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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


lautlos still. Hui! wie flogen sie nun zwei bis drei Mal im Kreis herum, nach einem Vortheil haschend und zugleich auf ihren Schutz bedacht. Da stellt der Emmenthaler plötzlich den Gegner und rückt ihm auf den Leib; dieser läßt sich vertheidigungsweise auf ein Knie nieder und weicht etwas zurück. Der Angreifer rückt wieder vor, man sieht, wie alle Muskeln an ihm arbeiten, und plötzlich thut er mit einem Schritt nach vorn einen gewaltigen Ruck, welcher den Oberländer der Erde entrückt; mit einem blitzschnell folgenden neuen Ruck hebt er ihn hoch auf und entscheidet mit einem kunstgerechten Wurf den Sieg für das Emmenthal. Der Gemsenjäger scheint durch diesen Fall den Muth noch gar nicht verloren zu haben; zuweilen schon hat er einen Schwung verloren und die zwei folgenden dafür glänzend gewonnen. Warum sollte es dies Mal nicht auch so gehen können?

Er machte nicht lange Rast, und nun sah man ein herrliches Kunst- und Schauschwingen, wobei mit fabelhafter Behendigkeit Schwung und Gegenschwung auf einander und durcheinander folgten, bis plötzlich der Emmenthaler in wagrechter Stellung in den Lüften zappelt und im Nu auf dem Rücken liegt. Unbändiges Jauchzen der Oberländer, verblüffte Gesichter der Emmenthaler! Das Publicum in höchster Spannung! Hans Ulrich Beer in verbissenem Groll alle Freunde von sich abweisend! Der Gemsenjäger seinen freudetrunkenen Cameraden, die sich mit der Weinflasche um ihn drängten, erzählend: wie er fortwährend aufgepaßt habe, bis der Emmenthaler mit seinen Schultern etwas schwerer auf ihn eingelegen sei, wie er dann den Augenblick benutzt, den Uebersprung gewagt, ihn im Kreuz und Genick erfaßt und ihm dann gezeigt, daß dies Mal ein Anderer zu befehlen habe. Alles sei ihm wie eine Eingebung gewesen.

Unterdessen war der Emmenthaler mitten im Kreise stehen geblieben, die Hände auf die Hüften gestützt, unverwandten Blickes nach der Richtung schauend, woher sein Gegner kommen mußte. Umsonst boten ihm seine Freunde Wein an, umsonst ließ ihn sein junges hübsches Fraueli rufen. Seine Antwort war: „Das trägt nichts ab! Laßt mich ruhig, es ist jetzt etwas Anderes zu thun!“

Da trat der ausgeruhte Haslithaler, seine Hemdärmel zurückstreifend und die Schwinghosen vorsichtig aufrollend, wieder aus der Gruppe der in stolzer Hoffnung erfüllten Oberländer. Der Emmenthaler ging ihm sogleich entgegen und der Obmann, der als Schwingerveteran den angehäuften Zündstoff im Herzen der Beiden wohl durchschaute, gesellte sich ihnen bei, ließ einige leise Worte von „freundlichem Schwingen“ fallen und blieb dabei, bis die Griffe geordnet waren. Da drang wie ein losgelassener Löwe der Trieber auf den zur Erde sich schmiegenden Gegner ein und „sprengte“ ihn mit unwiderstehlicher Kraft vom Boden auf. Dieser wand jedoch schlangenartig sogleich sein rechtes Bein um das linke des Angreifers, wurde aber durch einen heftigen Fußstoß ebenso schnell wieder „losgestüpft“ und bis zur Brusthöhe emporgehoben; da schoß der Gemsenjäger, seine schwierige Lage wunderbar gut benützend, von oben herab mit beiden Händen dem Widerpart auf die Schultern, um ihn dadurch rückwärts aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber der auf Alles gefaßte Emmenthaler beugte diesem sonst gefährlichen Kunstgriff durch sein nach hinten gestelltes rechtes Bein vor und blieb fest wie ein Eichstamm; noch versuchte der Emporgehobene durch Umschlingung des gegnerischen Nackens das Unheil, das ihn bedrohte, abzuwenden. Knirschend über den neuen Widerstand löste Beer mit größter Anstrengung mit der einen Hand den wie angewachsenen Arm, der ihn bald des Athems beraubt hätte, los, während er sich mit der andern der Schenkel des Oberländers, der ihm sonst immer noch hätte entwischen können, versicherte. Nun war der Augenblick gekommen. In gewaltigem Wurfbogen schleuderte der Emmenthaler den kühnen, wehrhaften Gemsjäger vom Wirbel bis zur Fußsohle auf den Rücken, daß der Brustkorb erzitterte und die Rippen in ihren Fugen krachten.

Während die Oberländer ihren langsam sich aufrichtenden Freund umringten, die Emmenthaler einen Freudenjauchzer in die Lüfte sandten, ging Beer hinüber zu seinem Gegner und begrüßte ihn mit einem weitausgeholten Handschlag. Da brach ein ungetheilter Beifallssturm der vielen Tausende von Anwesenden los und einstimmig erschollen die Lobpreisungen der beiden „Schwingerhelden“.

Ein interessantes Zwischenspiel vor dem Ausschwingen oder dem Entscheid unter den Siegern war in Interlaken das Steinstoßen, bei dem indessen ein kolossaler Stein von über zwei Centner nur zur Parade herbeigeschleppt zu sein schien, denn es wurde mit einem Steine von kaum hundert Pfund gestoßen.

Unter lautloser Stille verkündete der Präsident des Kampfgerichts die Namen der Sieger. In der ihm eigenthümlichen, die Herzen erschütternden Weise hob er die Bedeutung des so herrlich gelungenen Festes hervor. Vor alten Zeiten hätten hier die Ritter ihre Turniere gefeiert; das Volk habe dabei als leibeigen den strengen Frohndienst gehabt. Heute seien es die Sennen, die Hirten und Jäger, welche ohne allen Prunk dieses schönste aller Turniere abgehalten! Und alles Volk habe Antheil genommen und aus dem Innersten des Herzens sich dabei gefreut, im Bewußtsein, daß diese Kampfspiele und deren Pflege dem Vaterland zum Nutzen und Frommen gedeihen. Hier Angesichts der Jungfrau, auf diesem von allen Schönheiten der Natur umgebenen Wiesenhange, der so sehr demjenigen gleiche, auf welchem am Vierwaldstätter See der heilige Bundesschwur der Väter zum Himmel erklungen, möge jeder Festtheilnehmer in seinem Innern den Schwur erneuern, Herz und Hand dem Vaterland, zu dessen Ehre und Glück dieses Fest veranstaltet worden, zu weihen.

Während der Zug der Schwinger sich nach Interlaken zurückbegab, um bei einer reichbesetzten Tafel von den gehabten Anstrengungen sich zu erholen, ging der Jubel auf dem Festplatz erst recht los; ein Jubel, den wir am besten mit den Worten schildern, welche Frau von Staël vor nun gegen fünfzig Jahren darüber niedergeschrieben hat:

„Ausländer und Schweizer, Hohe und Geringe, Alter und Jugend wurden hingerissen. Tänze begannen nun überall; Fürsten und Grafen und die Häupter schweizerischer Regierungen tanzten mit Landmädchen, Gräfinnen mit Hirten, Greise mit Kindern. Man tanzte unter den Gezelten, im Schatten der Bäume, unter’m blauen Gewölbe des Himmels; kein Fleck war, wo nicht Freude und Fröhlichkeit, wo nicht das Bild der schönsten und glücklichsten Gleichheit sich zeigte; Alles war trunken vom Geiste des Tages!“




Literarische Briefe.

An eine deutsche Frau in Paris.
Von Karl Gutzkow.
II.

Wenn Sie, meine Theure, eine Rose betrachten, eine kaum erschlossene Gartencentifolie oder eine sich mit weißröthlichen Blättern wie von Sammet in die stachlichte grüne Hülle verschämt versteckende Moosrose, so nennen Sie den Anblick – schön! Aber Sie können auch in die Rue St. Honoré Nr. 372 zu den Herren Froment und Meurice gehen und sich unter den geheimnißvollen, kostbaren Etuis dieser berühmten Juweliere eines öffnen lassen, um eine goldene Rose mit diamantenen Thautropfen ebenfalls zu bewundern und schön zu nennen, vorausgesetzt, daß die Künstler in ihrer Nachahmung der Natur die Eigenthümlichkeiten einer Rose, Duft und Farbe ausgenommen, getroffen haben, die Natürlichkeit des Wuchses, eine gewisse Freiheit bei sonstiger symmetrischer Schichtung der Blätter und für den Frühlingsmorgenthau die wie zufällig, nicht aufdringlich und anspruchslos gewählten Stellen.

Das, was Sie schön nannten an der Naturrose, das ist das Naturschöne. Die Schönheit einer nachgeahmten Rose ist das Kunstschöne.

Entspringt nun das Behagen, das Ihnen die natürliche Rose und das andere, das Ihnen die nachgemachte erweckt, aus einem und demselben Quell der Befriedigung? Man möchte dies wohl bestreiten. Zwar verrinnt das Behagen, das beide Erzeugnisse,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_169.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)