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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Hut und ging, während der Hund freudeheulend an ihm in die Höhe sprang.

Den gefalteten, schlaff niedergesunkenen Händen der jungen Gräfin war das Tuch entfallen – mit tieferschreckten Augen und blassen Lippen hatte sie die harte, strafende Rede hingenommen, und nun starrte sie wortlos dem Fremden nach, bis er im Dickicht verschwunden war.


11.

Weder der Minister, noch eine seiner Begleiterinnen hatten sich der Unglücksstelle genähert – die Damen waren sogar, ängstlich die Oberkleider aufnehmend, um einige Schritte in den Wald zurückgewichen, da der triefende Hund mit seinen Freudensprüngen auch sie umkreiste; Unfall und Rettung waren ja auch das Werk nur weniger Augenblicke gewesen.

„Kennen Sie den Herrn?“ wandte sich die Baronin lebhaft an die Gouvernante und ließ die Lorgnette sinken, nachdem sie jede Bewegung des Fremden aufmerksam und angelegentlich verfolgt hatte.

„Ja, wer ist er?“ fragte auch der Minister.

„Haben ihn Excellenz genau angesehen?“ frug Frau von Herbeck zurück. „Nun, das ist er – der brasilianische Nabob, der eigentliche Besitzer, des Hüttenwerks, der Grobian, der das weiße Schloß ignorirt wie einen Maulwurfshügel. … Ich begreife nicht, wie es die Gräfin über sich gewinnen konnte, in seine Nähe zu gehen, und will gleich meinen kleinen Finger verwetten, daß er ihr irgend eine Unart gesagt hat – seine Haltung war zu unverbindlich!“

Die Baronin schritt auf Gisela zu, die mit gesenkten Wimpern langsam zurückkehrte. „Hat Dich der Mann beleidigt, mein Kind?“ frug sie sanft, aber mit einem seltsam forschenden Blick.

„Nein,“ antwortete Gisela rasch, und wenn auch ein tiefes, echt mädchenhaftes Erröthen über ihr Gesicht, bis an die Schläfe hinauflief, ihre Augen hatten doch jenen stolz abweisenden Ausdruck, der sich in gewissen Momenten wie ein Schild vor ihre Seele legte.

Unterdeß war der Minister mit Frau von Herbeck in den Wald eingetreten. Seine Excellenz hatte die Hände auf dem Rücken gekreuzt und bog den Kopf gegen die Brust – seine gewöhnliche Haltung, wenn er sich berichten ließ. Noch lag viel Eleganz und Elasticität in seiner Erscheinung, allein Haupt- und Barthaar war bereits stark ergraut, und jetzt, wo er, sich selbst vergessend, zuhörte, sanken die Wangenmuskeln schlaff herab und verliehen dem unleugbar geistreichen Gesicht etwas Grämliches – Seine Excellenz war alt geworden.

„Nicht so viel“ – rief Frau von Herbeck und schnippte mit Daumen und Zeigefinger in die Luft – „fragt der Mensch nach uns! … Da kam er auf einmal, vor etwa sechs Wochen, wie hereingeschneit! … Ich mache meinen Morgenspaziergang und komme am Waldhause vorüber – da sind die Fensterladen zurückgeschlagen und der Schornstein raucht, und ein Neuenfelder Mann, der mir begegnet, sagt, der, Herr aus Amerika sei da! … Excellenz, ich bin immer sehr unglücklich darüber gewesen, daß das Hüttenwerk in solche Hände kommen mußte – Sie glauben nicht, was für ein Geist in die Leute gefahren ist! Die neuen Häuser und das Bücherlesen haben ihnen dergestalt die Köpfe verdreht, daß sie buchstäblich nicht mehr wissen, was unten und oben ist. … Das sicherste Merkmal ist mir ihre Art und Weise zu grüßen – das neigt auf einmal den Kopf ganz anders und starrt einem so dreist in’s Gesicht, daß ich mich nicht mehr überwinden kann, zu danken. … Dies Alles, ich wiederhole es, hat mich stets verstimmt und verleidet mir den Arnsberger Aufenthalt gründlich – seit der Ankunft dieses Herrn Oliveira aber bin ich geradezu erbittert –“

„Er ist ein Portugiese?“ unterbrach sie die Baronin, die mit Gisela hinter den Beiden herschritt.

„Man sagt es – und seinem unglaublichen Hochmuth nach ist es mir auch sehr wahrscheinlich, daß er aus irgend einer in Brasilien eingewanderten portugiesischen Familie von Adel stammt.

… Auch sein Aeußeres spricht dafür – ich bin seine entschiedene Widersacherin, aber leugnen kann ich deshalb doch nicht, daß er ein sehr schöner Mann ist – Excellenz haben sich ja selbst überzeugen können.“

Excellenz antwortete nicht, und auch die beiden Damen schwiegen.

„Er hat die Haltung eines Granden,“ fuhr die Gouvernante eifrig fort, „und sitzt zu Pferde wie ein Gott! – O,“ unterbrach sie sich erschrocken, „wie kommt mir doch solch’ ein unschicklicher Vergleich auf die Zunge!“ Ihre Mundwinkel sanken plötzlich, als würden sie durch Bleigewichte herabgezogen, und die Lider legten sich reuevoll über die schwimmenden Augen – es war der vollendete Ausdruck der Buße und Zerknirschung.

„Wollen Sie nicht die Freundlichkeit haben, mir endlich zu sagen, durch welche Missethat dieser Herr Oliveira Sie erbittert hat?“ fragte der Minister ziemlich barsch und ungeduldig.

„Excellenz – er sucht etwas d’rin, unsere Gräfin zu beleidigen.“

„Dazu haben Sie ihn herausgefordert!“ rief das junge Mädchen und trat, erglühend und zürnend vor, während der Minister unangenehm erstaunt stehen blieb.

„O liebe Gräfin, wie ungerecht! … Fordere ich ihn denn etwa auch auf, Sie zu ignoriren, wenn Sie an ihm vorüberfahren? … Die Sache verhält sich folgendermaßen:“ – wandte sie sich an den Minister und seine Gemahlin – „Ich höre, daß er in Neuenfeld ein Asyl für arme, verwaiste Kinder aus den umliegenden Ortschaften gründen will – Excellenz, in unserer Zeit gilt es, die Augen offen zu haben und handelnd einzugreifen, wo es irgend möglich – ich überwinde also meinen Groll und Ekel gegen das gesetz- und zuchtlose Treiben der ganzen jetzigen Neuenfelder Wirtschaft, schließe acht Louisd’or im Namen der Gräfin und fünf Thaler von Seiten meiner Wenigkeit in ein Couvert und schicke es als Beisteuer zu dem beabsichtigten Asyl an den Portugiesen. … Natürlicherweise setzte ich in einigen begleitenden Zeilen voraus, daß die Anstalt auf streng kirchlichem Boden stehen werde, und erbot mich, für eine Vorsteherin sorgen zu wollen. … Was geschieht? … Das Geld kommt zurück, mit dem Bemerken, daß der Fond vollständig sei und keines Zuschusses bedürfe, und eine Vorsteherin sei bereits gefunden in der vortrefflich erzogenen ältesten Tochter des Neuenfelder Pfarrers – es ist zu ärgerlich!“

„Sie haben es aber auch sehr schlau angefangen, beste Frau von Herbeck!“ sagte der Minister in wahrhaft vernichtendem Hohn. „Und wenn Sie in der Weise weiter operiren, werden Ihnen ja recht viele Vögel in das Garn fliegen. … Sie hätten die Hand davon lassen sollen!“ fügte er in ausbrechendem Aerger hinzu. „Merken Sie sich für künftig: Ich will nicht, daß die Feindseligkeit und der Widerspruch da drüben auf eine so plumpe, Weise herausgefordert und genährt werden – ein Goldfisch will subtil angefaßt sein, wenn Sie es noch nicht wissen, meine sehr verehrte Frau von Herbeck!“

„Und wie kommen Sie denn auf die Idee,“ rief die Baronin, und ihr funkelnder Blick fuhr hochmüthig messend über die verblüffte Gouvernante hin – „wie kommen Sie auf die Idee, Ihren Instructionen schnurstracks entgegen, die Gräfin mit einem Mal gewissermaßen in die Oeffentlichkeit zu bringen und ihr eine Rolle aufzudrängen, die weder ihr, noch uns erwünscht sein kann? … Unser armes, krankes Kindchen,“ setzte sie weich hinzu, „das wir bisher vor jedem Zuglüftchen aus der schlimmen Welt da draußen sorgfältig bewahrt haben! … Siehst Du, Gisela,“ unterbrach sie sich plötzlich und fixirte das Gesicht der Stieftochter mit einem tiefbewegten Blick, – „daß Du noch lange nicht so weit hergestellt bist, wie Du denkst? … Da ist er ja, der erschreckend jähe Farbenwechsel, der Deinen Anfällen stets vorauszugehen pflegt!“

Das junge-Mädchen erwiderte kein Wort. Man sah, daß sie einen Moment mit einem heftigen Unwillen kämpfte; aber dann wandte sie sich achselzuckend ab und schritt weiter – mit dieser einen Bewegung sagte sie: „Ich bin viel zu stolz, um das, was ich einmal fest versichert, nochmals zu betheuern – glaube, was Du willst!“

Eine Zeitlang wandelten Alle schweigend weiter. Frau von Herbeck war sehr betreten; sie hielt sich consequent einige Schritte hinter dem Minister und vermied es augenscheinlich, in sein Gesicht zu sehen, das allerdings nicht die rosigste Laune verrieth. Am Thor des Schloßgartens blieb er stehen, während die Baronin und Gisela in die Allee eintraten; er sah über die Schulter noch einmal nach Neuenfeld zurück, dessen rothe Dächer im Sonnenschein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_162.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2016)