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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 12.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Reichsgräfin Gisela.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
12.

Am anderen Tage waren die Jalousieen vor den Fenstern der Gemächer, welche die Baronin Fleury bewohnte, festgeschlossen – die Dame litt an heftigen Nervenkopfschmerzen in Folge der gestrigen Fahrt und Sonnenhitze. Sie ließ Niemand vor sich; in den naheliegenden Corridors herrschte Todtenstille, und daß nichts, nicht einmal das leise Geräusch einer knarrenden Sohle die Leidende störe, dafür sorgte schon der Minister, der, wie man sich erzählte, seine schöne Gemahlin noch ebenso abgöttisch liebte wie am Hochzeitstage.

In dem gegenüberliegenden Schloßflügel, der die Fremdenzimmer enthielt, ging es um so geräuschvoller zu. Am frühen Morgen schon kamen Handwerker aus A. in Begleitung eines großen Möbelwagens. Die seit Prinz Heinrich’s Zeiten nicht erneuerten und deshalb sehr verblaßten seidenen Bett- und Fenstergardinen wurden abgenommen – man riß die veralteten Tapeten von den Wänden, um sie neu, und zwar in sehr kostbarer Weise zu ersetzen, vertauschte die unmodernen Krystallkronleuchter mit Bronzelüstren und schaffte die, wenn auch immer noch werthvollen, aber doch altmodisch gewordenen Möbel in entlegene Räume.

Seine Excellenz leitete dies Alles selbst mit peinlicher Sorgfalt und Genauigkeit – es handelte sich aber auch um nichts Geringeres als einen fürstlichen Besuch. … In dem prachtvollen, von königsblauem Seidenstoff umrauschten Bett sollte der Landesherr schlafen, die aus Paris mitgebrachten herrlichen Spiegel sollten sein fürstliches Antlitz widerstrahlen und die Statuetten und Gemälde, die halb ausgepackt umherstanden, seine verwöhnten Augen ergötzen.

Dem Fürsten waren auf seiner jüngsten Reise zufällig einige das Regiment seines Ministers in sehr greller Weise beleuchtende Zeitungen in die Hand gefallen – er war tiefempört gewesen über diese „Schmähartikel“ und das „Lügengewebe“, und um seinem so gehässig angegriffenen Liebling eine eclatante Genugthuung vor aller Welt zu geben, hatte er sich als Gast auf dem Landsitz des Ministers angemeldet.

Das war eine Auszeichnung, deren sich auch nicht eine adelige Familie des Kindes rühmen konnte – es mußte mithin Alles geschehen, um durch möglichste Glanzentfaltung der seltenen Gnadenbezeigung würdig zu werden … wie leicht wurde das Seiner Excellenz – er brauchte ja nur in seinen französischen Säckel zu greifen! … Uebrigens schüttelten die Schloßleute die Köpfe – er hatte bei seiner Ankunft außergewöhnlich heiter ausgesehen, und nun war er über Nacht mürrisch und über alle Begriffe übellaunig geworden – ein sorgfältiger Beobachter hätte sogar einen neuen Zug in dem sonst so streng beherrschten Gesicht finden können: den der geheimen Sorge. … Mit der jungen Gräfin und Frau von Herbeck war er nur beim Diner zusammengekommen, und er, der sich sonst bei seinen Besuchen auf Greinsfeld und Arnsberg in Sorgfalt und Aufmerksamkeiten für sein kranke Stieftöchterchen förmlich erschöpfte, er hatte ihr zerstreut und einsilbig gegenüber gesessen, während Frau von Herbeck an sich selbst die traurige Erfahrung machen mußte, daß die beißende Satire Seiner Excellenz während des letzten Pariser Aufenthaltes bedeutend an Schärfe gewonnen hatte.

So war der erste Tag verstrichen. Nun lag ein prachtvoller Morgenhimmel über dem Thüringer Wald. Das junge Sonnengold und der leise vorüberziehende, frische Morgenwind sogen die letzten Thaureste von den Baumwipfeln; unten aber, im Waldesdunkel, auf den Erdbeerblättern und Farnkräutern rollten noch die hellen Thränentropfen der Nacht und klammerten sich an die kleinen Moose, um nicht in die schwarze, durstige Erde zu versinken.

Das weiße Schloß lag glitzernd inmitten seiner Springbrunnen, Bosquets und Alleen. Es hatte seine sämmtlichen Jalousieen aufgeschlagen – auch die vor den Fenstern der Baronin. Die Dame war vollkommen erholt und erfrischt aufgestanden und hatte befohlen, daß im Walde gefrühstückt werden solle. Nun wandelte sie allein durch den Schloßgarten; ihr Gemahl war im Fremdenflügel beschäftigt und wollte nachkommen, und Frau von Herbeck saß noch bei der Toilette, ohne sie aber sollte die junge Gräfin nach dem vorgestern ganz besonders aufgefrischten Princip das Schloß nicht verlassen.

Die schöne Frau hatte eine Morgentoilette gemacht, die im Boulogner Hölzchen weit eher am Platze gewesen sein würde, als hier unter den ehrlichen deutschen Eichen und Buchen, zwischen deren einsamen Stämmen höchstens die verdutzten Augen eines beerensuchenden Kindes erschienen. … Die Dame sah aus wie eine sechszehnjährige Schäferin à la Watteau in dem hochgeschürzten Rock aus milchweißem, weich niederfallendem Stoff, den ein himbeerfarbener Streifen umsäumte. Tief in die Stirn gedrückt, lag ein helles Strohhütchen auf dem blauschwarzen Haar, das nicht, wie ehemals, in prachtvollen Ringeln auf die Brust fiel – Pariser Zofenhände hatten diese wuchtigen Strähne am Hinterkopf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_177.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2021)