Seite:Die Gartenlaube (1869) 204.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


„Do bini so, do hesch mi,

50
Un wenn de mi denn witt!

I ha’s scho siderm Spöthlig gmerkt’,
Am Zistig hesch mi völlig bstärkt,
     jo, völlig bstärkt.
Und worum seischs denn nit?

55
Und bisch nit riich an Gülte,

Und bisch nit riich an Gold,
En ehrli Gmüeth isch über Geld,
Und schaffe chasch in Hus und Feld
     in Hus und Feld,

60
Und lueg, i bi der hold!“


O Vreneli, was seisch mer,
O Vreneli, isch so?
De hesch mi usem Fegfüür gholt,
Und länger hätti ’s nümme tolt,

65
     net, nümme toll.

Jo frili willi, jo!



Hebel und Vreneli.
Nach einer älteren Handzeichnung


Jedes Gedicht hat seine Geschichte. Dieselbe bildet zugleich den besten Commentar für die poetische Schöpfung und lehrt sie erst recht verstehen, indem sie uns in die Umgebung des Dichters führt und uns mit den Verhältnissen bekannt macht, unter deren Anregung und Einflüssen das Werk entstanden ist. Ohne dem idealen Elemente Eintrag zu thun, lassen diese Grundlagen des Dichters idealisrende Macht in ihrem wahren Lichte erkennen und seine Schöpferkraft beurtheilen. Ein freundlicher Zufall wirft oft dem Dichter eine Thatsache, einen Gegenstand in den Weg, welchen er rasch erfaßt und in seiner Weise gestaltet. Diesen Stoff in seiner ursprünglichen Form kennen zu lernen, maß das Bestreben jedes Freundes der Poesie sein, besonders wenn er einen Volks- und Dialektdichter liest, welchem das alltägliche Leben reichen Stoff, ungesucht, wie in einem erleuchtenden Blitzstrahl, entgegensendet.

Das hier Gesagte findet seine volle Anwendung auf obiges Gedicht Hebel’s, des bekannten Verfassers der herzigen anmuthig- schalkhaften „Alemannischen Gedichte“ und des noch heute unübertroffenen Volksbuchs „Das Schatzkästlein des rheinländischen Hausfreunds“, denn da ist nichts Gesuchtes, nichts künstlich Gemachtes, nichts ängstlich Erwartetes oder Vorbedachtes: seine Gedichte sind vielmehr, um sein eigenes Wort zu gebrauchen, „Fündli“, die ihn der Augenblick thun ließ, und ein solches „Fündli“ (kleiner Fund) ist denn auch sein Gedicht „Hans und Verene“. Das zu erzählen, mit möglichster Auseinanderhaltung von Dichtung und Wahrheit, sei hier unsere Aufgabe.

Es lebte in Karlsruhe ein vielfach noch in schönem Andenken stehender Privatmann von tiefem Gemüth und wissenschaftlichem Sinn, Herr Emil Groos, welcher auf einem seiner Morgenspaziergänge in der Umgebung von Karlsruhe einst einer muntern lebhaften alten Frau begegnete, welche auf ihn einen so freundlichen Eindruck machte, daß er sich mit ihr in ein Gespräch einließ. Das einnehmende Wesen des Herrn gewann auch das Vertrauen der ohnehin schon gesprächigen und mittheilsamen Frau; sie erzählte ihm Züge aus ihrem Leben, und so erfuhr Herr Groos zu seiner freudigen Ueberraschung, daß er das Urbild von Hebel's Vreneli vor sich habe. Dieser Zufall ist besonders hervorzuheben weil er den Anlaß gab, daß diese Thatsache, welche nur in engeren Kreisen bekannt war, in das volle Licht der Oeffentlichkeit trat; denn Herr Groos machte alsbald weitere Mittheilung von seiner unverhofften Entdeckung, und einer seiner Freunde, der bekannte Literaturhistoriker Heinrich Kurz, gab ihr journalistische Verbreitung. Seine Mittheilung erschien auch in der Karlsruher Zeitung 1856 Nr. 219, im Frühling desselben Jahres, in welchem in Baden ein Hebel-Cultus begann, indem am 29. November eine Abendunterhaltung im Karlsruher Museum stattfand, um Beiträge für

das in Schwetzingen auf Hebel’s Grab zu setzende Denkmal zu

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_204.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)