hätte; unheimlich war es auch, anzusehen, daß die Mäuse von der Unruhe der Kinder durchaus keine weitere Notiz nahmen und sich in ihrer langsamen Fortbewegung nicht stören ließen.

Wie ist diese Erscheinung zu erklären? – Wer hat etwas Aehnliches erlebt? – In naturgeschichtlichen Werken, die mir zu Gebote standen, habe ich darüber nichts gefunden.

Hfd.T.     



Der verzagte Freier. Dieses (S. 157 abgedruckte) Bild des berühmten Carl Hübner, jenes Meisters der Düsseldorfer Schule, welcher noch vor dem Sturmjahre 1848 im Vorgefühl desselben das sociale Tendenzbild – man denke an seine „schlesischen Weber“ und sein „Jagdrecht“! – der Genremalerei einverleibte, gehört einer späteren Zeit des Künstlers an, welche ihn wieder zu friedlicheren Stoffen zurückgeführt hat.

Hübner’s vorliegendes Bild spricht deutlich genug, um keines Commentars zu bedürfen. Oder sollten wir dennoch über die wirklichen geheimen Wünsche des Mädchens im Unklaren bleiben? Wie geschickt ist’s in dem Auge angedeutet, daß es nicht auf den Faden und seinen richtigen Weg durch das Nadelöhr, sondern innerlich rückwärts zum erwarteten Freier blickt! Der Faden hätte längst seinen Weg gefunden, aber ihr lauschendes Ohr vernimmt ja das Geflüster der Ermuthigung, sie muß in ihrer Stellung beharren und so lange einfädeln, bis der Freier seinerseits mit dem Einfädeln seines Antrags fertig geworden ist. Mit dem Mädchen correspondirt reizend die nichts weniger als ängstliche Mutter; ihr Mutheinpredigen geschieht mit heiterem Lächeln, während dem alten Vater einige unmuthige Besorgniß nicht fremd ist. Er aber, der Held des Bildes in seiner musterhaften Zauderergröße, läßt uns völlig im Dunkeln, ob er eigentlich auch Liebe oder nur Beklemmung fühlt; – geheirathet wird er in jedem Fall. Ob aber seine Größe ihm in der Ehe endlich zu Gute kommt, oder ob die kleine Frau ihm das lange Einfädeln durch um so strengeres Regiment entgelten läßt, darüber könnte wohl nur der Künstler uns vielleicht in einem späteren Bilde Auskunft geben.




Max Ring’s Romane finden im Auslande Verbreitung und Anerkennung. In Neuyork erscheint in englischer Sprache eine Uebersetzung von Max Ring’s früherm Roman „John Milton“ unter dem Titel. „John Milton and his times, an historical novel, translated from the German by F. Jordan.“ Die amerikanische Kritik spricht sich sehr günstig über das Werk aus. Gleichzeitig erscheint in der mailändischen Zeitung „Perseveranza“ eine italienische Uebersetzung von Max Ring’s „Verlorenem Geschlecht“, einem Roman, dessen Vorzüge auch in deutschen Blättern nach Verdienst gewürdigt worden sind.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_160.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)